Big Bang KI-Festival: "Machen ist wie Wollen, nur krasser"
Das Big-Bang-KI-Festival enthielt neben Weckrufen auch Diskussionen über Risiken von KI und Beiträge zur Drogen- und Mediensucht. Die ePA kassierte Lacher.
KI sei eine Riesenchance, so Digitalminister Wildberger auf dem "Big Bang KI"-Festival. Deutschland müsse "den Schalter im Kopf umlegen" in Zeiten, in denen Präsident Trump seinen "AI Action Plan" vorangebracht hat. "Jetzt lasse ich mal das ganze Drumherum außen vor, aber das, was ich mitgenommen habe, war, das muss man den Amerikanern wirklich lassen, die Begeisterung für Technologie, die Begeisterung für Innovation", so Wildberger, der im Juli mit der Trump-Administration über KI gesprochen hatte. Wenn man sich in Europa und in Deutschland eine Scheibe abschneide, dann sei schon viel erreicht. Deutschland müsse dringend aufholen.
Kritik an Regulierung
Während in den USA KI-Innovationen schnell ausprobiert und großskalig umgesetzt würden, hätten viele deutsche Gründer den Eindruck, bei ihnen stünden Vorschriften und Prüfverfahren im Vordergrund. Hier räumte Wildberger Defizite ein. Er stellte mehrere Projekte in Aussicht, die Start-ups zugutekommen sollen. Unter anderem soll ein "24-Stunden-Unternehmensgründungsprozess" eingeführt werden, der vollständig digital abläuft – von der Notarbeglaubigung bis zur Eintragung, wie bereits im Koalitionsvertrag verankert. Auch Verwaltungsvorgänge will Wildberger mithilfe von generativer KI verschlanken und effizienter gestalten. Erste Pilotprojekte seien gestartet, Ziel sei aber ein flächendeckender Einsatz.
KI sei ein Paradigmenwechsel, der gleichermaßen wirtschaftliche Chancen eröffne, aber auch gesellschaftliche Herausforderungen. "Das hat natürlich auch Implikationen auf Jobsperspektiven. Ich will jetzt aber niemandem Angst machen, weil die schlechteste aller Antworten ist, nicht teilzunehmen", resümierte Wildberger, der betonte, die Sorgen der Menschen "sehr ernst" zu nehmen. Besonders wichtig sei ihm, eine KI nach europäischen Werten zu entwickeln. Damit könne Europa nicht nur wettbewerbsfähig bleiben, sondern im Idealfall auch ein weltweites Vorbild werden.
Ein zentrales Vorhaben seines Hauses ist zudem der massive Ausbau der Recheninfrastruktur. Neben klassischen Rechenzentren will die Bundesregierung auch eine "Gigafactory" fĂĽr Compute-Power nach Europa holen. Damit sollen sowohl KI-Trainingsdaten als auch sogenannte Inference-Anwendungen (praktische Nutzung von KI-Modellen) fĂĽr Start-ups und Unternehmen verfĂĽgbar werden. Die Regierung mĂĽsse sicherstellen, dass Forschung und Entwicklung nicht in die USA abwandern.
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"Mehr Krise" ginge eigentlich nicht. Es sei jetzt höchste Zeit. "Die Gespräche, die ich in Brüssel führe, die ich auch in meinem Kabinett führe, auch mit den Ministerpräsidenten, die machen mich wirklich hoffnungsvoll", weil jeder die gleiche Sicht habe. Jetzt müsse es an die Umsetzung gehen. "Zwischen Wollen und Machen ist halt ein Riesenunterschied“, so Wildberger. Die jungen Leute wüssten viel besser als er: "Machen ist, wie wollen, nur krasser. Und darum geht es jetzt. Die EU hat ja etwas beschlossen, was jetzt umgesetzt wird". Besondere Bedeutung misst der Minister auch dem medizinischen Bereich bei. Es könne nicht sein, "wenn wir zum Beispiel Lösungen im Medizinsektor machen, dass da Forscher in die USA fliegen, um da Forschung zu machen".
Dampfmaschine, erstes Flugzeug und KI
In einem weiteren Panel bejahte Christoph Straub, der Vorstandsvorsitzende der Barmer, die Frage, ob KI-Systeme wirklich weiterhelfen. Er ginge jedoch auch davon aus, dass diese Technologie, wie etwa die Dampfmaschine oder das erste Flugzeug, auf den Markt kommen und explodieren oder abstürzen könne. Auch die Einführungsphase von ChatGPT werde "Schaden anrichten". Die Technologie sicherer zu machen, laufe immer der Einführung hinterher. Dabei verwies er auf einen Fall in den USA, bei dem ein Patient nach eigenen Angaben durch einen Ratschlag von ChatGPT Kochsalz (Natriumchlorid) über mehrere Monate durch Natriumbromid ersetzt hatte, um seinen Blutdruck zu senken. Infolgedessen entwickelte er eine Bromvergiftung (Bromismus) mit paranoiden Wahnvorstellungen und musste daraufhin psychiatrisch behandelt werden. Wichtig sei immer, die Ergebnisse von ChatGPT und Co. zu hinterfragen.
"Auffassung von Datenschutz ist Hemmnis"
Als "erste Hemmung" für die Digitalisierung im Gesundheitswesen nannte Straub Eigeninteressen einzelner Akteure. Anschließend habe die Politik gehandelt. "Mittlerweile würde ich sagen, der wesentliche Bremser, womit wir kämpfen, ist unsere Auffassung von Datenschutz". Es ginge immer um "sehr sensible Daten im Gesundheitswesen, die müssen sehr gut abgesichert werden, und das ist dann aufwendig". Lacher erntete Straub für Kritik an dem vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und Datenschützern unter dem damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn geforderten hohen Sicherheitsniveau für die ePA.
Für das BSI und den damaligen Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit sei "das höchste militärische Sicherheitsniveau gerade ausreichend". Das sei eine recht komplexe Form der Absicherung, so der Chef der Barmer. Auf die Frage des Moderatoren Jens de Buhr von Dup Unternehmer Medien, ob das typisch deutsch sei, antwortete er: "Ich will das gar nicht werten". Er habe die Gelegenheit, mit der neuen Bundesdatenschützerin, Louisa Specht-Riemenschneider, bei einer kleinen Veranstaltung dabei zu sein. Er sei gespannt, wie sie sich dazu verhält. Dabei handele es sich um eine politische Entscheidung und um die Frage des Umgangs mit Gesundheitsdaten. Er sei traurig, dass die DSGVO nicht so ausgelegt werde, "dass es wirklich schneller und leichter nach vorne geht".
Reformstau
Ferner legte Straub die Perspektive der Krankenkassen dar – und zeichnete ein Bild eines Systems, das unter massiven Reformstaus leidet. Während Krankenhäuser zu oft leer stünden und Strukturen ineffizient blieben, explodieren Straub zufolge die Kosten für hochinnovative Medikamente, sogenannte Biologicals. Einzelne Therapien kosteten demnach teilweise mehrere Hunderttausend Euro pro Patient und Jahr, für seltene Erkrankungen wie spinale Muskelatrophie sogar über zwei Millionen pro Spritze. "Wir haben das mittlerweile etwas reguliert, aber nicht, wenn das Präparat in den Markt kommt", so Straub. Nötig seien Verhandlungen mit der Pharmaindustrie und strengere Preisregulierungen – nicht auf Ebene einzelner Krankenkassen, sondern im gesamten System. Hohe Preise seien nur gerechtfertigt, wenn ein Heilungsversprechen erfüllt werde.
Sorgen ernst nehmen
Einen anderen Akzent setzte der Virologe und Bundesdrogenbeauftragte Prof. Dr. Hendrik Streeck. Er kümmert sich als Sucht- und Drogenbeauftragter um die Schwerpunkte "Synthetische Opioide und Crack, Cannabis und Mediensucht". Mediensucht sei eine wachsende Herausforderung: Jedes vierte Kind zeige bereits riskantes Nutzungsverhalten. "Der Durchschnitt bei Jugendlichen liegt bei vier Stunden Social Media, zwei Stunden Gaming und zwei Stunden Streaming. Das sind acht Stunden am Tag. [...] Es gibt einige, die sind 16, 20 Stunden am Tag im Durchschnitt am Handy", so Streeck. Pathologisch werde es dort, "wenn man anderes vernachlässigt", auch als "Phubbing" bezeichnet. Etwa, wenn man sich am Esstisch nicht mehr mit den Eltern unterhält, keine Hausaufgaben oder Hobbys mehr macht.
In der Cannabis-Debatte erklärte Streeck, man müsse klar unterscheiden zwischen Medizinal- und Konsumcannabis. Speziell bei Jugendlichen würden regelmäßig Cannabis-induzierte Psychosen auftreten. Zugleich gehöre zur Wahrheit, dass 4,5 Millionen Erwachsene in Deutschland regelmäßig konsumieren. Hier brauche es eine sachliche Debatte.
Als Grund für seinen Schwerpunkt auf synthetische Opioide nannte er das europaweite Phänomen, dass immer mehr und immer unvorhersehbarere und potentere Opioide auf den Markt kommen, von denen Bleistiftspitzengrößen tödlich sind. "Die werden beigemengt in normale Seroinen, aber auch in Medikamente, die man online bestellt", warnte Streeck und verwies dabei auf die hohe Zahl an Drogentoten – rund 2200 Menschen. Man komme zum Teil gar nicht mehr hinterher, was auch mit den Taliban zu tun habe und Europas Zugang zu natürlichem Heroin.
Große Sorge bereite ihm, dass nicht mehr richtig überblickt werden könne, was auf den Markt kommt. Dann könne man nicht warnen und auch keine Gegenmittel bereitstellen. Daher arbeite Streeck an einem effektiven Monitoring- und Frühwarnsystem, "dass wir idealerweise in Echtzeit den Suchthilfen, den Polizistinnen und Polizisten, den Rettungssanitätern, aber auch den Abhängigen selbst sagen könne: 'Passt auf, dass Heroin [...] auf der Straße ist gestreckt mit Nitazen zum Beispiel, die eine 500-fache Potenz von Heroin hat". Zudem betonte er, dass nicht nur die medizinische Forschung mit KI Fortschritte mache, sondern auch Kleinstlabore im Drogenbereich.
(mack)