Amazon Web Services präsentiert seinen ersten Quantenchip "Ocelot"

Fehlerkorrektur gilt als der Schlüssel zum Erfolg von Quantencomputern. Das könnte nun mit nur einer Handvoll Qubits möglich sein, wie Amazon-Forscher zeigen.

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AWS-Quantenchip

(Bild: AWS)

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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Die Amazon-Tochter Amazon Web Services (AWS) hat ihren ersten Quantenchip mit dem Namen "Ocelot" vorgestellt. Ihr Chip sei ganz auf den Einsatz von Quantenfehlerkorrektur ausgelegt, wie das Unternehmen am Donnerstag auf seinem Blog verkündete. "Wir glauben, dass die Quantenfehlerkorrektur an erster Stelle stehen muss, wenn wir praktische Quantencomputer bauen wollen", sagt Oskar Painter, Leiter der Quantenhardware-Abteilung bei AWS. "Genau das haben wir mit Ocelot getan. Wir haben nicht eine bestehende Architektur genommen und dann versucht, die Fehlerkorrektur nachträglich einzubauen. Wir haben unser Qubit und unsere Architektur so ausgewählt, dass die Quantenfehlerkorrektur die wichtigste Voraussetzung ist."

Das Forschungsteam um Harald Putterman benutzte in seinem Experiment sogenannte Cat-Qubits aus supraleitenden Schaltkreisen, die gegen eine bestimmte Art von Rauschen resistent sind. So mussten die Forscher nur eine zweite Sorte von Fehlern mit Codes korrigieren. Laut eigenen Angaben könnte Quantenfehlerkorrektur so mit 90 Prozent weniger Ressourcen implementiert werden im Vergleich zu konventionellen Methoden. Die wissenschaftlichen Hintergründe veröffentlichte das Team bereits am Mittwoch im Fachmagazin Nature.

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Diese Meldung wurde aktualisiert, nachdem AWS in einem Blogbeitrag den Namen seines Chips bekannt gegeben hat. Es wurden Zitate von Oskar Painter und weiterführende Informationen zum Chip ergänzt.

Der Grund für die hohe Fehleranfälligkeit von heutigen Quantencomputern ist die labile Natur ihrer Grundbausteine, der Qubits. Zwar versuchen Entwickler, ihre Qubits so stabil wie möglich zu fertigen, jedoch geht die in ihnen gespeicherte Information unweigerlich mit der Zeit verloren. Zusätzlich entstehen Fehler bei der Ausführung von Rechenoperationen, sodass Ergebnisse verrauschen und unbrauchbar werden.

Dies zu verhindern, ist das Ziel der Quantenfehlerkorrektur. Die Grundidee ist es, eine große Zahl von Qubits miteinander zu kombinieren und die Information über alle Qubits zu verteilen. Zusätzliche Rechenschritte ermöglichen es dann, Fehler zu erkennen und zu korrigieren, ohne die eigentliche Berechnung zu beeinträchtigen. Gemeinsam bilden diese physischen Qubits ein fehlerkorrigiertes logisches Qubit.

Experten schätzten bisher, dass tausende physische Qubits nötig sein könnten, um ein fehlerkorrigiertes, logisches Qubits zu erzeugen. Kommerziell relevante Quantencomputer könnten daher Millionen physische Qubits benötigen, um signifikante Probleme zu lösen – Größenordnungen mehr als heutige Quantenhardware zur Verfügung stellt.

Der erste Quantenchip von Amazon Web Services trägt den Namen "Ocelot".

(Bild: AWS)

"Bei der Entwicklung von Quantencomputern geht es momentan viel um Fehlerkorrektur", sagt Hannes Bernien, Physik-Professor der Universität Innsbruck und wissenschaftlicher Direktor am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation in Innsbruck. So demonstrierte etwa ein Forschungsteam um Julian Kelly von Google Quantum AI Ende 2024 erstmals die effektive Korrektur von Quantenfehlern. Das Team konstruierte ein logisches Qubit aus 17, 49 und 97 physischen Qubits und zeigte so, dass sich der Fehler des logischen Qubits exponentiell verringerte, wenn mehr Qubits zusammenarbeiteten. Mit noch größeren Qubit-Zahlen ließe sich die Fehlerquote noch weiter drücken.

Harald Putterman von AWS verfolgt mit seinem US-amerikanisch-israelischen Team einen anderen Ansatz. Sie benutzen sogenannte Katzenzustände, oder "Cat-Qubits", um die Informationen zu kodieren. Diese sind benannt nach dem berühmten Gedankenexperiment um Schrödingers Katze. Auch der Name des Chips ist eine Anspielung darauf: Ein Ozelot ist eine Raubkatze aus Mittel- und Südamerika.

Ozelots leben in Amerika und gehören zu den Pardelkatzen.

(Bild: Flickr/Eric Kilby)

"Herkömmliche Qubits sind Zwei-Zustand-Systeme. Sie können zum Beispiel in zwei verschiedenen Energiezuständen vorliegen", erklärt Bernien. Diese zwei Zustände werden normalerweise als 0 und 1 bezeichnet. "Die hier verwendeten Cat-Qubits sind bosonische Qubits. Hier sind die Energiezustände die eines harmonischen Oszillators." Dieser hat nicht nur zwei Zustände, sondern unendlich viele, ähnlich wie eine unendlich lange Leiter.

Um diese in einen Katzenzustand zu bringen, überlagern die Forscher zwei möglichst gegensätzliche Zustände – ähnlich zu Schrödingers Katze, die gleichzeitig tot und lebendig ist. Solche Überlagerungen heißen fachsprachlich Superposition. Die beiden Möglichkeiten entsprechen den binären Zuständen 0 und 1, ihre Superposition ist der Katzenzustand.

Der Vorteil dieser speziellen Cat-Qubits ist, dass sie sehr robust gegenüber einer bestimmten Art von Fehlern sind, den sogenannten Bit-Flip-Fehlern. Hierbei klappt ein Qubit mit der Zeit zufällig zwischen den beiden Schalterpositionen 0 und 1 hin und her, etwa aufgrund von Zerfallsprozessen. "Durch geschicktes Enkodieren eines Qubits in ihrem großen Zustandsraum sind die Cat-Qubits sehr robust gegenüber Bit-Flip-Fehlern", sagt Bernien. Daher ist keine zusätzliche Korrektur dieser Fehler notwendig.

"Der Ansatz der Cat-Qubits ist nicht neu und es konnte in den letzten Jahren bereits gezeigt werden, dass sie recht stabil sind. Das Interessante an der neuen Veröffentlichung ist, dass mehrere Cat-Qubits miteinander kombiniert wurden", sagt der Forscher. Grund dafür ist, dass Cat-Qubits sehr anfällig auf eine andere Art von Fehlern sind, die sogenannten Phasenfehler. Diese sind besonders relevant, wenn sich Qubits in Überlagerungszuständen befinden, wie es bei den Cat-Qubits der Fall ist.

Am AWS Center for Quantum Computing arbeiten viele Ingenieure gemeinsam an der Entwicklung eines Quantencomputers.

(Bild: AWS)

Indem sie mehrere Cat-Qubits miteinander kombinieren, können die Forscher einen sogenannten Wiederholungs-Code ausführen und Phasenfehler korrigieren, wie Michael Hartmann, Professor für Theoretische Physik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, erklärt. "Dabei wird zum Beispiel statt einer 1 eine 111 in drei Qubits gespeichert. Wenn auf einem Qubit ein Bit-Flip-Fehler auftritt – der dessen 1 zu einer 0 macht – erkennt man an den anderen beiden Einsen, dass ein Fehler passiert sein muss, der sich korrigieren lässt." Im Gegensatz zum Surface Code, den etwa die Google-Forscher verwendet haben, ist diese Form der Fehlerkorrektur einfacher aufgebaut und lässt sich mit einer linearen Kette von Bausteinen realisieren.

Auf diese Weise benötigen die Forscher sehr viel weniger Qubits, um Fehler zu korrigieren. "Man erwartet, dass bei supraleitenden Qubits mehrere tausend Qubits notwendig sind, um die Information ausreichend redundant abzuspeichern, sodass alle Fehler korrigiert werden können", sagt Hartmann. AWS sagt, ihr Ansatz habe das Potenzial fünf- bis zehnmal weniger Ressourcen zu benötigen als solch konventionelle Methoden zur Fehlerkorrektur.

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Ocelot besteht aus 14 Kernkomponenten: fünf Daten-Qubits (die Cat-Qubits), fünf Pufferelemente und vier zusätzlichen Hilfsqubits. Die Pufferelemente stabilisieren die Cat-Qubits und korrigieren etwaige auftretende Bit-Flip-Fehler. Die Hilfsqubits detektieren und korrigieren Phasenfehler mithilfe des Wiederholungs-Codes.

Die Qubits bestehen aus supraleitenden Schaltkreisen, ähnlich zu den Qubits, die etwa Google und IBM verwenden. Diese nutzen Mikrowellenresonatoren, in denen sich Photonen befinden. Diese Photonen werden überlagert und bilden gemeinsam ein Cat-Qubit. Je mehr Photonen pro Cat-Qubit überlagert werden, desto stärker werden Bit-Flip-Fehler unterdrückt. Gleichzeitig erhöht sich dabei aber die Zahl der Phasenfehler. "Im besten Fall kann mit diesem Ansatz in Zukunft ein 'Sweet-Spot' gefunden werden, in dem die Bit-Flip-Fehler lange genug für Berechnungen unterdrückt und Phasenfehler korrigiert werden können", sagt Bernien.

Ihre Qubits fertigen die Forscher im AWS Center for Quantum Computing aus supraleitenden Schaltkreisen.

(Bild: AWS)

In ihrer Publikation zeigen die AWS-Forscher, dass sie mithilfe von fünf Cat-Qubits die Fehlerrate auf 1,65 Prozent pro Rechenzyklus reduzieren konnten; mit drei Cat-Qubits waren es 1,75 Prozent. "Wir haben den Chip immer wieder gemessen, um zu sehen, wie lange er Quanteninformationen speichern kann", erklärt AWS-Hardware-Chef Painter. "Ich bin davon überzeugt, dass dieser Ansatz tragfähig ist, und er wird uns erhebliche technische Vorteile bringen, wenn wir noch größere, leistungsfähigere Systeme aufbauen wollen."

Die Fehlerrate des Chips liege unter dem relevanten Schwellenwert für Fehlerkorrektur, sagt Stefan Filipp, Professor für Technische Physik der Technischen Universität München (TUM). "Mit einer Fehlerrate von etwas mehr als 1,5 Prozent für ein logisches Qubit ist diese jedoch noch immer hoch und zukünftige Verbesserungen müssen diese Fehlerrate signifikant reduzieren, bevor tatsächlich praktische Algorithmen durchgeführt werden können."

Darüber hinaus brauche es sehr viel größere Systeme, sagt Filipp. Laut den Autoren habe das Verfahren das Potenzial, effizient zu skalieren. Sie weisen jedoch darauf hin, dass sie ihren Ansatz weiter optimieren müssten, um die Leistung zu verbessern und praktische Relevanz zu zeigen. Der Vorteil sei, so Filipp, dass die Forscher das Skalierungspotenzial von supraleitenden Qubit-Plattformen direkt ausnutzen könnten, da von diesen bereits mehrere hundert Qubits realisiert wurden. Auch eignet sich diese Architektur prinzipiell gut für die Massenfertigung mit Mikro- und Nanofabrikationsverfahren.

Die Quantenchips von AWS stecken in einem Kryostat, um die Qubits auf sehr tiefe Temperaturen zu kĂĽhlen.

(Bild: AWS)

Auch nutzen die Forscher die Cat-Qubits noch nicht für Rechenoperationen, bemerkt Hartmann. "Es wurden noch keine Algorithmen auf Cat-Qubits durchgeführt", im Gegensatz zu anderen Architekturen. "Der weitere Erfolg von Cat-Qubits wird stark davon abhängen, wie gut die Skalierung wirklich gelingt und wie gut sich die Eigenschaft, dass ein Fehlertyp fast nicht auftritt, in allen Gatter- und Ausleseoperationen erhalten lässt. Diese Dinge sind noch nicht ausreichend realisiert."

Bernien sieht jedoch den großen Vorteil der Cat-Qubits darin, dass man für ein fehlerkorrigiertes, logisches Qubit weniger physikalische Cat-Qubits braucht als herkömmliche Qubits. "Das ist ein lohnender Ansatz, wenn man bedenkt, dass es nicht trivial ist, Qubits herzustellen und zu kombinieren", sagt er. Einen Durchbruch sieht er noch nicht in der Arbeit. Die Forscher hätten aber immerhin demonstriert, dass ihr Ansatz zur Fehlerkorrektur prinzipiell experimentell funktioniert. "Sie zeigen, dass es sich lohnen kann, auch andere Arten von Qubits zu betrachten."

(spa)