Blogger: Wir sind das Volk

In der amerikanischen Blogosphäre ist Dann Gillmor, der Computerkolumnist der San Jose Mercury News, eine der wichtigsten Instanzen, ein so genannter A-Blogger; in "We the Media" weitet er den Begriff des Journalismus einfach aus.

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Von
  • Detlef Borchers

In der amerikanischen Blogosphäre ist Dann Gillmor, der Computerkolumnist der San Jose Mercury News, eine der wichtigsten Instanzen, ein so genannter A-Blogger. Gillmor, den es im Zuge der Dotcom-Blase von der Detroit Free Press ins Silicon Valley verschlug, startete im Oktober 1999 Jahren sein eJournal, ein Online-Tagebuch, das mittlerweile ein veritabler Blog ist, seitdem Gillmor Anfang 2003 die Kommentarfunktion seines Tagebuches freischaltete. Seine Erfahrungen mit dieser Kommunikationsform, von ihm "Mini-Slashdot" genannt, und seine Arbeit als Journalist in einer angesehenen Zeitung hat Gillmor nun in einem Buch zusammengetragen, das unter dem Titel We the Media bei O'Reilly erschienen ist. Das Buch ist unter einer Lizenz der Creative-Commons-Initiative verfügbar und wird von einem Blog begleitet, wie es auch bei deutschen Blogbuchschreibern zum guten Ton gehört.

We the Media versucht sich an einer ziemlich weitschweifigen Beschreibung des so genannten Grassroot-Journalismus, eines Journalismus von unten, der mit dem Internet möglich wurde und sich mit Newsticker-Foren, den Blogs und drahtlosen freien Netzen momentan großer Popularität erfreut. Im Unterschied zu deutschen Debatten im Stil von "Dürfen Journalisten bloggen?" oder "Können Journalisten bloggen?" weitet Gillmor unter Berufung auf Marshall McLuhan den Begriff einfach aus: Journalist ist jeder, der kommentiert, etwa alle Netizen, die sich auf der Nerd-Newssite Slashdot herumtrollen. Die Bezeichnung Journalist ist in diesem Sinne nicht an journalistische Qualität gebunden, weder im Internet noch in den klassischen Medien. Wenn anerkannte Provokateure wie Mausi Maus und Klaus-Urs Frickel von Zeitungen wie der Welt als IT-Experten wahrgenommen werden, zeigt dies den Einfluss der Grassroots, bei denen jede Information gleichberechtigt ist. Positiv gewendet bedeutet es für Gillmor indessen auch, dass der nächste Watergate-Skandal wahrscheinlich von einem unbeirrten Blogger aufgedeckt wird.

Vom Verlag wird das Buch vollmundig als Blaupause für den Journalismus des 21. Jahrhunderts beworben. Das ist es sicher nicht, weil Gillmor nur die Oberfläche beschreibt. Eine Analyse der Spiels von Medien und Gegenmedien, wie sie der amerikanische Medienkritiker Howard Kurtz betreibt, liegt ihm fern. Für Journalisten hält Gillmor den Lehrsatz bereit, den schon der große Theodor Wolff predigte: Meine Leser wissen mehr als ich. Und das ist gut so. (Detlef Borchers) / (jk)