Vom Urknall bis zum World Wide Web -- das CERN wird 50

Die Leistungen des CERN beschränken sich nicht nur auf Grundlagenforschung in Physik und Technik oder die Erfindung des Web: Die Gründung des CERN sei auch ein wichtiger politischer Schritt gewesen.

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Von
  • Till Mundzeck
  • dpa

Die populärste Errungenschaft des Europäischen Teilchenforschungszentrums CERN benutzen heute weltweit mehr als 700 Millionen Menschen: Das World Wide Web -- 1990 am CERN von Tim Berners-Lee erfunden, um den Physikern den Datenzugriff zu erleichtern -- hat sich von den Laboren bei Genf in rasender Geschwindigkeit um die Welt gewoben, den Zugang zu Information revolutioniert und ganz neue Wirtschaftszweige entstehen lassen. Dabei ist das WWW lediglich ein Nebenprodukt aus einem halben Jahrhundert Forschung am Centre Européen pour la Recherche Nucléaire (CERN), das am 29. September sein 50-jähriges Bestehen feiert.

"Ohne die Experimente beim CERN wäre unser heutiges Verständnis der Welt schlicht nicht möglich", betont Prof. Dietrich Wegener von der Universität Dortmund, Leiter des Fachverbands Teilchenphysik in der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. "Für unsere Kultur ist das ein ganz wesentlicher Beitrag." So haben die am CERN gewonnenen Einblicke den Physikern etwa erlaubt, die Energieerzeugung in der Sonne zu erklären und zu verstehen, warum nach dem Urknall überhaupt Materie übrig geblieben ist. Für ihre Versuche bringen die Forscher subatomare Partikel in kilometerlangen Teilchenbeschleunigern nahezu auf Lichtgeschwindigkeit und lassen sie zusammenstoßen. Aus dem Hagel der Kollisionsbruchstücke gewinnen sie ihre Erkenntnisse über elementare Teilchen und die Grundkräfte der Welt, die an diesen zerren. Die dabei anfallende Datenmenge ist riesig.

Die Leistungen des CERN beschränken sich jedoch nicht nur auf Physik und Technik, wie Wegener betont. "Die Gründung des CERN war auch ein wichtiger politischer Schritt." Menschen aus den verschiedenen Nationen, unter anderem auch aus den Ostblockstaaten lange vor dem Fall des Eisernen Vorhangs, haben sich dort persönlich kennen gelernt und miteinander gearbeitet. Die politische Bedeutung unterstreicht auch Robert Aymar, der amtierende CERN-Direktor: "Es ist kein Zufall, dass viele der diesjährigen EU-Beitrittsländer schon Mitglieder des CERN waren. Wissenschaftliche Zusammenarbeit hat sich als lohnender Schritt auf dem Weg zu politischer Kooperation bewährt." 20 Länder sind inzwischen am weltgrößten Teilchenforschungszentrum beteiligt, 7000 Menschen aus 80 Nationen arbeiten dort zusammen. Das CERN verfügt in diesem Jahr über ein Budget von rund 860 Millionen Euro, jeder fünfte Euro kommt aus Deutschland.

Das meiste Geld steckt das Zentrum gegenwärtig in den 27 Kilometer langen Großen Hadron-Beschleuniger (Large Hadron Collider, LHC), der 2007 in Betrieb gehen und einige der größten Rätsel der Physik lösen soll. "Mit den Experimenten am LHC werden Physiker eine Reise vollenden können, die mit Newtons Beschreibung der Schwerkraft begann", betont CERN-Sprecher James Gillies. "Die Schwerkraft wirkt auf Masse, aber bislang kann die Wissenschaft nicht erklären, warum Elementarteilchen überhaupt eine Masse besitzen. Die Antwort kann vermutlich der LHC geben."

Darüber hinaus hoffen die Forscher, mit der knapp zwei Milliarden Euro teuren Beschleuniger der Natur der mysteriösen Dunklen Materie und Dunklen Energie im Kosmos auf die Spur zu kommen. Außerdem möchten sie die Vorliebe der Natur für Materie statt Antimaterie untersuchen und diejenige Form von Materie erzeugen und studieren, die zum Anbeginn der Zeit direkt nach dem Urknall existiert hat. "Der LHC wird voraussichtlich einen weltweiten Brennpunkt der Teilchenphysik für die nächsten 20 Jahre bilden", sagt Gillies.

Am 29. September, dem 50. Jahrestag der Ratifizierung der CERN- Konvention durch die zwölf Gründungsstaaten 1954, feiert das Teilchenforschungszentrum seinen offiziellen Geburtstag. Unter anderem wird eine Gruppe 50-Jähriger die Kerzen auf dem übergroßen Geburtstagskuchen des CERN ausblasen -- ein Ereignis, das wie viele andere CERN-Aktivitäten weltweit zu verfolgen sein wird, natürlich über das World Wide Web. (Till Mundzeck, dpa) / (tol)