Missing Link: Quick Commerce in Indien – Amazon und Walmart sind Schlusslichter

Zehn Minuten Lieferzeit fĂĽr ein iPhone: in Indien normaler Quick Commerce-Alltag. Amazon und Walmart haben den Trend verpasst. Doch noch ist nichts entschieden.

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Eingang in ein Geschäftslokal ohne Aufschrift; davor Kisten, Motoroller und ein paar junge Inder

Ein Quick Commerce Dark Store mit Motorrädern der Lieferfahrer. Andere dürfen nicht hinein.

(Bild: Pratima Harigunani)

Lesezeit: 17 Min.
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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Hinweis: The original English version of this article is available as well.

Ein Samstagnachmittag im Winter: Ich sehe mir eine Zaubershow im Fernsehen an. Gerade als der Zauberer ein Kaninchen aus dem Hut zaubern will, verspüre ich den Drang, etwas zu naschen. Ich greife zum Telefon und bestelle eine Tüte Chips über eine Q-Commerce-App. Es vergehen nur ein paar Minuten, kaum habe ich das Telefon wieder auf den Tisch gelegt, höre ich den Piepton. Der Lieferfahrer ist schon da!

Getreu dem Versprechen, schnell zu liefern. Und meine TĂĽte Chips (mit etwas Luft) ist in meinem SchoĂź, bevor das Kaninchen aus dem Hut des Zauberers ist. Ăśbrigens lebe ich Indien, aber nicht in einer Millionenstadt, sondern in einer Stadt mit weniger als 100.000 Einwohnern. Manche wĂĽrden diese Art von Dienstleistung als echte Magie bezeichnen. In Indien bezeichnen wir es derzeit lieber als Quick Commerce (QC).

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Das Phänomen ist real und verblüffend. In Indiens Einzelhandelsbranche sind blitzschnelle Sofortlieferdienste aufgetaucht: Blinkit, Zepto, Swiggy Instamart, BigBasket und so weiter. Einige sind Ableger von Lebensmittel-Lieferriesen (wie das von Zomato übernommene Blinkit und Swiggys Instamart), andere sind neu dabei, und wieder andere schicken sich an, den Kampf aufzunehmen (Ola, Flipkart Minutes, Satvacart, Jiomart). Nichtsdestotrotz lohnt sich ein genauerer Blick auf die plötzlich aufstrebende QC-Branche. Wie schaffen es diese Apps, Dinge im Handumdrehen an die Haustür zu beamen? Und werden sie überleben?

Die ersten QC-Versuche in Indien begannen 2018 in ausgewählten Städten. Während der COVID19-Pandemie hat der Sektor dann seinen großen Aufschwung erlebt.

Operativ fühlt sich ein QC-Backend wie eine reale Version jener Fernsehserie an, in der ein Kind einen magischen Bleistift hatte, der alles, was er zeichnete, sofort zum Leben erwecken konnte, wie Manoj Gupta, Vizepräsident für IT bei Restaurant Brand Asia (früher bekannt als Burger King India), treffend beschreibt. Dieses E-Commerce-Modell hängt von der Anzahl und dem Standort der Dark Stores/Ghost Stores ab. Bei diesen Stores handelt es sich um kleine Supermärkte mit einer Fläche von 200 bis 400 Quadratmetern, die für eine große Auswahl an Waren optimiert, aber nicht für die Öffentlichkeit zugänglich sind. Es gibt sie nur, damit Lieferfahrer die Waren abholen können. Diese Dark Stores werden von größeren Mutterhäusern unterstützt und befinden sich in Gebieten mit hoher Dichte an potenziellen Kunden mit mittlerem und hohem Einkommen.

Das Marktpotenzial

Nach Angaben der Business Research Company soll der indische QC-Markt von 100 Milliarden Euro im Jahr 2024 über 125 Milliarden Euro im Jahr 2025 auf 307 Milliarden Euro im Jahr 2034 anwachsen. Einigen Schätzungen zufolge wird dieser Markt in Indien im Jahr 2024 etwa 2,9 Milliarden Euro betragen und könnte bis 2029 fast zehn Milliarden Euro erreichen.

Und während der herkömmliche Supermarkt darauf ausgelegt ist, die Zeit seiner Kunden zu verschwenden, indem er sie so weit wie möglich in den Laden hineinführt, damit sie an möglichst vielen Artikeln vorbeikommen, die nicht auf Ihrer ursprünglichen Einkaufsliste stehen, sind Dark Stores anders: Ihr Layout ist auf Geschwindigkeit optimiert.

Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass der Warenbestand auf eine kleinere Auswahl beschränkt ist, die in hohem Maße rotiert. Bestimmte Artikel oder Artikelpakete können sogar nur für ein einziges Kricketspiel geführt werden.

Die Inventarverwaltung ist ein entscheidender Bestandteil, der die minutenschnelle Lieferung möglich macht. Auf Lösungen "von der Stange" bei ERPs (Enterprise Resource Planning) und anderen IT-Systemen lässt sich hier nicht mehr setzen. "Bei QC geht es darum, etwas in kürzester Zeit zu liefern, also muss auch das Back End beim Abrufen von Informationen blitzschnell sein. Es muss durchgehend integriert sein, von der Beschaffung über die Lagerhaltung und den Verkauf bis hin zu den Lieferungen und dem CRM (Customer Relationship Management) – und es muss wirklich schnell sein", bemerkt Presence 360, ein Anbieter von Back-End-Software, einschließlich ERP.

Die meisten Bestellungen werden von jungen, berufstätigen, komfortorientierten Indern aufgegeben und sind oft ungeplante Einkäufe. Der durchschnittliche Bestellwert liegt bei 600 Rupien, was etwa 6,60 Euro entspricht. Weitere Einnahmen stammen aus Werbung in den Bestell-Apps und aus Gebühren (Liefergebühren, Bearbeitungsgebühren, Plattformgebühren, Gebühren für kleine Bestellungen). QC-Plattformen erzielen auch Marktplatzprovisionen und Einnahmen aus Lagerdienstleistungen (bezahlt von Lieferanten), im Gegensatz zu anderen Einzelhandelsformaten (sowohl online als auch offline), die sich stark auf die von den Marken/Lieferanten angebotenen Produktmargen stützen.

Bei den Dark Stores ist ein deutlicher Rückgang der Kosten pro Bestellung zu verzeichnen, sowohl bei der Warenanlieferung, Lagerhaltung als auch der Lieferung an Kunden. Die Immobilienkosten sind – momentan – keine große Belastung für die Budgets, da die Mieten für Dark Stores in der Regel günstig sind. Schließlich können sie in Hinterhöfen oder Kellern von Industrie-/Gewerbegebäuden eingerichtet werden, da die Läden nicht für die Öffentlichkeit da sind. Auch die Gewinnung neuer Kunden ist nicht teuer, sind nicht hoch, da QC den Markt für Lebensmittellieferungen gut ergänzt.

Ein neuer Dark Store kann jedoch Vorabinvestitionen von etwa acht bis neun Millionen Rupien (88.000 bis 100.000 Euro) erfordern, was Investitionen in Regale, Gefrierschränke, Kühlgeräte, Überwachungskameras und IKT-Infrastruktur umfasst. Vinay A V, Senior Director of Retail Media Business beim Unternehmen für maschinelles Lernen Moloco, schildert, wie die Plattformen in der Anfangsphase versuchten, Produkte direkt von nahegelegenen Kirana-Läden (Lebensmittelgeschäften) zu beziehen: "Dies brachte jedoch Probleme mit der Skalierbarkeit und dem begrenzten Sortiment. Durch die Umstellung auf Dark Stores konnten die QC-Plattformen eine größere Produktauswahl anbieten, von Skaleneffekten profitieren und ihre Rentabilität verbessern. Die Einführung eines Franchisemodells für Dark Stores beschleunigte die Skalierbarkeit dieser Plattformen weiter."