IP-Adressverwaltung in Afrika: Offener Brief der ICANN, Ruf nach Konsequenzen
Die ICANN hat in einem offenen Brief Aufklärung der unter Zwangsverwaltung stehenden Afrinic gefordert. Derweil gibt es erste Rufe nach einer Auflösung.
(Bild: Juice Flair/Shutterstock.com)
Die Registry für IP-Adressen auf dem afrikanischen Kontinent, Afrinic, kommt nicht in ruhigeres Fahrwasser. Am vergangenen Wochenende veröffentlichte die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) einen offenen Brief an den Zwangsverwalter Gowtamsingh Dabee. Darin verlangt sie Aufklärung wegen der Ende Mai erfolgten Eintragung des Unternehmens Cloud Innovation als Mitglied/Anteilsinhaber von Afrinic. Afrinic liegt seit Jahren mit Cloud Innovation in einem Rechtsstreit.
Seit 2021 streiten die afrikanische Registry und der CEO von Cloud Innovation, Lu Heng, darüber, ob das Unternehmen von Afrinic ausgegebene IPv4-Adressen vertragsgemäß nutzt oder die Registry dem Unternehmer die knappen Adressen entziehen kann. Ein Ende des vor den Gerichten in Mauritius ausgefochtenen Streits ist laut Beobachtern derzeit nicht absehbar. Afrinic wird unterdessen vom zweiten von einem Gericht in Mauritius eingesetzten Zwangsverwalter gemanagt.
Intransparenter Vorgang
Die ICANN will nun wissen, warum trotz des laufenden Rechtsstreits und der bevorstehenden Wahl neuer Afrinic-Direktoren Cloud Innovation als "Teilhaber/Mitglied" in Afrinics Eintrag im Unternehmensregister von Mauritius auftaucht. Der ohne Ankündigung durch den Zwangsverwalter vorgenommene Eintrag stehe im offensichtlichen Widerspruch zur Satzung der Afrinic und der bisher gepflegten Praxis, schreibt die ICANN in ihrem Brief. In der Praxis waren jeweils die von den Afrinic-Mitgliedern gewählten Direktoren als nominelle Anteilseigner mit einem symbolischen Betrag eingetragen worden. Die Wahl zum Vorstand von Afrinic ist für den 23. Juni anberaumt.
Dabee hat auf eine Anfrage von heise online zum Hintergrund der Eintragung bislang nicht reagiert. Auch Fragen aus der afrikanischen Community an Dabee, in denen ihm Parteilichkeit wegen der Verbindung von Cloud Innovation zu einer Firma, als deren Direktor er eingetragen ist, sind bislang unbeantwortet.
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ICANNs Interesse
Die ICANN fordert zugleich über einen zweiten Punkt Aufklärung von Dabee. Dabei geht es um die Ernennung von zwei Personen für das Nominierungskomitee, "die sich im Vorfeld positiv bezüglich der Aufnahme des genannten Unternehmens als Firmenmitglied von Afrinic geäußert haben".
Neben einer Aufklärung über das Zustandekommen des Eintrags fordert die ICANN von Dabee eine Neuaufstellung des Nominierungskomitees und eine Abschätzung und öffentliche Dokumentation der "negativen Auswirkungen auf die Wahl".
Das Wort der ICANN hat in diesem Fall durchaus Gewicht. Die Organisation ist als Managerin der Internet Assigned Numbers Authority (IANA) für die globale Zuteilung von IP-Adressen zuständig. Sie ist sozusagen die Hüterin der globalen Pools. Als solche habe sie ein berechtigtes Interesse daran, dass Verwaltung und Betrieb von Afrinic stabilisiert werden, heißt es in dem Brief.
Ruf nach der SchlieĂźung von Afrinic
Wie berechtigt die Sorge ist, wird in einer neuen Wendung deutlich. In einem Brief vom 9. Juni, der heise online vorliegt, wendet sich der kenianische Internetpionier und CEO von Converged Technology Networks, Brian Longwe, an die ICANN und bittet, Afrinic zu schließen. Alle Ressourcen, so Longwe, sollen von der ICANN eingezogen oder vorläufig von einer anderen Internet Registry verwaltet werden.
Longwe begrĂĽndet seinen Appell mit der erfolgten Eintragung von Cloud Innovation, die "offenbar ohne korrekte Entscheidung eines legitimierten Afrinic-Vorstands und ohne Konsultation oder Zustimmung durch die Mitgliedschaft der Afrinic erfolgt ist".
Der mysteriöse Eintrag ist für Longwe aber nur ein Symptom einer "zutiefst besorgniserregenden" Entwicklung bei Afrinic im Allgemeinen. Die Organisation sei in lähmende Gerichtsverfahren verstrickt, stehe unter Zwangsverwaltung und könne ihre eigentlichen Aufgaben unter dem Mandat der afrikanischen Internetcommunity nicht mehr wahrnehmen.
Longwe schreibt der ICANN auch, dass die Eintragung seiner Meinung nach einen "Interessenkonflikt" und "einen Missbrauch des Firmenregistrierungsprozesses von Mauritius" darstelle. Afrinics Gemeinschaft von Internetbetreibern habe sich bislang viel zu wenig zur Wehr gesetzt. Er fürchte, so schreibt Longwe, "die bevorstehenden Wahlen erscheinen durch diese Situation kompromittiert". Am Ende könnte eine Afrinic entstehen, die durch private Interessen kontrolliert werde.
Die Rücknahme der IP-Adressen beziehungsweise die Übernahme der Verwaltung der entsprechenden Blocks durch RIPE, Arin, Lacnic oder APNIC sei daher notwendig, um "irreparablen Schaden für die Stabilität, Sicherheit und Resilienz des afrikanischen Internet-Ökosystems zu verhindern und die Prinzipien von Fairness, Offenheit und Selbstverwaltung durch die Community abzusichern, auf denen das globale RIR System basiert."
Er sei zur Überzeugung gelangt, dass die Beendigung von Afrinic in der aktuellen Form die einzige Möglichkeit sei, aus der Situation herauszukommen, schreibt Longwe auf Nachfrage von heise online. "Das Management von (Internet-)Resourcen ist zum großen Teil eine technische Funktion. Das kann durch eine der anderen RIRs für uns gemacht werden."
Lu Heng hat bisher nicht die Gelegenheit genutzt, zu einer Anfrage von heise online bezĂĽglich der Forderung von ICANN Stellung zu nehmen.
(mho)