"31 Prozent Wirkungsgrad sind mit intensiver Forschung drin"

Professor Michael Grätzel, Erfinder der Farbstoffsolarzelle und Gewinner des hochdotierten "Millennium Technology Prize 2010", spricht im TR-Interview über die Zukunft der Photovoltaik.

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Professor Michael Grätzel, Erfinder der Farbstoffsolarzelle und Gewinner des hochdotierten "Millennium Technology Prize 2010", spricht im TR-Interview über die Zukunft der Photovoltaik.

Der deutschstämmige Physiker Michael Grätzel, der an der ETH Lausanne lehrt, wurde im Juni für seine Arbeit an der sogenannten Farbstoffsolarzelle mit dem diesjährigen "Millennium Technology Prize" ausgezeichnet. Der mit 1,1 Millionen Euro dotierte Preis wird von der Technology Academy verliehen, einer vom finnischen Staat und verschiedenen Unternehmen ins Leben gerufenen Stiftung.

Technology Review: Herr Professor Grätzel, wie fühlt man sich als Gewinner des höchstdotierten Technologiepreises der Welt? Hätten Sie erwartet, dass Sie nun in einer Reihe mit Tim Berners-Lee, Shuji Nakamura und Robert Langer stehen?

Michael Grätzel: Es ist natürlich ein wunderbares Gefühl. Ich fühle mich hoch geehrt und sehr glücklich.

TR: Ihre Farbstoffsolarzelle, weltweit als "Grätzel-Cell" bekannt, liegt mittlerweile in dritter Generation vor. Wie weit sind Sie bereits gekommen, und wie weit ist der Weg noch, der vor Ihnen liegt?

Grätzel: Unter Standardbedingungen – darunter verstehen wir ein Sonnenspektrum bei Luftmasse 1.5, 1000 Watt Lichtintensität pro Quadratmeter sowie 25 Grad Celsius – liegen die Umwandlungseffizienzen unserer Zellen inzwischen bei 12 Prozent im Labormaßstab und 8,6 Prozent für Module.

Durch Benutzung von ionischen Flüssigkeiten und Festelelektrolyten wurde eine ausgezeichnete Stabilität erreicht. Nach industriellen Daten liegt die Lebenserwartung unserer Zellen nunmehr bei über 25 Jahren. Damit sind die Voraussetzungen der industriellen Fertigung und Kommerzialisierung gegeben.

Die Massenproduktion von flexiblen Modulen hat denn auch letztes Jahr durch die Firma G24 Innovation im walisischen Cardiff begonnen. Weitere Verbesserungen im Wirkungsgrad bis zu maximal 31 Prozent für Einzelzellen und über 40 Prozent für Tandemzellen sind noch möglich und werden durch intensive Forschung vorangetrieben.

TR: 2008 hatten Sie in einem Paper neue, feste Elektrolyte vorgestellt, die entscheidende Verbesserungen Ihrer Zellen darstellen würden. Gibt es hier Neuigkeiten?

Grätzel: Ja es ist inzwischen klar, dass wir durch Zugabe von kleinen Oxid-Partikeln zu ionischen Flüssigkeiten äußerst stabile Festelektrolyte erhalten werden können. Deren Wirkungsgrad wird sehr nahe an den von flüssigen Elektrolyten herankommen.

TR: Das alte Argument für Siliziumzellen und gegen die Grätzel-Cell war stets der Wirkungsgrad, der um 11 Prozent im Modulbereich nicht hinauszukommen schien. Wird es hier in naher Zukunft Veränderungen geben?

Grätzel: Der Wirkungsgrad ist inzwischen tatsächlich in Bewegung gekommen. Durch die Einführung von Sensibilisatoren mit verstärkter Absorption im nahinfraroten Wellenlängenbereich wurden inzwischen 12 Prozent unter Standardbedingungen erreicht und weitere Fortschritte sind kurzfristig zu erwarten.

TR: Ist ein Wirkungsgrad auf dem Niveau der "festen" Konkurrenz überhaupt noch erstrebenswert oder ein schlichtes Totschlagargument?

Grätzel: Im Außenbetrieb haben unsere Zellen Vorteile gegenüber Silizium, wodurch sich der unter Standardbedingungen gemessene Unterschied des Wirkungsgrads verringert. Zum Beispiel erhitzen sich Solarzellen in der Sonne, was den Wirkungsgrad von Silizium herabsetzt. Unsere Zellen beeinträchtigt das aber kaum.

Weiterhin sind unsere Zellen die einzige Bauform, die wirklich durchsichtig hergestellt werden kann und daher als stromproduzierende Fenster oder Glasfassaden Anwendung im Gebäudebereich finden können.

Die Abhängigkeit des Wirkungsgrades vom Lichteinfallswinkel ist auch viel geringer als bei Siliziumzellen. Und der bifaziale Lichteinfang unsere Zellen verstärkt den Effekt noch – was bei wolkigem Himmel der Stromerzeugung zu Gute kommt. Zusammenfassend gesagt: Am Ende ist der Kunde daran interessiert, wie viel Kilowattstunden die Zellen unter den gegeben klimatischen Bedingungen im Jahr produzieren – und zu welchem Preis.

TR: Wenn Sie als Häuslebauer vor der Entscheidung stehen, sich eine Solaranlage aufs Dach zu holen, wie würden Sie vorgehen und warum?

Grätzel: Für besonders wichtig halte ich, dass man nicht nur an das Dach denken sollte. Farbstoffsolarzellen können in Gebäude integriert werden, beispielsweise als stromspendende Hauswand. Die Dachanwendung, etwa als Skylight, ist aber auch möglich und je nach Klima und Ausrichtung würde die Farbstoffzelle auch da Vorteile haben.

TR: Wie sehen Sie die Entwicklung der Farbstoffsolarzellen in den nächsten Jahren? Werden wir Ihre Technik beispielsweise im Rückenteil eines Laptops oder Tablet-PC finden, einfach weil solche Flächen derzeit brachliegen?

Grätzel: Genau. Und bei der Anwendung im diffusen Licht liegt die Farbstoffsolarzelle sowieso an der Spitze. Die Anzahl der Produkte, die man sich hier vorstellen kann, ist enorm.

TR: Nach einem großen Solarhype auch in Deutschland hat man derzeit das Gefühl, dass die Luft etwas heraus zu sein scheint aus der Boombranche. Selbst die Politik, einst auf grüne Hightech eingeschworen,wird nach hohen Subventionen konservativer.

Grätzel: In der Tat. Die photovoltaischen Zellen müssen letzten Endes ohne Subventionen wettbewerbsfähig sein.

TR: China scheint gegenüber dem Westen massiv aufzuholen, wie man derzeit etwa am Sponsorship der Fußball-WM durch den Solarriesen Yingli sehen kann. Wie bewerten Sie die aktuelle Lage? Hat Europa noch eine Chance, auch und mit der Farbstoffsolarzelle?

Grätzel: Die Farbsoffzelle wird weltweit entwickelt und Europa hat eine exzellente Ausgangsposition. Und: Deren Massenproduktion hat in Europa begonnen. (bsc)