Die Geschichte der Götterspiele: Am Anfang war Peter Molyneux

Wie es sich wohl anfühlt, ein allmächtiger Gott zu sein? Diese sechs Spiele geben Normalsterblichen die Möglichkeit, das selbst herauszufinden.

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Covermotiv von "Populous"

(Bild: Bullfrog Productions)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Paul Kautz
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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

In Computer- und Videospielen übernimmt man sehr oft die Rolle eines übermächtigen Wesens: Max Payne fliegt in Zeitlupe durch die Lüfte, B.J. Blazkowicz gewinnt im Alleingang den Zweiten Weltkrieg, Kratos schlitzt sich durch die komplette griechische Mythologie inklusive der Unterwelt. Das ist nichts Ungewöhnliches, denn die "Power Fantasy" ist ein inhärenter Bestandteil des Eskapismus-Gedankens von Spielen.

Die Möglichkeit, einen waschechten Gott zu spielen, findet sich dagegen deutlich seltener. Was vermutlich mit der Komplexität ebendieser Rolle zu tun hat: Die Möglichkeit, Land, Leben, ganze Universen fingerschnipsend aus dem Nichts zu erschaffen, klingt nach einer Menge Arbeit. Weswegen das Genre der Götterspiele auch so angenehm breit gestreut ist.

Was unterscheidet das Götter- vom typischen Strategiespiel oder einer Lebenssimulation? Es sind die Details: Im klassischen Götterspiel steuert man normalerweise keine Truppen oder Einheiten, um die Basen errichten oder Rohstoffe abbauen zu lassen, sondern gibt diese Anweisungen indirekt, oftmals in Form einer körperlosen Hand. Die Anbeter kümmern sich dann selbstständig um die bestmögliche Ausführung dieser Direktiven. Das ist die wichtigste Unterscheidung: Im Götterspiel beeinflusst man die Massen typischerweise, indem man die Welt zu ihren Gunsten verändert – gerne unter Nutzung von übernatürlichen Machtdemonstrationen. Hier ein paar ausgewählte Beispiele für dieses so ungewöhnliche Genre:

Am Anfang war der Peter. Peter Molyneux, um genau zu sein. Der Göttervater, wenn man möchte. Denn er erschuf zusammen mit seinen Bullfrog-Kollegen Glenn Corpes und Les Edgar im Jahr 1989 das erste richtige Götterspiel: "Populous". Der Name ist abgeleitet vom lateinischen Wort für "Menschen" und repräsentiert das zentrale Spielelement. Denn in der Rolle eines allmächtigen Gottes ist es die Aufgabe der Spieler, die virtuellen Menschen, die einen anbeten, blühen und gedeihen zu lassen.

Durch das Heben und Senken der Landschaft ermöglicht man der Bevölkerung das Errichten von Siedlungen.

(Bild: Electronic Arts)

Das macht man, indem man Land abhebt und senkt, und der Bevölkerung dadurch überhaupt erst möglich macht, sich auszubreiten. Gleichzeitig muss man dafür sorgen, dass die himmlische Konkurrenz das nicht hinbekommt. Was man tut, indem man die anderen Völker mit üblen Plagen überzieht – offensichtlich spielt man hier noch einen alttestamentarischen Gott.

"Populous" gilt als das prototypische Götterspiel, da es viele der Standards definiert hat, die danach lange typisch für das Genre waren: Isometrische Grafik, die göttliche Hand als Cursor, kleine Pixelfigürchen, die sich autonom durch die Landschaft bewegen und automatisch Siedlungen errichten, sobald der dafür benötigte Platz verfügbar ist. Außerdem sollte es den Ruf von Bullfrog Productions bzw. Peter Molyneux als einer der wichtigsten Hersteller von Götterspielen zementieren, was zu spielerisch ähnlichen Ablegern wie "Powermonger" (1990) oder "Godus" (2013) und auch direkten Nachfolgern wie "Populous 2" (1991) oder "Populous: The Beginning" (1998) führte.

Erhältlich bei: GOG, Steam

Streng genommen sind Maxis’ "Sim"-Titel keine Götterspiele. Man übernimmt in ihnen keine übernatürliche Macht, man wird nicht angebetet, Mana spielt keine Rolle. Inhaltlich jedoch ist die Nähe zum typischen Götterspiel jedoch offensichtlich, und nirgends wird das deutlicher als beim 1990er SimCity-Nachfolger "SimEarth".

"SimEarth" mag trocken aussehen, aber hinter der spröden Oberfläche versteckt sich wieder ein tiefschürfendes Spielerlebnis.

(Bild: Maxis)

In dem ging es nicht mehr darum, eine perfekt schnurrende Metropole zu errichten, sondern sich unter der Nutzung von Evolution um das Aufblühen eines ganzen Planeten zu kümmern. Empfindungsfähiges Leben entsteht hier, indem man das Klima oder die geologischen Eigenheiten des Planeten beeinflusst. Schreitet die gelenkte Evolution erfolgreich genug heran, bildet sich eine Zivilisation, deren Endziel es ist, den Planeten lebend zu verlassen, bevor die Sonne explodiert.

"SimEarth" vernachlässigt die spirituelle Seite des typischen Götterspiels und betont dafür den naturwissenschaftlichen Aspekt umso mehr, gilt aber dennoch als einer der wichtigsten Meilensteine des Genres. Maxis etablierte sich mit diesem Spiel als der etwas geerdetere Gegenpol zu Bullfrogs Allmachts-Phantasien, was später zu Spielen wie "SimLife" (1992) oder "Die Sims" (2000) führen sollte.

Ein Götterspiel, das nicht von Bullfrog oder Maxis entwickelt wurde? Ist sowas überhaupt erlaubt? Die genaue Gesetzeslage muss erst noch erforscht werden, aber LucasArts’ 1996er "Afterlife" war auf jeden Fall sehr unterhaltsam. Denn hier geht es darum, Himmel und Hölle einer außerirdischen Zivilisation zu kontrollieren. In jeder dieser Ebenen muss eine funktionierende Infrastruktur sichergestellt und vor allem dafür gesorgt werden, dass die stetig eintreffenden Seelen der Verstorbenen im jeweils korrekten Leben nach dem Tod landen.

Stellt man sich so Himmel oder Hölle vor? Die verstorbenen Seelen müssen ja irgendwie bespaßt werden…

(Bild: LucasArts)

"Afterlife" war auch kein typisches Götterspiel, inhaltlich ging es eher in die Richtung klassischer Wirtschafts- und Aufbausimulationen wie "SimCity 2000" (1993). Es brachte allerdings ein Feature ins Spiel, das sich danach als elementare Säule des Genres entpuppen sollte – nämlich die göttlichen Berater, hier in Form von Engel Aria und Dämon Jasper, die einen durchs Spiel führen und immer wieder schlaue Tipps von sich geben.

Erhältlich bei: GOG, Steam

Ende der 90er gab es wohl kaum ein Spiel, um das ein größerer Wirbel gemacht wurde, als um "Black & White" – das Erstlingswerk der Lionhead Studios, der neuen Spieleschmiede von Peter Molyneux, der kurz nach der Veröffentlichung von "Dungeon Keeper" (seinerseits ebenfalls ein relevantes Götterspiel) sein eigenes Unternehmen in Frustration verließ.

"Black & White" konnte all die durch jahrelang in den Spielemagazinen veröffentlichte Entwicklungstagebücher und begeisterte Previews am Siedepunkt befindlichen Erwartungen natürlich nicht vollumfänglich erfüllen. Aber es machte sehr viel sehr richtig, und gilt heute als das quintessenzielle Götterspiel: In Form einer übermächtigen Hand bestimmt man das Schicksal seiner Anbeter, eine gigantische Kreatur verkörpert die Art von Gott, die man sein möchte – gütig, zornig, hilfreich oder zerstörerisch, "Black & White" ließ einem die volle Entfaltungsfreiheit.

Das Aussehen eurer Kreature richtet sich unter anderem nach euren göttlichen Aktivitäten.

(Bild: Electronic Arts)

Speziell die Kreatur, wie zum Beispiel gigantische Kuh, Affe, Löwe oder Schildkröte, die sich abhängig vom Training und Götterverhalten nicht nur charakterlich, sondern auch optisch im Laufe des Spiels deutlich verändert, war ein Meilenstein in der Entwicklung, der auf Jahre hinaus Maßstäbe setzen sollte. Zumindest bis zum Jahr 2005, als der offizielle Nachfolger des Spiels erschien.

Genau wie "SimEarth" ist auch "Spore", aus den Händen von Will Wright, eine Lebenssimulation – die einem aber sehr viel göttliche Macht verleiht. In diesem Fall die Macht, Leben zu erschaffen und es in jede noch so absurde Richtung weiterzuentwickeln.

Bei Spore beginnt das Abenteuer in der Welt der Einzeller. Schnell werden die Kreaturen minimal komplexer.

(Bild: Electronic Arts)

Alles beginnt mit einem einzelligen Organismus, aus dem sich im Laufe von vielen Millionen Jahren der gelenkten Evolution eine die Galaxie bereisende Zivilisation entwickeln soll. Spielerisch war das Ganze nie komplett ausgereift und verliert sich gerne in viel unnötigem Klein-Klein. Aber der inhaltliche Kern von Spore, der wie später zum Beispiel auch "No Man’s Sky" (2016) auf prozeduraler Generierung basiert, ist heute noch genauso faszinierend wie damals.

Erhältlich bei: GOG, Steam

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Eric Chahi kennt man vor allem als den Entwickler des Geschicklichkeits-Meisterwerks "Another World" (1991). Aber der quirlige Franzose hat noch mehr Klassiker auf dem Kerbholz. Nicht das Adventure "Future Wars" (1989), obwohl das auch echt gut war. Nein, die Rede ist von seinem 2011er Götterspiel "From Dust", das er selbst als einen geistigen Nachfolger von "Populous" bezeichnet hat.

"From Dust" versteht sich als modernes Populous.

(Bild: Ubisoft)

Hier wie da kontrolliert man mit seiner göttlichen Allmacht vor allem die Landschaft, um seinen Untertanen ein einigermaßen entspanntes Leben zu ermöglichen und den Weg zu einem Totempfahl freizumachen. Anders als in "Populous" geht es hier aber weniger um das Anheben und Absenken des Bodens. Stattdessen hat man die Möglichkeit, über die gezielte Manipulation von Lava, Wasser und Sand zum Beispiel Berge zu verändern oder Tsunamis umzuleiten. Alles in schicker 3D-Grafik und (für die damalige Zeit) sehr beeindruckender Physik-Nutzung.

Ein besonderer Aspekt von "From Dust" ist, dass es sich, anders als die meisten anderen Götterspiele, nicht an den typisch-westlichen Götterdarstellungen orientiert, sondern sich verschiedene Naturvölker zum Vorbild nimmt.

Erhältlich bei: Steam, Ubisoft

Das waren nur einige ausgewählte Beispiele für das sehr reichhaltige Genre der Göttersimulation. Es gibt noch viele weitere Spiele, die sich mal mehr, mal weniger direkt mit der Göttlichkeit der Spieler beschäftigen. Wie zum Beispiel "Little Computer People", "Dungeon Keeper", "Actraiser", "Sacrifice", "Darwinia", "Doodle God”, "Majesty", "The Universim" oder "Worldbox: God Simulator". Wir wünschen viel Spaß bei der Apotheose.

(dahe)