D-Wave verkündet Quantenüberlegenheit – zu Unrecht?
Mit einem Quanten-Annealer will D-Wave einen Supercomputer geschlagen haben. Erstmals soll das dabei gelöste Problem nützlich sein.
D-Wave’s Advantage2
(Bild: D-Wave)
Die Firma D-Wave Quantum Inc. mit Sitz in Palo Alto, Kalifornien, verkündete am Mittwoch, erstmals mit einem Quantenrechner ein nützliches Problem gelöst zu haben, das die Fähigkeiten von klassischen Supercomputern übertrifft.
Die D-Wave-Maschine soll eine Simulation in wenigen Minuten ausgeführt haben, für die ein Supercomputer nahezu eine Million Jahre und mehr Energie benötigen würde, als die gesamte Weltbevölkerung in einem Jahr verbrauche. Die Ergebnisse präsentierte das internationale Forschungsteam unter der Leitung von D-Wave in einer am Mittwoch im Fachmagazin Science erschienenen Publikation. Die Forschung baut auf Vorarbeiten aus dem Jahr 2023 auf.
Quantencomputer vs. Supercomputer
In seiner Pressemitteilung betitelt das Unternehmen sein Experiment als Demonstration von Quantenüberlegenheit. Dieser Begriff bezeichnet üblicherweise den Punkt, ab dem Quantencomputer Probleme lösen, die kein klassischer Supercomputer in einer realistischen Zeitspanne lösen könnte. Andere Forscher bevorzugen den weniger politisch aufgeladenen Begriff des Quantenvorteils.
Videos by heise
Immer wieder behaupten Hersteller von Quantencomputern, klassische Supercomputer geschlagen zu haben. Erst im vergangenen Dezember wollte Google mit seinem neuen Quantenchip „Willow“ einen eben solchen Beweis geliefert haben. Googles erste Behauptung von Quantenüberlegenheit aus dem Jahre 2019 wurde nach kurzer Zeit widerlegt. Das Kernproblem dieser Experimente war bislang, dass die gelösten Probleme höchst akademisch waren und keinerlei praktischen Nutzen hatten.
Simulation magnetischer Materialien
Im aktuellen Fall soll dies anders sein. „Unsere Demonstration der Überlegenheit von Quantencomputern bei einem nützlichen Problem ist eine Branchenpremiere. Alle anderen Behauptungen, dass Quantensysteme klassische Computer übertreffen, wurden bestritten oder betrafen die Erzeugung von Zufallszahlen ohne praktischen Wert“, sagt D-Wave-CEO Alan Baratz.
(Bild: D-Wave)
„Dies ist eine hochspannende Arbeit, die an der richtigen Stelle nach Quantenvorteilen sucht“, erklärt auch Jens Eisert, Quantenforscher der Freien Universität Berlin. Die D-Wave-Forscher simulierten in ihrem Experimenten das Verhalten magnetischer Materialien.
Sie untersuchten das Verhalten sogenannter Spingläser, Materialien mit komplexer, magnetischer Ordnung, die für die Forschung, aber auch für das Lösen von Optimierungsaufgaben relevant sind. Zum Beispiel erhoffen sich Wissenschaftler, mit solchen Simulationen neue Materialien erforschen zu können. „Dies sind keine übertrieben wichtigen Modellsysteme für Festkörperprobleme, aber plausible Kandidaten, um einen paradigmatischen Testfall auszuloten“, sagt Eisert.
Quantencomputer und Quanten-Annealer
Klassisch werden solche Optimierungsprobleme mithilfe von Supercomputern simuliert. Die Qubits eines Quanten-Annealers haben aber bereits quantenmechanische Eigenschaften inne, die ein klassischer Computer erst simulieren muss. Dadurch eignen sich Quantenrechner besonders für die Simulation von Quantensystemen.
Eisert erklärt, die D-Wave Maschine sei allerdings „noch kein voller Quantenrechner,“ sondern ein „Quantensimulator, der Modellsysteme aus der Festkörperphysik sehr genau nachstellen kann.“ Ein Quanten-Annealer ist eine spezialisierte Maschine, die dafür konzipiert wurde, Optimierungsprobleme zu lösen, wie zum Beispiel in der Materialforschung, auf dem Finanzmarkt und beim maschinellen Lernen.
Während andere Hersteller noch immer Prototypen von Quantenchips erstellen, verkauft D-Wave seine Quanten-Annealer bereits kommerziell. Seit 2022 steht etwa ein Gerät von D-Wave im Forschungszentrum Jülich. „D-Wave ist in der Vergangenheit oft durch überzogene Behauptungen aufgefallen und ansonsten herrscht eine gewisse Grundskepsis gegenüber dieser Firma“, bemerkt Markus Heinrich von der Universität zu Köln. Trotzdem sei die aktuelle Publikation von der Fachcommunity gut aufgenommen worden.
Im Falle von nur zwei frei wählbaren Parametern kann man sich ein Optimierungsproblem als hügelige Landschaft vorstellen. Die Aufgabe besteht darin, den tiefsten Punkt in der Landschaft zu finden. Echte Probleme hängen jedoch in der Regel von weit mehr Parametern ab: Die schnellste Route von A nach B hängt nicht nur von der Straßenführung ab, sondern auch von Ampelschaltungen, Geschwindigkeitsbegrenzungen, der Verkehrslage und so weiter. Während dies für klassische Computer eine sehr schwierige Aufgabe ist, sind Quanten-Annealer besonders gut darin, das Optimum für solche mehrdimensionalen Probleme zu finden.
Ein Quanten-Annealer besteht aus Quantenobjekten, zum Beispiel aus Atomen oder winzigen Schaltkreisen. Zuerst wird das Optimierungsproblem in die Struktur der Quantenobjekte übersetzt. Dann wird den Teilchen Energie zugeführt. Sie sind dann, vereinfacht gesagt, in allen möglichen Zuständen gleichzeitig. Dann wird das Quantensystem langsam abgekühlt und es rutscht von allein in den energetisch günstigsten Zustand. Dies entspricht der gesuchten, optimalen Lösung des Optimierungsproblems.
Die D-Wave-Forscher simulierten ihr ausgewähltes Problem sowohl auf ihren Maschinen D-Wave Advantage1 und Advantage2, als auch auf dem Supercomputer Frontier am Oak Ridge National Laboratory des Energieministeriums der Vereinigten Staaten. Auf dem Supercomputer nutzte das Team verschiedene algorithmische Methoden, um das Problem zu lösen. Es begann mit einer Anordnung, die bekanntlich gut klassisch simuliert werden kann, steigerte schrittweise die Komplexität und erreichte schließlich den Punkt, an dem der Supercomputer das Problem nicht mehr in einer realistischen Zeitspanne lösen konnte.
Doch kein Quantenvorteil
Die Behauptung der Quantenüberlegenheit sei jedoch gefährlich, warnt Eisert. „Denn nicht nur Quantensimulatoren entwickeln sich weiter, sondern auch klassische Simulationsmethoden.“ So kam es dazu, dass ein Forschungsteam aus New York und Triest vor wenigen Tagen entgegen D-Waves Erwartungen das betrachtete Problem auf einem klassischen Computer simulierte.
Dieses Ergebnis kam etwa ein Jahr, nachdem D-Wave seine Ergebnisse auf dem Pre-Print-Server arXiv vorab veröffentlicht hatte. Ein zweites Team aus Lausanne demonstrierte nur wenig später ein ähnliches Ergebnis. Beide Manuskripte verfolgen unterschiedliche Absätze und erschienen auf arXiv, wurden also bislang nicht von unabhängigen Experten überprüft.
D-Wave-CEO Alan Baratz reagierte nach Veröffentlichung des Artikels auf die Einschätzung der Experten und rechtfertigte die Ergebnisse von D-Wave. "Die in dieser Woche veröffentlichten Arbeiten anderer Physiker kommen nicht annähernd an das heran, was wir mit dem D-Wave Advantage2 Quantencomputer erreicht haben", sagt er. "Diese Manuskripte haben nur einen gemischten Erfolg bei kleinen Simulationen gezeigt und behaupten ohne Beweis, dass sie problemlos auf größere Systeme übertragen werden können." Er weist auf diverse technische Unterschiede zwischen den Simulationen der anderen Gruppen und denen von D-Wave hin.
"Die Forscher verweisen fröhlich auf das, was sie erreicht haben", sagt Baratz. "Was sie jedoch nicht erwähnen, ist, dass dies nur eine kleine Teilmenge dessen ist, was wir erreicht haben. Wir haben tiefgreifendere und umfangreichere Simulationen auf einer größeren Vielfalt von Gittern demonstriert, als es irgendjemand sonst getan hat." Klassische und Quantenberechnungen würden in Zukunft weitere Fortschritte machen, jedoch solle D-Waves Beitrag als ein signifikanter Meilenstein anerkannt werden, der demonstriert, dass Quantencomputer klassische überbieten können.
Trotzdem beurteilt Heinrich die ursprünglich angestellten Vergleiche von D-Wave zu klassischen Algorithmen als fair. „Ich glaube, dass die Abschätzungen durchaus gewissenhaft getätigt wurden. Solche Zahlen sind aber auch immer als Herausforderung zu sehen, bestehende klassische Algorithmen anzupassen und zu verbessern“, sagt er.
Auch Eisert sagt: „Das Rennen zwischen Quanten- und klassischen Rechnern ist gesund, gut und wichtig. Es entwickelt beide Felder weiter.“ Forscher sollten sich aber besser von Aussagen bezüglich eines Quantenvorteils fernhalten. „Das Feld des Quantenrechnens kann indes ruhige Methodenentwicklung – ohne Aufregung und Hype – gut gebrauchen.“
(spa)