Magic Leap: Wie der Traum von der Wunder-AR-Brille platzte

Zwischen Vision, Hype und Restrukturierung: Wie ein Augmented-Reality-Start-up mit Milliardenkapital beinahe kollabierte und heute neue Wege geht.

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Ein junger Mann trägt grinsend eine futuristische AR-Brille.

Die AR-Brille Magic Leap One erzeugte einen enormen Hype. Gerecht wurde sie ihm aber nie.

(Bild: Magic Leap)

Lesezeit: 8 Min.
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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Als Rony Abovitz im Jahr 2010 in SĂĽdflorida das Unternehmen Magic Leap grĂĽndete, hatte er eine klare Vorstellung: Er wollte mithilfe neuartiger optischer Technologien die digitale und die physische Welt nahtlos ineinander fĂĽhren.

Der Biomedizin-Ingenieur, der zuvor bereits das Medizintechnikunternehmen Mako Surgical aufgebaut und 2013 für mehr als eine Milliarde US-Dollar verkauft hatte, wollte mit Magic Leap nichts Geringeres als die nächste Computerplattform erschaffen. Seine Idee: eine AR-Brille mit Lichtfeld-Technologie, die digitale Inhalte so realistisch in den Raum projiziert, dass sie wie physische Objekte wirken.

Was als ambitioniertes Forschungsprojekt begann, entwickelte sich innerhalb weniger Jahre zu einem der am stärksten gehypten Technologie-Start-ups des Jahrzehnts und scheiterte beinahe an den eigenen Versprechen.

Lange blieb Magic Leap ein Mysterium und fiel eher durch konfuse Marketingauftritte als durch Konzepte oder handfeste Prototypen auf. Zwischen 2011 und 2014 arbeitete das Unternehmen weitgehend im Verborgenen. Details zur Technologie wurden kaum kommuniziert; stattdessen kursierten spektakuläre Konzeptvideos und Renderdemos. Trotzdem sammelte Magic Leap in dieser frühen Phase bereits mehr als 500 Millionen US-Dollar Risikokapital ein – unter anderem von Google, Qualcomm und Andreessen Horowitz.

Auslöser für das enorme Interesse war ein großformatiger Prototyp mit dem internen Namen "Beast", dessen optische Darstellung zahlreiche Investoren überzeugte. Die Technologie basierte angeblich auf einer völlig neuen Form der Darstellung, einem sogenannten Lichtfeld-Display, das durch unterschiedliche Fokusebenen eine natürliche Tiefenwahrnehmung ermöglichen sollte. Doch das "Beast" war zu groß und zu komplex, um jemals in ein tragbares Gerät integriert werden zu können.

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Dennoch wuchs der Unternehmenswert rasant: Zwischen 2015 und 2017 flossen enorme Beträge in das Start-up, obwohl es zu diesem Zeitpunkt noch kein marktfähiges Produkt vorweisen konnte. Im Februar 2016 berichteten US-Medien von einer Gesamtinvestitionssumme von 1,39 Milliarden US-Dollar. Allein 793 Millionen US-Dollar stammten aus einer Finanzierungsrunde, die vom chinesischen Tech-Giganten Alibaba angeführt wurde.

Partnerschaften mit Disney, Lucasfilm und Warner Bros. verstärkten den Eindruck, dass Magic Leap an einer neuen Plattform für Unterhaltung und Kommunikation arbeitet. In der Außendarstellung entwickelte sich die Brille zunehmend zu einem potenziellen Nachfolger des Smartphones. Spektakuläre Konzeptvideos entfachten große Erwartungen.

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Im Winter 2017 war es schließlich so weit: Magic Leap präsentierte sein erstes eigenes Headset. Es bestand aus der AR-Brille "Lightwear" und einem separaten Rechenmodul namens "Lightpack". Letzteres musste ähnlich wie bei der Vision Pro per Kabel an der Brille angeschlossen und am Hosenbund befestigt werden. Die Steuerung erfolgte durch einen handlichen Controller in der Größe einer Computermaus und einfache Handgesten erkannte es ebenfalls.

Der Fokus lag schon lange vor der Vision Pro auf der Verankerung digitaler Inhalte im physischen Raum und dem produktiven Arbeiten darin – man könnte sagen: Spatial Computing, bevor es cool wurde. Die Zielgruppe waren Entwickler, Kreative und Early Adopters. Doch die über Jahre hinweg durch Marketing und Investorenkommunikation geschürten Erwartungen konnte das Gerät nicht erfüllen. Die "Founder's Edition" startete im Sommer 2018, doch Magic Leap One war mit 2.300 US-Dollar sehr teuer, klobig und technisch kaum besser als vergleichbare Konkurrenzprodukte wie die HoloLens von Microsoft.

Die versprochene Lichtfeld-Technologie schaffte es nicht in das finale Gerät. Stattdessen kam ein konventionelles Wellenleiterdisplay zum Einsatz. Die Verkaufszahlen der Magic Leap One blieben weit hinter den Erwartungen zurück. Anstelle der angestrebten 100.000 Einheiten wurden offenbar nur wenige Tausend Geräte abgesetzt.

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Hinter den Kulissen offenbarte sich zu dieser Zeit eine zunehmend chaotische Führungskultur. Laut früheren Mitarbeitenden traf Gründer Rony Abovitz zentrale Entscheidungen allein, ohne sich ausreichend mit technischen Details auseinanderzusetzen. Seine Visionen galten vielen im Team als ambitioniert, aber realitätsfern. Immer wieder forderte er neue Ziele, ohne die vorherigen Hürden zu berücksichtigen. Gleichzeitig war der Zugang zur Unternehmensspitze für viele Angestellte durch mehrere Managementebenen blockiert.

Auch die Unternehmenskultur geriet in die Kritik: Eine Klage wegen geschlechtsspezifischer Diskriminierung warf dem Unternehmen Versäumnisse bei Gleichstellung und Diversity vor. Zudem bemängelten Mitarbeitende, dass Magic Leap zu viele Projekte gleichzeitig verfolgte – von Hardware über Betriebssysteme bis zu Content-Plattformen –, ohne in einem Bereich substanzielle Fortschritte zu erzielen.

Im Frühjahr 2020 stand Magic Leap kurz vor dem Bankrott. Die Umsätze blieben aus, das Kapital war nahezu aufgebraucht und die Pandemie verschärfte die Lage zusätzlich. Rund 600 Angestellte mussten das Unternehmen verlassen. In dieser Phase wurde auch deutlich, dass sich die Technologie, insbesondere der Lichtfeld-Ansatz, nicht wie geplant miniaturisieren ließ.

Im Mai 2020 trat Abovitz schließlich als CEO zurück. In einer Stellungnahme erklärte er diesen Schritt als notwendigen Teil der strategischen Neuausrichtung auf Geschäftskunden. Eine neue Investitionsrunde in Höhe von rund 350 Millionen US-Dollar sicherte das Überleben des Unternehmens. An die Stelle von Abovitz trat Peggy Johnson, die zuvor bei Microsoft tätig war und das Unternehmen fortan in Richtung Enterprise-Markt führen sollte.

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Unter Johnsons Leitung stellte Magic Leap im Jahr 2022 mit der "Magic Leap 2" eine neue AR-Brille vor, die gezielt für den Einsatz in den Bereichen Industrie, Gesundheitswesen und Verteidigung entwickelt wurde. Die Brille war leichter, ausdauernder und technisch deutlich fortgeschrittener als das Vorgängermodell. Der Fokus lag auf konkreten Anwendungsfällen, statt auf futuristischen Visionen. Im Mittelpunkt standen dabei Kooperationen mit medizinischen Einrichtungen und industriellen Partnern.

Gleichzeitig investierte Magic Leap weiterhin in optische Innovationen wie vergrößerte Sichtfelder, adaptive Helligkeit und ergonomischere Designs. Im Jahr 2022 übernahm der Public Investment Fund von Saudi-Arabien für 590 Millionen US-Dollar die Mehrheit an Magic Leap, nachdem das Unternehmen bereits etwa 4,5 Milliarden US-Dollar Investitionskapital verschlungen hatte.

Doch nach dem anfänglichen Aufschwung mit der Magic Leap 2 folgte auch dieses Mal rasch Ernüchterung. Im Mai 2024 ging Magic Leap noch eine strategische Partnerschaft mit Google ein, doch schon wenige Monate später strauchelte das Unternehmen erneut. 75 Stellen wurden gestrichen und eine weitere Neuausrichtung folgte. Die Technik hinter Magic Leap 2 soll von nun an lizenziert werden. Eigene Geräte baut das Unternehmen nicht mehr.

Rony Abovitz ist bis heute eine ambivalente Figur in der Tech-Branche. Einerseits gilt er als charismatischer Visionär, der das Potenzial von Augmented Reality früh erkannte und mit seiner Begeisterung Milliardeninvestitionen einwarb. Andererseits steht er exemplarisch für das Risiko von Überversprechen in der Tech-Branche. Seine Auftritte, die oftmals von Science-Fiction-Anspielungen und futuristischen Ideen durchzogen waren, trafen nicht immer auf Verständnis.

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Heute ist Abovitz mit neuen Projekten im Bereich der interaktiven Unterhaltung aktiv und tritt gelegentlich als Mentor für Start-ups auf. Sein Name bleibt eng mit dem Aufstieg und Fall von Magic Leap verknüpft, ebenso wie mit der Erkenntnis, dass technologische Visionen allein nicht ausreichen, wenn die Marktrealität unberücksichtigt bleibt.

Magic Leap ist eines der prominentesten Beispiele für einen Hype, der an den eigenen Erwartungen scheiterte. Das Unternehmen verfehlte den Konsumentenmarkt und war seiner Zeit vielleicht voraus. Denn auch heute gibt es noch keine massenmarkttauglichen AR-Brillen, obwohl Geräte wie die Snap Spectacles oder der Prototyp "Orion" von Meta schon zeigen, wo die AR-Reise hingehen könnte.

(joe)