Zahlen, bitte! Winnie Pu als Antwort auf 42: Die Geschichte des (Buzzword-)Bingo
Buzzword-Bingo erheitert seit den 1990ern trockene Firmen-Meetings und Politikerreden. Angelehnt ist es an das klassische Bingo mit Ursprung in Italien.
Zu den segensreichen Beiträgen der Mathematik für die Entwicklung der Gesellschaft zählt das Buzzword-Bingo. Es wurde 1993 vom Mathematiker Tom Davis beim Workstation-Hersteller Silicon Graphics entwickelt, um langweilige Strategiesitzungen aufzupeppen. Mithilfe eines in C geschriebenen Programmes wurden Buzzwords – Allgemeinplätze – auf eine in 5*5 Felder geteilte Karte gedruckt.
Die Buzzwords mussten durchgestrichen werden, wenn jemand sie benutzte. Wenn sich eine Reihe ergab, wurde laut "Bingo!" gerufen. Je nach Lesart wurde diese Bingo-Variante auf ganz besondere Art berühmt: 1994 tauchte ein Buzzword-Bingo in einem Dilbert-Comic von Scott Adams auf, was wiederum vom Wall Street Journal aufgegriffen wurde. 1996 fertigten Informatiker vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) einen Bingo-Karten-Hack an, als bekannt wurde, dass der US-amerikanische Vizepräsident Al Gore die Abschlussrede halten sollte.
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Als mehrere Studenten laut "Bingo!" riefen, sah sich Gore irritiert um und fragte das amĂĽsierte Publikum, ob er ein Buzzword benutzt hatte. Mit "knowledge worker", "information highway", "tertiary" und "infrastructure" sowie "infobahn" als Zusatzwort war seine Rede gut bestĂĽckt.
Die Geburtsstunde des Buzzword-Bingo
Nach eigenen Angaben ließ sich der Mathematiker Tom Davis bei seinem Buzzword-Bingo vom Bridal Bingo inspirieren, das häufig auf Hochzeiten in den USA gespielt wird. Sein in C geschriebenes Programm wurde von seinem Freund Chris Pirazzi für das gerade entstehende World Wide Web aufbereitet. Nach seiner Lesart sorgte das erwähnte Dilbert-Comic für den Durchbruch. Andere machten die Hacker vom MIT für die Verbreitung verantwortlich. In jedem Fall etablierte sich die Floskelmatrix als treffliche Möglichkeit, selbst in langweiligen Konferenzen wach zu bleiben.
Bingo ist dabei ein altehrwürdiges Spiel, dessen Wurzeln auf das "Lo Giuoco del Lotto d'Italia" zurückgeführt werden, das wiederum auf dem Lotto de Firenze basiert. Es wurde seit 1530 in der zerstörten Stadtrepublik Florenz gespielt , um die kaputten Straßen und Brücken zu sanieren. Von Italien wanderte es als "Le Lotto" um 1700 nach Frankreich und kam um 1800 in den deutschen Landen an, allerdings nicht als Lotteriespiel, sondern als Lehrmittel für Mathematik und den Fremdsprachenunterricht.
Der Bingo-Saga nach wanderte eine Bingo-Variante mit 12 Zahlen und 12 möglichen Kombinationen nach dem Ersten Weltkrieg von Deutschlands Jahrmärkten aus nach Amerika, wo es unter dem Namen "Beano" mit Bohnen für die aufgerufenen Zahlen ebenfalls auf Jahrmärkten gespielt wurde. Die Spieler bekamen für wenige Cent ein Spielbrett und wer als erster eine Reihe bilden konnte, rief "Beano!" und gewann eine Kewpie-Puppe.
Bingo als Ablenkung zur groĂźen Wirtschaftsdepression
Edwin S. Lowe, ein jüdischer Emigrant aus Polen, lernte dieses Spiel im Jahr 1929 auf einem Jahrmarkt in Jacksonville im US-Bundesstaat Georgia kennen. Er beobachtete, wie die Spieler kaum aufhören konnten, Beano zu spielen. Das einfache, billige Spiel war eine willkommene Abwechslung in der großen Depression. Nach New York zurückgekehrt, begann Lowe mit Spielkarten, Zahlenstempeln und Spielsteinen, später Kugeln zu experimentieren. Bei einem Testspiel rief eine Gewinnerin "Bingo!", ein Name, der Lowe ausnehmend gut gefiel. Er schrieb eine kleine Einweisung in das Spiel und verkaufte eine Bingo-Version mit zwölf Feldern auf der Spielkarte für einen Dollar, die Luxus-Version mit 24 Feldern pro Karte für zwei Dollar.
Für diese wurde der Zahlenraum auf 75 erweitert. Bingo wurde sehr schnell populär, da es nicht als Glücksspiel galt, wie der Spiel-Historiker Roger Snowden in seinem Bingo-Buch schreibt: es wurde vor allem an Spiele-Nachmittagen in vielen Kirchengemeinden angeboten, die mit den zu zahlenden Einsätzen für die Spielkarten ihre Finanzen sanierten. Ein Kirchenmann war es denn auch, der Lowe kontaktierte und sich beschwerte, dass es viel zu häufig mehrere Gewinner in seiner Gemeinde gab. Die Zahlen auf den gedruckten Karten müssten "zufälliger" sein, war seine Ansicht. Lowe kontaktierte daraufhin Carl Leffler, einen Professor für Mathematik an der Columbia-Universität in New York.
Dieser soll einen Algorithmus entwickelt haben, der es Lowes Firma ermöglichte, über tausend verschiedene Spielkarten zu drucken. Über diese Tüftelei mit 552.446.474.061.129.000.000.000.000 möglichen Kombinationen soll der gute Professor fast den Verstand verloren haben. Schade, dass sich die Existenz dieses bedeutenden Mathematikers bislang nicht nachweisen lässt, im Gegensatz zu zahlreichen mathematischen Aufgaben mit Bingo-Bezug.
(Bild:Â CC BY 2.0, Abbey Hendrickson)
Lowe selbst landete neben Bingo einen weiteren Treffer, als er einem Ehepaar die Idee für ein Spiel abkaufte, das sie auf ihrer Yacht spielten und "The Yacht Game" nannten. Es wurde als Yahtzee (Kniffel) ein voller Erfolg. Andere Geschäfte waren weniger erfolgreich: So kaufte Lowe nach dem Zweiten Weltkrieg ein Hotel in Las Vegas, in dem keine Glücksspiele gespielt wurden, auch das kommerzielle Bingo der benachbarten Casinos nicht. Es musste nach wenigen Jahren schließen.
In GroĂźbritannien wichtiges GlĂĽcksspiel
Mit einem Zahlenraum bis 90 ist Bingo in Großbritannien heute immer noch das dominierende Glücksspiel. Zweimal am Tag werden beim National Bingo Game 120-180 Bingoclubs zusammengeschaltet, nur am 25. Dezember ruht der Spielbetrieb. Vor dem Einsatz der elektronischen Anzeigetafel musste der "Bingo Caller" beim Ausrufen einer gezogenen Zahl Verwechslungen vorbeugen, wie sie bei 15 und 50 entstehen können. Diese Bingo Calls gewähren einen tiefen Blick in die britische Seele und ihre Verbundenheit mit dem Duodezimalsystem. 42 ist mithin nicht der Sinn des Lebens, sondern Winnie the Pooh (Winnie der Pu in der Übersetzung von Harry Rowohlt), während die Hackerzahl 23 schlicht auf Psalm 23 verweist (Der Herr ist mein Hirte). Mit "Dancing Queen" (17) oder "Here comes Herbie" (53) haben es auf popkulturelle Referenzen in die Calls gebracht, die im Zeitalter des Online-Bingos in Vergessenheit geraten. Eine britische Online-Variante hat übrigens zum höchsten bisher ausgezahlten Bingo-Gewinn geführt: 5.883.044 britische Pfund bei einem Einsatz von 30 Pence.
Die hilfreichen Rufnamen für Zahlen bringen uns zurück zum Buzzword-Bingo. Denn es gibt nicht nur Buzzwords, sondern auch Schimpfworte, die zu einem Bullshit-Bingo führen. Eine Bingokarte, die bei absurden 5G-Verschwörungsreden hilft, wach zu bleiben oder ein Bingokartengenerator für Trump-Reden sei hier erwähnt. Der dürfte bei dessen begrenztem Wortschatz eher einfach zu programmieren gewesen sein.
Hier bei heise online findet man zudem ein Stichwortverzeichnis für die buzzwordgeschwängerte Digitalpolitik der schwarz-roten Bundesregierung. Bingo, Herr Digitalminister!
(mawi)