Teleclinic: 30-Prozent-HĂĽrde bei der Videosprechstunde sollte abgeschafft werden
Ab heute wird es für Versicherte schwieriger, etwa eine AU vom Online-Arzt zu erhalten. Im Interview mit Teleclinic geht es um Kritik und eine mögliche Lösung.
(Bild: DC Studio/Shutterstock.com)
Nachdem die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen neue Qualitätsstandards für die Videosprechstunde festgelegt hatten, gelten ab dem 1. März neue Regeln. Damit ist es künftig nicht mehr möglich, dass Patienten Videosprechstunden ausschließlich dafür nutzen, um eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung oder Rezepte für süchtig machende Medikamente zu erhalten.
Zudem müssen Terminvermittlungsdienste ab September 2025 Patienten vorrangig einen Termin bei einem Arzt in Wohnortnähe vermitteln, auf dem Land gilt etwas mehr Kulanz. "Dass beispielsweise ein Arzt in Bayern Patienten an der Ostsee oder im Harz per Video behandelt, sollte dagegen eher die Ausnahme sein – jedenfalls, sofern näher gelegene Ärzte für Videosprechstunden zur Verfügung stehen", so die KBV. Damit kommen die KBV und der GKV-Spitzenverband einem gesetzlichen Auftrag nach.
Bisher dürfen Ärzte und Psychotherapeuten maximal 30 Prozent ihrer Behandlungsfälle und Leistungen pro Quartal ausschließlich per Video durchführen. Da soll sicherstellen, dass die Videosprechstunde ein ergänzendes Werkzeug bleibt und nicht den persönlichen Arzt-Patientenkontakt ersetzt.
In einem nächsten Schritt soll laut KBV "der Umfang, in dem Videosprechstunden angeboten werden, neu festgelegt werden". Das passiert sehr zum Ärger der Telemedizin-Plattformen wie Teleclinic, denn für diese bedeuten die neuen Regeln zusätzliche Einschränkungen. "Damit Telemedizin Lücken in der Versorgung abfedern kann und einen echten Nutzen für die Versicherten stiftet, muss sie räumliche Grenzen überwinden und – wann immer möglich – bundesweit verfügbar sein", sagt die Geschäftsführerin des Spitzenverbands Digitale Gesundheitsversorgung, Dr. Anne Sophie Geier (PDF).
(Bild:Â Teleclinic)
Ärztinnen wie Laura Dalhaus begrüßen die neuen Regeln. Ihrer Ansicht nach nutzen Anbieter wie Teleclinic, das 2020 von Docmorris aufgekauft wurde, das System aus, da sie in der Regel die unkomplizierten Fälle behandeln. Julian Simon von Teleclinic erklärt, warum er die Kritik teilweise nachvollziehen kann, diese sich aber nicht gegen die Plattformen, sondern gegen das Vergütungssystem richten sollte.
Wie funktioniert das Modell von Teleclinic?
Teleclinic bietet für niedergelassene Ärzte in Deutschland die Möglichkeit, telemedizinische Leistungen flexibel und ortsunabhängig anzubieten. Durch diese Flexibilität können zusätzliche Versorgungskapazitäten freigesetzt werden. Beispielsweise für Ärzte, die aktuell auf Teilzeitlösungen ausweichen, wie Eltern oder in überversorgten Gebieten leistungsbegrenzt sind oder in der Rente nicht mehr eine Praxis betreiben. Dies kann neue beziehungsweise zusätzliche personelle ärztliche Ressourcen freisetzen und somit ein wichtiges Element sein, um zukünftig die drohende Versorgungslücke zu schließen.
Patienten können über die Teleclinic-Plattform die angebotenen telemedizinischen Leistungen in Anspruch nehmen. Dies führt dazu, dass Patienten in strukturschwachen Gebieten über räumliche Entfernung hinweg versorgt werden oder spezialisierte Expertise unabhängig vom Wohnort oder Mobilität den Patienten zur Verfügung steht.
Das geht aber dann auch nur, wenn die Ärzte bisher nicht ihre 30-Prozent an telemedizinischen Leistungen erbracht haben. Wissen Sie, warum das so ist?
Diese Frage stelle ich mir genauso und habe leider auch keine Antwort darauf. Und daher ist auch unsere Position, warum wir sagen: Die Selbstverwaltung hat hier den gesetzlichen Auftrag verfehlt. Man lässt die Begrenzung drin und macht zusätzliche regulatorische Hürden, die dann vielleicht größere Unternehmen stemmen können, die aber für neue Marktteilnehmer eine Hürde bedeuten, in den Markt einzusteigen. Diese 30-Prozent-Hürde sollte in unseren Augen klar aufgelöst werden. Jedoch hat der Gesetzgeber mit dem Digital-Gesetz eindeutig vorgegeben, dass die Videosprechstunde umfassend eingesetzt und leichter genutzt werden soll, sowie die bestehende Begrenzung von 30-Prozent aufgehoben werden muss. Denn das Ziel ist, dass mit der Ermöglichung von Telemedizin in weitem Umfang auch die Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen gefördert wird.
Wie viele Patienten werden auf diese Weise versorgt?
Wir gehen davon aus, dass ungefähr ein Drittel aller Indikatoren der Patienten aus der Hausarztpraxis telemedizinisch sinnvoll versorgt werden können. Die restlichen 70 Prozent erfordern eine Vor-Ort-Behandlung. Und das versuchen wir auch an der App auf Patientenseite mit unserem Fragebogen vorzuselektieren. Das ist auch die Idee der strukturierten Ersteinschätzung, damit wir wirklich nur die Anliegen identifizieren, die wirklich sinnvoll telemedizinische behandelt werden können.
Können Sie die Kritik der Ärzte nachvollziehen?
Ja, inhaltlich können wir diese teilweise nachvollziehen, allerdings müsste sich diese an die bestehende Regulatorik und das System richten. Denn wir arbeiten ausschließlich mit niedergelassenen Ärzten in Deutschland zusammen. Es sind mittlerweile 4000 Ärzte, die bundesweit in Deutschland ihre Praxis haben und jeden Tag auch vor Ort Patienten versorgen. Die niedergelassenen Ärzte unterliegen entsprechenden berufsrechtlichen Vorgaben und nutzen unseren zertifizierten Videodienst als Ergänzung.
Es heißt, dass dann die leichten Fälle mit ein bisschen Husten und Kopfschmerzen zu Teleclinic gehen und dann zunehmend vor allem die schwierigen Fälle in die Arztpraxen kommen?
Es sind zum Teil Krankschreibungen, es sind zum Teil Erkältungserkrankungen, aber es sind auch immer speziellere Erkrankungen beziehungsweise Patientenanfragen, die über die Plattform Zugang zu Spezialisten und Fachärzten finden. Und vor allem jetzt, mit dem E-Rezept, ist das noch effektiver, und es können sich viele telemedizinische Behandlungsmöglichkeiten jetzt erst entwickeln, die ohne das E-Rezept nicht möglich waren. Wir sehen dadurch, dass es mehr Patienten gibt, die sich bei uns ein Rezept verschreiben lassen.
Natürlich richtet sich das Plattform-Angebot primär an Patienten mit akuten Beschwerden, die telemedizinisch behandelbar sind. Multimorbide Chroniker haben häufig eine sehr enge Beziehung zu ihrem Hausarzt oder ihrer Hausärztin. Das ist auch der absolut richtige Weg für diese Erkrankten. Die einhergehende Kritik im Zusammenhang mit der Vergütung teilen wir uneingeschränkt. Wir sind auch der Ansicht, dass die Quartalspauschale nicht der richtige Vergütungsmechanismus für diese Arzt-Patienten-Beziehung ist.
Allerdings finden wir es auch falsch, das Problem bei den Telemedizinanbietern zu suchen, wenn aktuell die Videosprechstunden 0,3 bis 0,4 Prozent der jährlichen Arztkontakte ausmachen. Wünschenswert wäre, dass sämtliche Systeme gleichlaufend mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen angepasst werden, insbesondere die Vergütungsstrukturen. Es sollte allen Ärzten ermöglicht werden, Telemedizin sinnvoll ergänzend einsetzen zu können, um damit Effizienzen und Kapazitäten zu steigern. Denn auch dies ist ja ein Bedürfnis der Ärzte: mehr Zeit für die Fälle, die diese auch brauchen.
Wie sähe Ihre Lösung aus?
Ich denke, ein gutes Vergütungssystem funktioniert so, dass die Vorteile der Telemedizin vollkommen genutzt werden können, ohne dass Nachteile für andere Versorgungsformen entstehen.
Für akute Fälle kann man sich hier am Abrechnungsmechanismus des Bereitschaftsdienstes orientieren. Dort geht es auch darum, Patienten in einer akuten Situation zu helfen. Natürlich sollten sie dann für diese eine Behandlung nicht das ganze Quartalsgeld erhalten.
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Wir handeln derzeit nach den Regeln, die uns die Selbstverwaltung vorgibt – nach den gleichen Abrechnungsmöglichkeiten. Ich kann verstehen, dass die Abrechnung über die Pauschalen für die überregionale Akutversorgung nicht die beste Lösung ist.
Eine Lösung wäre also, die Quartalspauschalen abzuschaffen?
In der telemedizinischen Akutversorgung, wenn kurzfristig ein ärztlicher Rat benötigt wird, wäre ein Abrechnungsmechanismus sinnvoll, der nur diese eine Behandlung vergütet – selbstverständlich niedriger als die Pauschale, die nicht nur für die einmalige Behandlung in diesem Quartal ausgelegt ist.
Wie stellen Sie bei den flĂĽchtigen Arzt-Patienten-Kontakten sicher, dass kein Missbrauch der Plattform kommt, etwa bei verschreibungspflichtigen Medikamenten?
Wie vor Ort auch unterliegt die Ausstellung eines Rezeptes oder einer AU dem ärztlichen Ermessen des behandelnden Arztes. Basierend auf der Anamnese und dem Videogespräch mit dem Patienten stellt der Arzt eine Diagnose, aus der er die Therapie ableitet. Sofern eine gesicherte Diagnose gestellt werden kann und ein Medikament zur Therapie notwendig ist, wird es verschrieben. Der Arzt kann im Rahmen der Berufs- und Therapiefreiheit völlig frei entscheiden, wie er den Patienten behandelt. Wir haben einen hohen Anspruch an die Qualität von Teleclinic und die behandelnden Ärzte sind erfahren. Gerade bei suchttreibenden Medikamenten sind die Ärzte, die unsere Plattform nutzen, sehr vorsichtig.
Das ist ab März mit der neuen Vereinbarung der gesetzlichen Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ja nicht mehr möglich?
Ja. Wir bilden da immer die aktuelle Rechtslage ab. Mit der neuen Regulatorik wird es den Ärzten nicht mehr möglich sein, suchttreibende Medikamente und Betäubungsmittel zu verordnen.
Außerdem muss bei Einsatz von Terminvermittlungslösungen in der Regelversorgung bei unbekannten Patienten eine strukturierte Ersteinschätzung vorausgehen, welche diesen in die richtige Versorgungsebene steuern soll. Es soll dabei unter anderem bewertet werden, ob der Fall sinnvoll telemedizinisch behandelbar ist oder nicht.
Was wir als nicht zielführend erachten, ist der regionale Fokus, der in den Qualitätskriterien gesetzt wird. Auf der einen Seite haben wir viele Regionen, die sehr gut versorgt sind, und auf der anderen Seite viele stark unterversorgte Regionen. Telemedizin, und das ist ursprünglich auch die Idee des Gesetzgebers und das Kernelement der Telemedizin, soll die Versorgung dahin bringen, wo nicht so viele Versorgungsmöglichkeiten sind. Hieraus ergibt sich zudem ein Widerspruch, einerseits soll eine Priorisierung allein an der medizinischen Behandlungsbedürftigkeit stattfinden, andererseits sollen Termine vorrangig an Patienten in unmittelbarer Nähe vergeben werden. Zumal in der neuen Vereinbarung auch geregelt wurde, dass eine Anschlussversorgung unter anderem durch den Verweis in die richtige Versorgungsebene gewährleistet ist. Daher wäre unserer Ansicht der Vorrang der Regionalität vor medizinischer Behandlungsbedürftigkeit nicht gerechtfertigt. Nichtsdestotrotz werden wir Mechanismen umsetzen, die den regionalen Fokus sicherstellen.
Haben Sie auf Ihrer Plattform auch "Stammkunden"?
Ja, manche Patienten kamen bisher regelmäßig, die Zahlen deuten insgesamt aber darauf hin, dass oft auch Arztbesuche in der Praxis vor Ort stattfinden, nicht alle Indikationen sind sinnvoll telemedizinisch abbildbar. Es ist nach wie vor nur eine Ergänzung und kein Ersatz der hausärztlichen Versorgung.
Was planen Sie fĂĽr die Zukunft?
Mit der Einführung der ePA entsteht ein großer Mehrwert für die Versorgung und vor allem für die Telemedizin. Leider gibt es aktuell noch keine technische Möglichkeit, die ePA aus der Ferne zu befüllen. Wir arbeiten hier mit Krankenkassen an klassenspezifischen Lösungen. Darüber hinaus bauen wir unser Ärztenetzwerk weiter aus, um den regionalen Fokus der telemedizinischen Behandlungen und eine gute Anschlussversorgung sicherzustellen. Unsere Vision ist, medizinische Leistungen für alle jederzeit und überall verfügbar zu machen – unabhängig von Wohnort, Zeit oder anderen Einschränkungen. Über die Therapie und damit auch über die Ausstellung eines E-Rezepts entscheidet allein der behandelnde Arzt.
Sind telemedizinische Behandlungen in Apotheken in Zukunft möglich?
Gerade in unterversorgten Regionen tragen Apotheken zu einer guten Versorgungsstruktur bei. Apotheker berichten von Patienten, die hereinkommen und ein verschreibungspflichtiges Medikament benötigen. Für die Zukunft wäre es natürlich gut, wenn Patienten dann direkt in der Apotheke telemedizinisch behandelt werden können und bei entsprechender Indikation ein Rezept erhalten. Allerdings ist das kein Thema, das wir aktiv verfolgen.
Also wird man bei Ihnen keine E-Rezept-Werbung mit GĂĽnther Jauch sehen?
Sicherlich nicht. Teleclinic garantiert die freie Apothekenwahl für den Patienten. Wenn ich beispielsweise sofort ein Medikament benötige, dann gehe ich mit hoher Wahrscheinlichkeit in die nächste Apotheke vor Ort, weil ich es dann sofort habe und nicht auf den nächsten Tag warten muss. Der Patient entscheidet letztlich vollkommen frei.
(mack)