IGF in Oslo: Von Desinformation und Krieg
Desinformation, KI-Regulierung und ein resilientes Internet stehen auf dem Programm des Internet Governance Forums in Oslo.
(Bild: Daniel AJ Sokolov)
Desinformation, Segnungen, Fluch und Regulierung von KI, aber auch die Absicherung von Resilienz des Netzes stehen auf dem Programm des Internet Governance Forums (IGF), das nun in Oslo beginnt. Nach zwei Jahrzehnten steht zwar das Konzept des Forums auf dem PrĂĽfstand, die Themen von damals stehen aber auch heute noch auf dem Programm.
IGF: Start mit Oracle, Cisco, Microsoft, Google und Co.
Vor 20 Jahren trafen sich 1200 Vertreter von Regierungen, Unternehmen wie Oracle, Cisco, Microsoft und ein damals wesentlich kleineres Google, zivilgesellschaftliche Gruppen und Internetexperten erstmals zu einem IGF. Aus der Taufe gehoben beim ersten Weltgipfel der Informationsgesellschaft (Genf 2003 und Tunis 2006), vermied die neue Plattform den erbittert gefĂĽhrten Streit um die US-Aufsicht ĂĽber das Domain Name System (DNS) und die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN). Als "offenes Haus" oder "gigantisches Brainstorming" bezeichneten hochrangige Teilnehmer das neue Forum, bei dem ĂĽber Informationszugang und -freiheit, SchlieĂźung der digitalen Kluft, Datenschutz und Vertraulichkeit, sowie Hassrede und Kinderschutz im Netz diskutiert wurde.
Internet kaputt? Desinformation und Deepfakes
Verdüstert hat sich dem Programm zufolge die Grundeinstellung zum Netz. Während der damalige griechische Minister für Transport und Kommunikation, Michalis Liapis, bei der Eröffnung der IGF Athen 2005 vom "demokratischste(n) Medium in der Welt überhaupt" sprach, stellt eine Runde mit Norwegens Kulturministerin Lubna Jaffery und TikToks Head of Safety Public Policy Lisa Hayes die Frage: "Verlieren wir als Bürger und Staaten den Informationsraum, während Big Tech eine immer größere Rolle für die Kommunikationsinfrastrukturen übernimmt?"
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Das Thema Desinformation und deren Rolle für Sicherheit und die verbliebenen Demokratien gehört zu den Top-Themen – und immer wieder wird in verschiedenen Runden die Frage gestellt, "wie können wir damit umgehen"?
Krieg im und durch das Internet
Die aktuell zu Kriegen eskalierenden geopolitischen Spannungen – 2005 ging die Zahl der Konflikte noch zurück – spiegelt sich in neu aufgenommenen Diskussionsthemen. Dem Schutz der Unterseekabel widmen sich etwa gleich zwei Runden, die Gastgeber Norwegen am Herzen liegen. Die zwei Grundrechtsorganisationen "Business and Human Rights Resource Center" und "Access Now" laden heute außerdem, am heutigen Tag Null des IGF, zu einem aus ihrer Sicht dringend notwendigen Update bezüglich der Verantwortlichkeit von Unternehmen in Konflikten und Konfliktzonen ein.
Ein von Ă–sterreich organisiertes "Offenes Forum" befasst sich zudem mit autonomen Waffensystemen und deren Regulierung und hat sich dazu den ehemaligen Cyberbotschafter der USA, Chris Painter, und Internet-"Vater" Vint Cerf eingeladen. Auch eine sehr aktuelle Debatte dazu, wie der Zugang zum Netz in Konfliktzonen geschĂĽtzt werden kann, steht in Oslo an. Insgesamt ist die digitale Kluft zwar kleiner geworden, aber immer noch 2,6 Milliarden Menschen sind offline.
KI fĂĽr Richter, Diplomaten, Polizisten
Trotz der Suche nach Regeln im Umgang mit Desinformation bleibt "Künstliche Intelligenz" das Thema, mit dem sich die meisten Einzelveranstaltungen beschäftigen. Neben Grundsatzfragen zu den Vor- und Nachteilen einer risikobasierten Regulierung gibt es zahlreiche konkrete Veranstaltungen, die sich mit der Frage beschäftigen, wie und in welchem Umfang KI von Richtern, Diplomaten und ermittelnden Polizisten eingesetzt werden kann und wird.
Zukunft des Internet Governance Forums
Ein wichtiger Schwerpunkt zum 20-jährigen Bestehen des IGF ist die Zukunft des Forums selbst. Mit Ablauf des aktuellen Mandats durch die Generalversammlung wird der gesamte Nachfolgeprozess des "World Summit on the Information Society" (WSIS) einer Überprüfung unterzogen. Beim Giganet Symposium der Wissenschaft in Oslo stellen US-Forscher ketzerische Fragen: Sollte WSIS sterben?
Auf das IGF und die inzwischen rund hundert nationalen Internet Governance Foren will hier in Oslo aber eigentlich kaum jemand verzichten. Vielmehr würde man die offene Form gerne fortsetzen und die bislang neben einem knappen UN-Budget auf Spenden angewiesene Denkschmiede für globale Digitalpolitik besser finanzieren – vielleicht würde man dann auch den Namen ändern.
Low Profile?
Wie sich das deutsche Digitalministerium in den Debatten in Oslo positionieren wird, war vorab nicht zu erfahren. Eine Presseanfrage dazu blieb bislang unbeantwortet. Dies erinnert an die Zeit vor der Verabschiedung der internationalen Digitalstrategie. Bis zur Ausrichtung des IGF in Berlin hatte sich die Bundesregierung bei der Beteiligung am IGF meist sehr zurĂĽckgehalten.
(dahe)