Missing Link: Beim Kumbh Mela strapazieren 400 Millionen Religiöse die Technik

Alle 144 Jahre steigt ein besonderes Hindu-Fest, in Nordindien dieses Mal mit Unterwasserdrohnen, KI und Gesichtserkennung. Eine Massenpanik gab es dennoch.

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Eine gewaltige Menschenmenge, oft gewandet in orange, drängt zu dem im Vordergrund zu sehenden Fluss

Kumbh Mela, Versammlung am 17. Januar 2025

(Bild: Rpsaroj CC 0)

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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Hinweis: The original English version of this article is available as well.

Wenn sich im Januar und Februar Millionen Menschen an Ufern heiliger Flüsse Nordindiens versammeln, badet ein Meer von Menschen in einem nur alle 144 Jahre wiederkehrenden Universum positiver Energie – begleitet von Unterwasserdrohnen, KI-Assistenten, digitaler Überwachung, Location Intelligence, Luftdrohnen, Bots und digitalem lokalem Handel. Weit über 400 Millionen Menschen werden erwartet. Bei einer so großen Menschenmenge alles reibungslos ablaufen zu lassen, ist eine Herausforderung, insbesondere, wenn eine ernsthafte Massenpanik nur ein Flussufer entfernt ist. Erfüllt die Technik ihre Aufgabe?

Bedeutung und Ausmaß des Maha-Kumbh-Festivals sind nicht leicht zu erfassen. Aus der Ferne betrachtet ist es ein riesiges hinduistisches Fest. Aber es ist auch eine temporäre Stadt. Und in diesem Jahr sollte es ein Technik-Festival sein, das die Sicherheit aller Teilnehmer und Dienstleister gewährleisten sollte. Dennoch starben 30 Pilger bei einer Massenpanik, viele weitere wurden verletzt.

Kumbh bedeutet Topf oder Krug. Bei dem Fest wird ein bestimmter Kumbh als himmlisches Gefäß verehrt, das nach religiösen Überzeugungen von Gottheiten getragen wurde, als Amrit (Nektar) aus dem Gefäß an bestimmten heiligen Orten in Indien verschüttet wurde. Diese wurden zu den vier Tirthas (heiligen Zielen) Prayag, Haridwar, Nasik und Ujjain. An diesen Orten wird alle drei Jahre ein Kumbh Mela (Versammlung) gefeiert, die an jedem Tirtha im Wechsel stattfindet. Am Zusammenfluss dreier heiliger Flüsse in Prayagraj, Nordindien, findet alle zwölf Jahre ein besonderes Maha-Tirtha statt.

"Missing Link"
Missing Link

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

In diesem Jahr, 2025, ist der 45-tägige Maha Kumbh besonders exklusiv: Dieser Kumbh findet nur alle 144 Jahre statt und fällt mit einer seltenen Konstellation von Sonne, Mond, Jupiter und Saturn zusammen. Über 400 Millionen Menschen werden zum Zusammenfluss reisen, um heilige Waschungen und andere religiöse Aktivitäten während der sechseinhalb Wochen bis zum 26. Februar durchzuführen.

Ein handgeschriebener Brief von Steve Jobs der kürzlich für über eine halbe Million US-Dollar versteigert wurde, sorgte für Schlagzeilen als der Kumbh Mela begann. Der Brief enthält eine Art Wunschliste; darin äußert der damals 19-jährige seinen Plan, das Kumbh Mela in Indien zu besuchen. Erlebt hat er es nicht.

Begann das Mega-Festival reibungslos, kam es am 29. Januar leider zu einer Massenpanik. Beim Andrang zu einer speziellen rituellen Waschung am Flussufer im Morgengrauen wurden Dutzende Menschen getötet, noch mehr verletzt. Der Tag war für Hindus von besonderer Bedeutung (aufgrund einer Konstellation am Himmel namens Mauni Amavasya). Das erklärt, warum an diesem Mittwoch 100 Millionen Menschen erwartet wurden. Einigen Berichten zufolge kamen etwa 75 Millionen Menschen, von denen 57 Millionen bis 16 Uhr ein heiliges Bad nahmen. Bei der tödlichen Panik wurden Absperrungen durchbrochen, was durch die Schließung einiger Wege und Verwirrung bei Ein- und Ausgängen noch verschlimmert wurde.

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Steve Jobs hat den Brief an seinen Jugendfreund mit dem Wort Shanti unterzeichnet, was Frieden bedeutet. Genau das ist es, was die vielen Teilnehmer suchen. Bedauerlicherweise kann Frieden leicht gestört werden, durch einen kleinen Stoß oder einen Moment menschlicher Panik. Das erinnert uns daran, dass gut geplante und technisch ausgerüstete Vorkehrungen nicht nur eine Fußnote, sondern die Grundlage solcher riesigen menschlichen Ozeane sind. Das Maha-Kumbh-Festival zeigt, warum Technik wichtig ist.

Jobs' Wunsch, daran teilzunehmen, ist nachvollziehbar. Der Maha Kumbh ist eine seltene Fallstudie einer von Vielfalt geprägten Menschenmenge, die reibungslos orchestriert werden will. Es gibt Gläubige, Pilger, neugierige GenZs, Heilige, Besucher und Gelehrte, die aus der ganzen Welt zusammenkommen. Zudem kommt eine außergewöhnliche Ansammlung von Asketen aus abgelegenen Verstecken in Wäldern, Bergen und Höhlen hervor. Tausende nehmen täglich das rituelle Bad im heiligen Wasser. Was sie, wie vielleicht auch Jobs, suchen, ist reibungslose Ordnung, eine gut geölte Organisation, wo Millionen von Menschen sich begegnen – ohne scharfe Ellbogen.

Wie kann das gelingen? Denn beim Kumbh geht es nicht nur um ein Bad, wie Dr. Saroj Sharma, eine Expertin für indisches Erbe und spirituelles Wohlbefinden, betont. "Es ist, als wäre man inmitten Tausender spiritueller Glühbirnen, die zur gleichen Zeit und am gleichen Ort erleuchtet sind. Menschen (aus unzähligen Kulturen, Staaten, Sprachen, Glaubensrichtungen, Ländern und Altersgruppen) kommen zum Kumbh". Es ist zwingend notwendig, es positiv zu halten. Und friedlich.

Menschenschlange vor einem religiösen Gebäude beim Kumbh Mela 2025

(Bild: Ashok Saraswat)

Alle zwölf Jahre entsteht für 45 Tage eine Metropole an dem Flussufer in Indien. Es ist eine gigantische Pop-up-Stadt, gebaut aus Zelten, Pontons, Hütten, Bambuskonstruktionen und so weiter. Sie wird wieder abgebaut, sobald das 'Mela' (Festival/Versammlung) vorbei ist. Denn der Prayagraj Kumbh symbolisiert den Zusammenfluss des Ganges, des Yamuna und des mythischen Saraswati-Flusses. Diese Vereinigung der drei heiligen Flüsse hat eine außergewöhnlich heilige Bedeutung für Millionen von Gläubigen. Eine dauerhafte Stadt würde da stören.

So strömen Millionen und Abermillionen in diese provisorische Stadt, die sich über viele Quadratkilometer erstreckt, um heilige Bäder zu nehmen. Die Dimensionen sind überwältigend: 160.000 Zelte, ein 400 km langes temporäres Straßennetz, 30 Pontons, eine 1.250 km lange Wasserversorgungsleitung, viele gut platzierte Wasserautomaten, Umspannwerke, hunderte Kilometer Übertragungskabel, tausende Straßenlaternen, etwa 3.000 Überwachungskameras für Kontrolle und Zählung.

Der Verkehrsplan legt besonderen Wert darauf, Staus zu minimieren und gleichzeitig den Zugang zu erleichtern, mit mehr Platz für E-Rikschas und mit Erdgas (CNG) betriebene Dreiräder. Viele neue Pontonbrücken und zusätzliche Straßen wurden im Vergleich zu 2019 gebaut, zudem mehr als 102 Parkzonen auf etwa 1.900 Hektar in Prayagraj und den Nachbarbezirken, mit einer Kapazität für bis zu 550.000 Fahrzeuge. Der Kumbh ist nicht nur immaterielles Kulturerbe der UNESCO (seit 2017), sondern auch ein wirtschaftliches und kulturelles Epizentrum gewaltiger Ausmaße.

Die noch leere Zeltstadt für das Maha Kumbh Mela in Prayagraj

(Bild: prabhat kumar verma/Shutterstock.com)

Das jüngste Mela, im Jahr 2013, hat über 600.000 Menschen Beschäftigung und Einnahmen von mehr als 1,5 Milliarden Euro (120 Milliarden Rupien zum damaligen Wechselkurs) generiert. Außerdem schuf das religiöse Massenfest etwa 55.000 neue Arbeitsplätze im informellen Sektor (man denke an Reiseführer, Taxifahrer, Dolmetscher, Freiwillige und so weiter). Beim Kumbh 2025 wird ein Umsatz auf etwa 2,8 Milliarden Euro (250 Milliarden Rupien) erwartet. Gleich am ersten Tag, dem 13. Januar, versammelten sich über 16,5 Millionen Gläubige am Sangam zu einem heiligen Bad während Paush Purnima (ein heiliges Datum für dieses Bad). Man kann nur erahnen, wie riesig alles ist. Und die Zahlen werden sich bis zum letzten Tag, dem 26. Februar, weiter addieren.