Algorithmische Willkürherrschaft: Zunehmende Überwachung per App im Außendienst
Datenerfassung und algorithmische Kontrolle prägen laut einer Studie den Arbeitsalltag von Beschäftigten im Außendienst derart massiv, dass sie gläsern werden.
(Bild: Gorodenkoff / Shutterstock.com)
Beschäftigte im Außendienst von technischer Wartung bis zu mobilen Pflegediensten werden verstärkt via Smartphone gesteuert und kontrolliert. Im Extremfall werden dabei nicht nur alle Arbeitsschritte über spezielle Apps vorgegeben, sondern auch rigide digital strukturiert und maximal beschleunigt. Zu diesem Resultat kommt der Wiener Internetforscher Wolfie Christl von Cracked Labs im Auftrag der österreichischen Arbeiterkammer in einer Studie zur digitalen Überwachung und algorithmischen Kontrolle von Service-Mitarbeitern via Smartphone.
In der heise online vorliegenden Analyse, die am Dienstagnachmittag veröffentlicht werden soll, hat der auf Fragen der algorithmischen Verhaltensanalyse von Beschäftigten fokussierte Wissenschaftler Außendienst-Software von Microsoft (Dynamics 365 Field Service) und anderen Herstellern wie SAP und L-mobile aus Deutschland sowie Salesforce und Oracle aus den USA untersucht. Zudem hat er Interviews mit Betroffenen und Experten, etwa aus der gewerkschaftlichen Beratungspraxis, geführt.
Eine App gibt im Außendienst Beschäftigten demnach immer öfter digitale Anweisungen über Termine, Fahrziele und vor Ort durchzuführende Aufgaben. Sie zeichnet Daten über Arbeitstätigkeiten, Bewegungen und andere Verhaltensweisen auf. Im Hintergrund sitzen Christl zufolge "mächtige Software-Systeme, die Betrieben bei der Koordination von Terminen und Einsätzen helfen und die Zuweisung von Arbeitsaufträgen automatisieren und optimieren". Führungskräfte und Disponenten im Innendienst könnten Standorte und Arbeitsfortschritte in Echtzeit überwachen, die Arbeitsleistung bewerten und unerwünschtes Verhalten identifizieren.
GPS-Ortung im Minutentakt empfohlen
Microsoft bewirbt etwa Dynamics 365 für den Einsatz in unterschiedlichen Branchen wie Versicherungswirtschaft, Gartenbau und Reinigung. Das System bietet weitreichende Funktionen zur algorithmischen Steuerung. Führungskräfte haben Zugriff auf Berichte, die Auswertungen für Gruppen und einzelne Beschäftigte darstellen – teils in Form von Ranglisten. Eine GPS-Ortung ist optional, wird aber von einigen Funktionen vorausgesetzt. Der US-Softwarekonzern empfiehlt, den Standort alle 60 bis 300 Sekunden zu erfassen. Möglich wird so die algorithmische Zuweisung von Arbeitsaufträgen auf Basis definierter "Optimierungsziele". Die KI-Funktion Copilot ist eingebaut. Die Außendienst-Systeme der anderen einbezogenen Hersteller funktionieren ähnlich.
Microsoft bot – wie auch Oracle – bis vor Kurzem eine KI-basierte Prognose künftiger Arbeitsleistung. Die Redmonder haben dieses Feature mittlerweile aber ohne öffentliche Begründung entfernt. Zuvor hatte eine andere Untersuchung Christls dazu für Wirbel gesorgt.
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Den aktuellen Ergebnissen zufolge schränkt eine detaillierte digitale Strukturierung und Kontrolle von Abläufen die Handlungsspielräume der Beschäftigten ein. "Eine inadäquate digitale Abbildung von Arbeitstätigkeiten kann zu vielfachen Problemen führen", warnt Christl. "Im schlimmsten Fall entsteht eine algorithmische Willkürherrschaft, in der Beschäftigte bei zu engen Zeitvorgaben die starren Anforderungen eines wirklichkeitsfremden und dysfunktionalen Systems erfüllen müssen."
Betriebsräte sollen gegensteuern
Automatisierte Entscheidungen könnten fehlerhaft, diskriminierend oder intransparent sein, oft ohne Einspruchsmöglichkeit, gibt der Autor zu bedenken. Die Verantwortung für Mängel werde aber gern auf die Mitarbeiter abgeschoben. Die starre digitale Steuerung entkoppele Arbeit vom Sinn, was mit einer Entwertung der Tätigkeit und einem Verlust von Erfahrungswissen einhergehen könne. Die Datenerfassung zentralisiere die Kontrolle und verschiebe Machtverhältnisse, was Standardisierung, Rationalisierung und potenziellen Lohndruck begünstige.
Eine rein betriebswirtschaftliche Optimierung führt laut der Studie zu engen Zeitplänen ohne Puffer, wodurch das Risiko von Verzögerungen auf die Beschäftigten abgewälzt wird und bei "kreativer" Systemnutzung Manipulationsvorwürfe entstehen können. Häufige Planänderungen seien mit unvorhersehbaren Arbeitstagen verknüpft und könnten Personalmangel in der Disposition und insgesamt begünstigen.
Überwachung greife generell in die Privatsphäre und Autonomie ein und berge das Risiko von Missbrauch und Misstrauen, moniert Christl. Leistungs- und Verhaltenskontrollen verstärkten den Anpassungsdruck. Insgesamt drohten Stress und negative Auswirkungen auf die Arbeitsgesundheit. Vor allem Betriebsräte hätten aber wichtige Rechte in der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und Arbeitsschutzgesetzen, um dem entgegenzuwirken.
(akn)