Zahlen, bitte! Medizinische Hilfe in 2 Stunden an jeden Ort im Outback: Der RFDS
Wie schafft man schnelle ärztliche Versorgung im riesigen Outback? Das sichert der Royal Flying Doctor Service of Australia per ausgeklügeltem Flug-Netzwerk
(Bild: Heise Medien)
Schnelle medizinische Hilfe ist hierzulande eine Frage von Minuten: Erst Notruf wählen und ein Krankenwagen ist zumeist innerhalb kurzer Zeit vor Ort. Aber wie ist es denn im riesigen Outback, dem bis zu 5,1 Millionen Quadratkilometer großen, abgelegenen Wildnisgebiet Australiens?
Schnelle medizinische Hilfe ermöglicht bereits seit 1928 der Royal Flying Doctor Service of Australia (RFDS). In einem ausgeklügelten Netz aus 21 verschiedenen Standorten ist der Rettungs- und Hilfsdienst rund um die Uhr in der Lage, im Notfall per Flugzeug jeden Ort im Outback innerhalb von zwei Stunden nach Alarmierung zu erreichen.
Dabei beschränkt sich nicht die Hilfe auf Rettungsflüge. Der RFDS ermöglicht neben der Rettung vor Ort auch direkte medizinische Hilfe und Beratung über Funk, Telefon oder Online-Call.
Außerdem leistet er medizinische Forschung und Präventionsarbeit. Der Royal Flying Doctor Service of Australia war weltweit der erste fliegende Dienst dieser Art.
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Im Outback medizinisch auf sich allein gestellt
Möglich machten das zwei Männer mit wegweisenden Ideen. John Flynn wurde 1880 als drittes Kind geboren und von seiner Tante aufgezogen, da seine Mutter an Komplikationen bei seiner Geburt starb und ihre Schwester das Kind übernahm.
Ab 1903 studierte er Theologie am Ormond College der Universität von Melbourne. Das Outback faszinierte ihn und ab 1911 arbeitete er als Pfarrer der Inlandmission der Presbyterianischen Kirche 500 Kilometer nördlich von Adelaide. Was er dort erlebte, prägte ihn: Im Outback gab es kaum medizinische Versorgung.
(Bild:Â gemeinfrei)
Wer einen medizinischen Notfall hatte, musste ihn entweder selbst bewältigen oder hunderte Kilometer bis zur nächsten medizinischen Einrichtung transportiert werden. Die Menschen waren auf sich allein gestellt und für viele war eine an und für sich behandelbare Verletzung somit oftmals ein Todesurteil, erst recht für Ureinwohner.
Somit setzte sich Flynn neben missionarischen Sozialstationen auch für eine medizinische Versorgung im Busch ein. Die Idee zu einer Versorgung per Flugzeug erhielt der Pfarrer über einen Brief des Militärpiloten Lieutenant John Clifford Peel des Australian Flying Corps, der vor seinem Militärdienst Medizin studierte.
Peel hatte im Medizinstudium, bevor er wegen des Ersten Weltkriegs eingezogen wurde, den Outback-Ratgeber "The Bushman's Companion" von John Flynn und Andrew Barber gelesen, in dem der Pfarrer neben Survival-Tipps in der Wildnis auch die Probleme der medizinischen Versorgung im Outback beschrieb.
Flugzeug als gĂĽnstigstes Transportmittel in abgelegene Gebiete
In der Ausbildung zum Piloten kam ihm die Idee, einer medizinischen Versorgung aus der Luft ĂĽber die neuartigen Flugzeuge. In seinem Brief rechnete "Cliff Peel" vor, welche Vorteile eine Flugzeug-Versorgung gegenĂĽber einer ĂĽber Landfahrzeuge erbrachte.
Bei Flugzeugen wage ich zu behaupten, dass die Instandhaltung bei entsprechender Sorgfalt relativ gering ist, während die Kosten für die Installation im Vergleich sehr günstig sind, wenn man bedenkt, dass für den Betrieb eines Zuges, eines Autos, eines Lastwagens oder eines anderen Fahrzeugs zunächst Straßen gebaut und dann instand gehalten werden müssen, während die Luft keine solche Vorbereitung benötigt.
Die Investitionskosten in Europa (nach Angaben einer wichtigen englischen Autorität), bevor ein Auto in Betrieb genommen werden kann, betragen 6.000 Pfund pro Meile, für einen Zug 24.000 Pfund pro Meile und für ein Flugzeug etwa 600 Pfund pro Meile.
Medizinischer Busch-Flugdienst im Aufbau
Die Idee war in der Welt. Und John Flynn bemĂĽhte sich die Jahre darauf um die Realisation. Es dauerte bis 1927, bis die Idee Wind unter den FlĂĽgeln bekam. Da traf Flynn einen der GrĂĽnder der australischen Fluggesellschaft Quantas, die die Flugzeuge fĂĽr das Vorhaben stellten.
(Bild:Â RFDS, CC BY-SA 4.0)
Flynn gründete dazu den Aerial Medical Service (AMS). Am 17. Mai 1928 war es so weit: Das zweisitzige Flugzeug "Victory", gemietet für zwei Schilling pro Flugmeile, hob vom ersten Standort in Cloncurry (Queensland) mit einem Doktor ab. Höchstgeschwindigkeit 160 km/h, mit einer Reichweite von 800 bis 1000 Kilometern.
Im ersten Jahr behandelten die fliegenden Doktoren 225 Patientinnen und Patienten. Sie flogen dabei 26 Ziele an und leisteten insgesamt 50 Flüge. Die Flüge fanden in der Regel tagsüber statt, bei lebensbedrohlichen Notfällen und unerschrockenen Piloten wurden vereinzelt auch Nachtflüge durchgeführt. Die Piloten orientierten sich Anfangs per Kompass und über markante Ortsmerkmale. Zur Erweiterung der Reichweite wurden mit der Zeit Kraftstoff- und Medizinlager an strategisch günstigen Orten angelegt.
Funkgerät für abgelegene Gebiete
Doch wie konnten die Menschen im Busch die Rettungskräfte alarmieren? Eine Lösung erfand der Techniker Alfred Traeger, dessen Großeltern aus Deutschland nach Australien auswanderten.
Traeger experimentierte mit Funkgeräten und wurde von Flynn kontaktiert, der eine Möglichkeit suchte, um von weit abgelegenen und kaum erschlossenen Orten Funkrufe abzusetzen.
(Bild:Â gemeinfrei)
Traeger entwickelte 1928 ein Funkgerät, das nicht von einem elektrischen Stromnetz abhängig war: Den erforderlichen Strom erzeugte der Funker einfach selbst, über einen Pedalgenerator. So war es möglich, per Morsezeichen um Hilfe zu ersuchen.
Fortan wuchs der Dienst Schritt für Schritt: 1934 wurde er in Australian Aerial Medical Service umbenannt und die Gesellschaft eröffnete Standorte in ganz Australien. 1942 nannte sich der Dienst Flying Doctor Service, 1955 gab die britische Krone dem Dienst den Titel Royal Flying Doctor Service.
Flugzahlen, bitte!
Mit den Jahren wuchs auch der eigene Bestand an Flugzeugen, um nicht von externen Anbietern abhängig zu sein. Mittlerweile zählt der RFDS nach eigenen Angaben 87 Flugzeuge, verteilt auf 23 Standorten in ganz Australien. Damit zählt der RFDS zur drittgrößten Fluggesellschaft im Land. Laut eigenen Angaben legten sie im Jahr 2024 27.475.543 Kilometer zurück und transportierten 32.949 Patientinnen und Patienten. Der Dienst hat zudem einen Fuhrpark von 292 Fahrzeugen. Der Service verteilt sich auf sieben Organisationen: einen Dachverband und sechs regionale Gesellschaften. Das Operationsgebiet erstreckt sich über 7,15 Millionen km². Innerhalb dieses Gebiets ist im Falle eines Falles innerhalb von zwei Stunden ein Arzt vor Ort.
Neben Notarzt-Flügen werden auch in weniger dringlichen Fällen medizinisches Personals oder Medikamente oder Blutkonserven eingeflogen. Außerdem sind an abgelegenen Orten Medikamentendepots angelegt. Durch die Möglichkeit von Touristenbesichtigungen gilt Alice Springsals der bekannteste RFDS-Standort.
(Bild:Â gemeinfrei)
Neben staatlichen Zuschüssen finanziert sich der Dienst über öffentliche Spenden sowie touristische Einnahmen im Alice-Springs-Besucherzentrum, dem Shop und Leistungs-Abrechnungen bei den Krankenversicherungen. Versicherte Personen, egal ob Einheimische oder Touristen müssen in der Regel nichts bezahlen – Nur bei Unversicherten kann es sein, dass sie für die Behandlung aufkommen müssen.
Hierzulande ist der RFDS aus der Serie "Die Fliegenden Ärzte" bekannt, die von 1985 bis 1993 produziert wurde und in 6 Staffeln mit insgesamt 221 Folgen die Arbeit der RFDS den Zuschauern näher brachte. Durch die Serie entstand sogar ein hiesiger Fanclub des australischen Rettungsdienstes.
John Flynn sagte einmal "Wenn Du etwas Lohnendes anfängst – nichts kann es aufhalten". Sein Streben, Menschen auch in entlegenen Gebieten Hilfe angedeihen zu lassen, hat viele Menschenleben gerettet. Er selbst starb am 5. Mai 1951 mit 70 Jahren und konnte noch erleben, wie sein Streben Früchte trug.
Clifford Peel, Ideengeber für den Flugdienst, hatte nicht das Glück, die Realisation mitzuerleben. Er kehrte am 19. September 1918, nur knapp zwei Monate vor Kriegsende, von einem Front-Aufklärungsflug in Frankreich nicht mehr zurück.
(mawi)