Missing Link: Wie kleine japanische Läden digitales Payment nutzen

Japan war einst die Heimat des Bargelds. Das ist teilweise immer noch so, aber nicht nur. Eine kleine Rundreise durch Tokios Peripherie zeigt, warum.

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Auswahl an digitalen Bezahlungsmethoden in einer Bar in Tokio

Auswahl an digitalen Bezahlungsmethoden in einer Bar in Tokio: Klotzen, nicht kleckern.

(Bild: Ben Schwan)

Lesezeit: 8 Min.
Inhaltsverzeichnis

Einst war Japan berühmt dafür, das Land zu sein, in dem Cash noch King ist: Jedem Touristen wurde geraten, sofort nach Ankunft am Flughafen zum nächsten Minimarkt wie 7-Eleven, Lawson oder FamilyMart zu rennen, die sie hier Konbini nennen, um erst einmal ausreichend Bargeld abzuholen. "Ohne Yen geht nichts", hieß es stets – und das Ritual, mit dem man hier Scheine übergibt und das Rückgeld mit einer kleinen Verbeugung fast königlich mit zwei Händen überreicht bekommt, ist ein klassisches japanisches Höflichkeitsklischee.

Und teilweise stimmt das auch noch, beispielsweise, wenn man feststellt, dass man am Bahnhof seine Suica- oder Passmo-Karte fürs Fahren (und die täglichen Kleinigkeiten) an Automaten nur mit Scheinen erwerben und aufladen kann, wenn man nicht weiß, wie das in der Handy-Wallet geht. Und es gibt auch noch diverse klassische Restaurants, wo man immer noch am Slogan "Bares ist Wahres" festhält: Dort sieht man dann verrückterweise nicht selten hochkomplexe Automaten für den Bestellvorgang einzelner Gerichte und Getränke vor der Tür stehen, in die man dann zum Schluss Scheine einführt, weil sie sich noch immer nicht auf Karten verstehen.

"Missing Link"
Missing Link

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Doch sonst hat sich seit der Pandemie eine ganze Menge getan: Auch dank staatlicher Unterstützung rüsteten große wie kleine Läden, Restaurants und Dienstleister mit elektronischen Bezahlmethoden auf. Das führte dazu, dass ich bei meinem letzten Tokiobesuch tatsächlich fast ohne Bargeld auskam. Nur sehr vereinzelt musste meine Rechercheassistenz zum Portemonnaie greifen, um mir ein paar papierene Yen vorzustrecken, weil ich sie im Hotel hatte liegen lassen. Etwa in einem klassischen wie leckeren Soba-Restaurant im Stadtteil Ueno, das aussah, als sei es direkt aus den Achtzigerjahren übrig geblieben, oder bei einem Verkaufsstand für Tempelsouvenirs an einem Schrein.

Kleine Bäckerei in Tokio: In einem solchen Laden hätte man früher bevorzugt mit Bargeld bezahlt.

(Bild: Ben Schwan)

Um mir anzusehen, wie Japan heute zahlt, unternahm ich einen Abendausflug nach Kunitachi. Es ist eine Stadt – Tokio, das gleichzeitig eine Präfektur ist, besteht aus vielen Städten – ziemlich in der Mitte der Hauptstadtregion, die knapp 75.000 Einwohner hat. Es gibt einen schönen modernen Bahnhof im Zentrum, der an der JR-East-Bahnlinie Chuo Line (Rapid) liegt und knapp 35 Kilometer vom Tokioter Hauptbahnhof entfernt ist. Herrscht Kirschblütenzeit, ist die sich direkt daran anschließende Allee besonders hübsch. Wir haben aber an diesem Abend keine Zeit für Bäume, sondern besuchen verschiedene Kneipen und Restaurants und sprechen mit den Besitzern.

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Als Japanneuling muss man wissen, dass das Land stets zwischen Hypermodernität und (teils erschreckend bürokratischer) Tradition pendelt. Das Chatbot-gestützte Robotercafé und der Hochgeschwindigkeitszug im 15-Minuten-Takt treffen – hier etwas überspitzt gesagt – auf Presseabteilungen, die Journalisten auf Bahnhöfen nicht alleine mit dem Handy fotografieren lassen, weshalb man zuvor ein mehrseitiges Faxformular ausfüllen muss, auf dass einem ein Aufpasser beigestellt werde. Doch bis zu einem gewissen Grad macht das auch den Charme Nippons aus, denn was dann letztlich herauskommt, funktioniert einfach. Die Leute sind freundlich, höflich und oft einfach begeistert, einem zu zeigen, was sie leisten. Es gibt noch Stolz auf die eigene Arbeit und die der Firma. Ergo: Es fühlt sich ein wenig so an, wie man sich Deutschland "früher" vorstellt, auch wenn das wohl viel Einbildung ist.

Kreditkarteterminal auf MenĂĽ in Tokioter Restaurant: Nicht mehr das beliebteste digitale Zahlungsmittel.

(Bild: Ben Schwan)

Unser erster Ausflug gleich hinter dem Bahnhof von Kunitachi geht in das Restaurant Fusa. Es ist kaum größer als ein Wohnzimmer und Besitzer Kenjiro Takaku ist gleichzeitig der Koch. Es gibt klassische Meeresgerichte und etwas Fleisch. Dicke Rohre führen die Abluft der Holzkohlegrills nach oben. Ein freundlicher Gast, der aussieht wie ein alter Rock'n'Roller, verzichtet auf unseren Wunsch hin darauf, eine Zigarette anzuzünden, was hier aufgrund der Größe eigentlich erlaubt ist. Takaku berichtet, wie sich seit der Pandemie die Situation verändert hat. Wie so viele hier war er mit deren Start mit weniger Kunden und mehr Außer-Haus-Bestellungen konfrontiert. Und die Kunden, die da waren, griffen vermehrt zu digitalen Zahlungsmitteln. Das klappte auch deshalb gut, weil sich mehr und mehr von Zahlungsterminals freigemacht wird. Japaner waren die Erfinder des QR-Codes, doch den Einsatz als Zahlungsmittel machte ihnen dann China vor. mit WeChat Pay und AliPay. Doch inzwischen stürmt die Softbank-Tochter PayPay (über das in einem künftigen Artikel noch die Rede sein wird) auf den Markt, um diesen Bereich zu erobern. Sie wurde 2018 und damit genau zur richtigen Zeit gestartet.

Tatsächlich ist PayPay auch im Fuso das meistverwendete digitale Zahlungsmittel, obwohl Takaku sowohl Kreditkarten via NFC (inklusive Google Pay und Apple Pay) und das digitale Geld Suica anbietet, dafür sogar jeweils ein eigenes Terminal angeschafft hat. PayPay funktioniert von Handy zu Handy und sogar von Papier zu Handy: Der Kunde scannt einen QR-Code, gibt die Summe ein und zahlt, abgebucht von einem zuvor in der App verknüpften (leider aktuell nur japanischen) Bankkonto. Es ist ein Debitsystem auf QR-Basis. In China nutzen WeChat Pay und AliPay mittlerweile schon Bettler auf der Straße. PayPay profitierte auch davon, dass es anfangs viele Vergünstigungen gab: sowohl für den Verkäufer, der günstige oder auch gar keine Provisionen zahlen musste (im Gegensatz zu den 3 bis 5 Prozent bei Kreditkarten) plus zahlreiche Sonderangebote und Preisreduktion für Nutzer der App.

Ein QR-Code zum Zahlen: Angebotene Zahlungsmöglichkeiten in einem Gastropub.

(Bild: Ben Schwan)

Zweiter Termin unserer kleinen Abendrunde ist bei Masashi Miwa. Der Mann betreibt insgesamt zwei Bars mit Restaurant und sein Laden in Kunitachi ist ein wenig weiter die Straße vom Bahnhof herunter. Eigentlich hat er noch nicht geöffnet, doch wir dürfen ihm bei den Vorbereitungen beobachten. Das Restaurant hat ein gemischtes Strandthema, zumindest ist Sand unter dem Bartisch. Miwa ist Baseballfan und bewundert die von mir gerade frisch erworbene Kappe der Saitama Seibu Lions anerkennend. Um bei ihm zahlen zu können, hat er für Gäste etwas vorbereitet: Ein Plexiglasschild samt Ständer, auf dem (siehe Aufmacherbild) sage und schreibe zwei Dutzend verschiedene Zahlungsmöglichkeiten zu finden sind. Es fehlt praktisch nichts, und das in einem Etablissement, das vielleicht 50 Personen fasst.

"In dieser Gegend", sagt Miwa stolz, "gibt es einige Restaurants und Bars, die noch nicht einmal Kreditkarten akzeptieren, sie arbeiten ausschließlich mit Bargeld." Er selbst sei anfangs vorsichtig vorgegangen, habe sich zunächst ein klassisches Bezahlterminal besorgt. Mittlerweile hat er auf besagte Superkombination umgestellt. Sie wird über einen lokalen Dienstleister namens AirPay offeriert, der All-in-one-Geräte verkauft, die neben klassischen Kreditkarten auch das Japan-only-System Felica unterstützt, auf dem Suica und Co. basieren. Hinzu kommt der Vertrag mit PayPay und die Unterstützung verschiedener mobiler Bezahlmöglichkeiten über die Handyrechnung, die örtliche Provider wie au und Docomo bieten.

Im dritten Restaurant des Abends, einem Gastropub, das italienische mit japanischer Küche kombiniert, schwingt Kohei Miyamoto den Kochlöffel. Auch das "Bico", benannt nach einer Katze Miyamotos, hat ungefähr Wohnzimmergröße, mit einer einzigen langen Reihe vor dem Tresen. Trotz der Tatsache, dass der Laden noch recht neu ist – 2021 wurde er eröffnet – gab es anfangs nur Zahlung per Cash. Doch Miyamoto lernte schnell, dass die Zukunft in Richtung elektronische Bezahlung geht. Die Nachfrage bei den Kunden wurde immer größer, er profitierte von Digitalisierungsprogrammen der Regierung und nicht zuletzt von PayPays günstigen Gebühren. Die Frage ist nun, wie das alles weitergeht.

Trotz Einstiegstarifen und staatlicher Unterstützung kosten digitale Zahlungsmittel Unternehmer stets Provision, die sie irgendwie wieder hereinholen müssen. Aber auch Cash ist nicht kostenlos: Es muss von der Bank geholt und zur Bank gebracht werden und immer mehr Institute verlangen Handling-Gebühren. Der westliche Besucher freut sich jedenfalls, wenn er nach Japan kommt, und in immer mehr auch kleineren Gegenden kein Bargeld dabeihaben muss. Manchmal ist das, was die Läden so annehmen, aber auch verwirrend: Ausgerechnet in einer Filiale der US-Donut-Kette Krispy Kreme wollte man meine Apple Watch nicht als Bezahlungsmittel haben und ich griff zur Suica, beides lustigerweise auf ein und demselben iPhone.

(bsc)