Kinder- und Jugendschutz: Alles außer Schnellschüsse gesucht
Wie kann wirksamer Kinder- und Jugendschutz im digitalen Zeitalter aussehen? Eine Kommission soll das nun für die Bundesregierung herausfinden. Das kann dauern.
(Bild: Natalia Deriabina/ Shutterstock.com)
An einem mangelt es der Debatte um Kinder und Jugendliche und ihrer Nutzung digitaler Angebote seit Jahrzehnten nicht: steilen Forderungen aus der Politik, aber teilweise auch aus der Wissenschaft. Auch heutzutage werden Verbote von Endgeräten, Plattformen oder zumindest eine Ausweispflicht gerne als einfache Lösungen propagiert. Wo aber beginnt ein schädliches Level der Nutzung? Wovor müssen Kinder und Jugendliche geschützt werden? Was wäre überhaupt wirksam? Und was davon beschränkt Jungen und Mädchen dann in einer Art und Weise, die nicht sein darf? Entlang dieser Leitplanken sollen nun 16 Mitglieder einer Kommission und zwei Vorsitzende im Auftrag der Bundesregierung Antworten finden.
"Die Kommission wird konkrete Handlungsempfehlungen erarbeiten", sagt die Bundesministerin für Bildung, Familie, Senioren, Frauen, Jugend und Familie Karin Prien. Die CDU-Politikerin will auch Anbieter nicht aus der Pflicht entlassen, mehr für einen wirksamen Kinder- und Jugendschutz zu tun. Doch ein Jahr lang – bis zur nächsten parlamentarischen Sommerpause – solle keine eigene Initiative der Bundesregierung erfolgen. Bis dahin sollen die Mitglieder ihre Empfehlungen vorlegen.
Gemeinsam mit Prien stellten die Ko-Vorsitzenden heute ihre Pläne in Berlin vor. Die Ko-Vorsitzende Nadine Schön betont: "Die digitalen Möglichkeiten nehmen von Tag zu Tag zu. Kinder und Jugendliche sollen die digitalen Möglichkeiten nutzen und selbstverständlich damit aufwachsen". Doch für die langjährige CDU-Bundestagsabgeordnete sei das mit mehr Sicherheit untrennbar verbunden. Es gebe keine absolute Sicherheit, aber zumindest eine Einhegbarkeit der bekannten Probleme, so Schön.
Risikoreiches Verhalten – und wenig konkrete Daten
Und die könnten durchaus gewaltig sein, wie Olaf Köller beschreibt. Der wissenschaftliche Direktor des Leibniz-Instituts für Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik ist der andere Vorsitzende des Gremiums. Etwa eine Million Kinder könnte nach derzeitiger Datenlage ein riskantes Verhalten im digitalen Raum zeigen, eine halbe Million würde allein bei Computerspielen ein eher risikoreiches Verhalten an den Tag legen, so Köller unter Berufung auf Daten anderer Forscher – und mit dem Hinweis darauf, dass an vielen Stellen keine valide Datenlage existiere. Da Digitalisierung aber nicht verschwinden werde, sei es wichtig, fachübergreifend nicht nur regulatorische, sondern auch gesamtgesellschaftliche Antworten zu finden.
Unter den insgesamt 18 Mitgliedern der nun eingesetzten Kommission finden sich sehr unterschiedliche Perspektiven wieder – von Medizinern, Psychologen und Kriminologen über Juristen bis zu Bildungs- und Medienforschern. Am Ende der Arbeit, die mit einer umfassenden Bestandsaufnahme beginnen soll, würde keine To-Do-Liste für den Bundesgesetzgeber stehen, sondern möglichst konkrete Handlungsempfehlungen für alle Ebenen und Gruppen, von der Europäischen Union bis zu Eltern und Pädagogen.
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Nicht in der Kommission sind: Kinder und Jugendliche oder Vertreter dieser Gruppen, um die es vor allem gehen soll. Wird also wieder einmal nur über und nicht mit Kindern und Jugendlichen gesprochen? Das soll ausdrücklich nicht passieren, aber statt einzelner Vertreter sollten sehr breit Kinder und Jugendliche befragt werden, so Bundesjugendministerin Prien. Die verspricht, dass die Kommission alle notwendigen Mittel für ihre Arbeit erhalten soll.
Kein Zugriff bis zum Mindestalter?
Ihr werde das Thema bislang viel zu oft nur in Ausschnitten diskutiert, gibt Familienministerin Karin Prien der Kommission mit auf den Weg. Ferner wolle sie Ergebnissen auf keinen Fall vorgreifen, auch wenn sie selbst natürlich Präferenzen habe, etwa wenn es um eine wirksame Altersverifikation gehe oder um Verbote. "Das könnte auch bedeuten, dass man sagt: bis zu einem gewissen Alter gar keine Berührung", so Prien am Morgen in Berlin. Ohne die Eltern allerdings würde es nicht funktionieren.
Dass die Kommission ein Erfolg wird, steht dabei keineswegs fest. Allerdings dürften auch kritische Beobachter einräumen, dass die Grundidee, eine gründliche Bestandsaufnahme durchzuführen, der Debatte guttun würde. Es gehe um Differenzierung statt platter Empfehlungen, betont die Ko-Vorsitzende Nadine Schön. Für den Ko-Vorsitzenden Köller ist das Ziel, die Logik der Debatten der vergangenen Jahre zu durchbrechen. Dafür soll unter anderem in den Blick genommen werden, wie andere Staaten mit den Herausforderungen umgingen – und was davon auf die Bundesrepublik übertragbar sei. Was Köller aber auf jeden Fall vermeiden will: "Folgenlose Richtigkeit" – dass die Analyse zwar korrekt sei, in der Folge jedoch nichts passiere.
Die heute vorgestellte Kommission muss nun erst einmal ihre Arbeit aufnehmen und zeigen, ob es ihr gelingt, für bislang ungelöste Probleme die große strategische Antwort zu entwickeln, die flexibel genug für technologische Entwicklungen, individuelles Mediennutzungsverhalten und regulatorische Vorgaben ist.
(kbe)