Kommentar: Nur in Deutschland ist die Klimaanlage etwas Schlechtes
Klimaanlage? Geht ja gar nicht! Wärmepumpe? Super. Clemens Gleich kommentiert die seltsame deutsche Tugendwahrnehmung an der Moralscheide des Klimakompressors.
Freund oder Feind? Vielleicht kommt es auf die Prozessrichtung an ...
(Bild: Clemens Gleich)
Viele Technologien haben eindeutige Rollen in den jeweiligen gesellschaftlichen Gruppen. Eine Windturbine etwa kommt eindeutig negativ an in dieser Gruppe, während sie in jener als grundsätzlich positiv gilt. Das gilt für sehr viele Technologien, die das öffentliche Leben auch nur am Rand betreffen: Automobil, Photovoltaikzelle, Druckwasserreaktor, Gas-und-Dampf-Kraftwerk und so weiter. Der Klimakompressor hält hier jedoch eine sehr seltsame Sonderrolle.
Klimaanlage: schlecht
Amerikaner fragen sich oft, wieso in Deutschland bei Hitze so wenig klimatisiert wird in Gebäuden. Sie drehen lustige oder lustig gemeinte Videos, wie der Ami-Gast im Schweiße seines Angesichts zerfließt und fragt, warum es keine Klimaanlage gibt. Das deutsche Pendant des Stücks steht dann hitzegeübt herum und sagt: "Das braucht man nicht und außerdem sind Klimaanlagen umweltschädlich." Gut beobachtet: So eine Meinung findet man in weiten Teilen Deutschlands, und sobald das Thema im öffentlichen Rundfunk thematisiert wird, springt sogleich die Redakteurin bei jeder Erwähnung von Klimatisierung ein mit "aber das ist schädlich!".
Wärmepumpe: gut
Dieselben Menschen sagen dann zu viel größeren Klimakompressoren mit gigantisch viel mehr Betriebsstunden (der Wärmepumpe): "Das ist super, das ist die Zukunft der Gebäudetechnik im Neubau und im Bestand." Es kann also nicht um die Technologie gehen, denn die ist in beiden Anwendungen gleich, inklusive aller Vorteile, inklusive aller prinzipiellen Kritikpunkte. Es kann auch nicht um die Ressourcen gehen, denn Klimaanlagen brauchen in unseren Breitengraden viel weniger Rohstoffe und Strom als Wärmepumpen, und den auch noch mit einer wesentlich geringeren CO₂-Intensität, weil Klimaanlagen laufen, wenn wir im Solarstrom ersaufen.
Videos by heise
Es kann nicht einmal um den Nutzen gehen, denn Warmwasserbereitung im Sommer per Wärmepumpe ist eine reine Komfortfunktion, wie jeder Berghüttengast weiß. Demgegenüber kann eine Klimaanlage zum Beispiel im Krankenhaus gefährliche Gesundheitsprobleme vermeiden helfen. Es geht also um eine fehlerhafte dichotome Aufspaltung einer Technologie aus gefühlter Moralwahrheit heraus.
Hitzeschutz ohne Kältetechnik
In der Folge unserer deutschen Sonderansichten enthalten die "Hitzeschutzpläne" der Regierung erstaunlich wenig Klimaanlagen. Diese Pläne wurden erst kürzlich mit viel Brimborium überarbeitet und sind seitdem dümmer denn je. In den Tipps zu Sport steht nichts, was Sportvereine nicht seit über 100 Jahren wissen (Schatten, Trinken, ausfallen lassen, ach ne), und schon gar nichts zu Klimatisierung. Klimaanlagen stehen als "nur notfalls" in den Tipps für den Neubau psychotherapeutischer Praxen im Hitzeschutzplan dazu. Wieso "notfalls"? Wenn jemand der werten Mitleser eine neue Praxis bauen sollte: Bitte planen Sie Klimatisierung mit ein, gleich mit der Heizung. Sie wird sich rechnen. Man möchte fast meinen, die Bundeshitzeschutzregierung plane mit sinkenden Durchschnittstemperaturen. Der breite Konsens liegt jedoch bei steigenden Schnitten.
Am deutschen Wesen ist noch keiner genesen
Werfen wir einen Blick auf Spanien: Dort sinkt die Hitzesterblichkeit seit Jahren. In Spanien ist es aber breitengradbedingt viel heißer. Spanien lag zudem bei meinem letzten Blick auf meine Milchstraßenkarte auf demselben Planeten wie Deutschland, ist also ebenfalls von der Erderwärmung betroffen. Wie geht das dort also mit weniger gesundheitlichen Hitzeproblemen? Diese rhetorische Frage ist sehr deutsch. Jedes heiße Land weiß genau, wie das geht: Man kühlt Innenräume mit Klimaanlagen, sodass sich Personen dorthin zurückziehen können. Das ist besonders wichtig in Krankenhäusern, Altenheimen und ähnlichen Immobilien. Jeder zivilisierte Mensch auf der Welt erkennt die Chancen der Klimatechnik an dieser Stelle. Nur die Deutschen zögern, als reines Tugendhaftigkeitssignal.
Statt wirksamer Kältetechnik gibt es Wettbewerbe in hocheffizienter Steuergeldverbrennung wie die "Hitzetelefone" in meiner Gegend, die als Lachnummer des Sommerlochs als Sau durchs Mediendorf gepeitscht wurden. Wenn es in einer alten Stadt-Dachwohnung nachts 39° C hat und keiner schlafen kann, kann man beim Staatshitzedienst anrufen und danach auch nicht schlafen, weil man von "trinken Sie vielleicht mal was" auch nicht abkühlt. Die Verantwortlichen klopften sich bestimmt gegenseitig auf die Schulterpölsterchen, denn man hat ja etwas unternommen. Man möchte sie alle in Omas Rentiermantel packen und auf dem 39°-C-Dachboden nur mit einem Telefon zur Kühlung einsperren.
Steuergeld an Kältetechniker
Nehmen wir an, die Gelder für Hitzeschutzpläne und Hitzehotlines und das ganze andere vollkommen nutzlose Gedöns wären im Betrag fix. Man müsste das Geld für den Hitzeschutz ausgeben oder es würde in Flammen aufgehen. Dann wäre jeder in eine Klimaanlage in öffentlichen Gebäuden investierte Euro unendlich mal wirksamer als jeder Hitzeschutzplan voller Allgemeinplätze, weil dessen Wirkung bei Null liegt. Vielleicht ist der Nutzen der Pläne sogar negativ, weil sie kollektiv Kopftemperaturen wutbedingt erhöht.
Wenn wir das Geld dergestalt in Klimatisierung umleiteten, würde kein anderes Land mit der Wimper zucken oder uns gar als weniger tugendhaft wahrnehmen. Im Gegenteil sähe es sehr gut für Deutschland aus, wenn die Schwächsten, Alten und Kranken es im Sommer kühler haben könnten, statt von einer Hitzehotline verhöhnt zu werden. Aus reiner Systemträgheit müssen wir für den nächsten Sommer mit mehr Hitzeschutzblabla und "Klimaanlagen sind schädlich" rechnen. Aber eine Änderung der Moralvorstellungen beginnt zum Glück nicht in der Politik, sondern in der Breite der Bevölkerung. Überdenken Sie doch einmal Ihre Einstellung zu Moral und Klimakompressor. Machen Sie ein bisschen Wind. Politik und Medien werden ihre Fähnchen dann schon in den kühlen Zug hängen.
(cgl)