Richard Stallman ruft zum Kampf gegen EU-Gemeinschaftspatent auf

Laut dem Doyen der Free Software Foundation müssen Firmen außerhalb der Computerbranche dem Problem Softwarepatente dringend mehr Aufmerksamkeit schenken, da die Wirtschaft allgemein blockiert werde.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 156 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.

Richard Stallman, der Doyen der Free Software Foundation (FSF), hat sich auf dem Free and Open Source Software Developers' European Meeting (FOSDEM) in Brüssel vehement gegen neue Pläne der EU zur Sanktionierung von Softwarepatenten ausgesprochen. Er bezog sich dabei auf den "letzten Anlauf" der EU-Kommission, über einen Rahmenbeschluss des Ministerrates ein Gemeinschaftspatent zu etablieren. "Wir müssen von Anfang an auf die Zurückweisung der Regelung drängen", betonte Stallman. Das Problem bei dem Brüsseler Vorstoß sieht er insbesondere in der Tatsache, dass mit dem Gesetz das Europäische Patentamt (EPA) "die direkte Macht zur Vergabe EU-weiter Patente" erhalten würde. Gleichzeitig sehe der Entwurf zur Etablierung eines Gemeinschaftspatents vor, die weitgehende und Softwarepatente entgegen des für Europa gültigen Patentabkommens erlaubende Praxis des EPA zu autorisieren.

"Es wird auf euch ankommen, diese Schlacht genauso wie die frühere auszufechten", rief Stallman die über 1000 versammelten Entwickler im Audimax der Freien Universität Brüssel erneut zum Kampf auf. Er erinnerte daran, dass die "Armee" der Softwarepatentbefürworter aus den "Mega-Konzernen" die Auseinandersetzung im Sommer als "zu riskant" aufgegeben und das EU-Parlament danach die geplante Richtlinie über die Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" zurückgewiesen habe. Jetzt würde die Konzernlobby wieder versuchen, die gewünschte Absolution für Softwarepatente über ein undurchsichtiges Verfahren zu erhalten. Aus Effizienzgründen könne ein Gemeinschaftspatent für die EU zwar durchaus Sinn machen, gab Stallman zu. Wenn eine solche Systemverbesserung aber zwangsweise mit der Legalisierung von Softwarepatenten verbunden sei, müsste sie auf jeden Fall abgelehnt werden.

Mit der Vergabe von Monopolansprüchen auf Computerprogramme sieht der FSF-Vordenker "die Freiheit zur Entwicklung von Software auf dem Spiel stehen". Die Entwickler freier Software sieht Stallman besonders in Gefahr, da diese sich nicht etwa über den Einkauf globaler Lizenzen für Patentnutzungen am Spiel der Großen rund um die gewerblichen Schutzrechte beteiligen könnten. Auch Nichtigkeitsklagen gegen Softwarepatente kämen auf Dauer viel zu teuer für die Entwicklergemeinde. Gegen geschenkte Lizenzen zur Patentnutzung in freier Software, wie sie IT-Konzerne wie IBM seit einiger Zeit verteilen, hat Stallman zwar nichts. Eine echte Lösung für das Problem der Softwarepatente könnten solche Ansätze aber nicht darstellen.

Die grundsätzlichen Schwierigkeiten mit dem Patentschutz auf Computerprogramme beschrieb Stallman damit, dass eine einzelne Software zig gute Ideen enthalte. Es gebe zwar noch den Mythos, dass pro Produkt ein einzelnes Patent erteilt werde. Diese Relation bezöge sich aber höchstens noch teilweise auf den Pharmabereich, führte der Vorkämpfer der freien Softwareszene aus. "Wir dagegen entwerfen Mathematik, abstrakte Einheiten, die nicht einmal notwendigerweise in der physischen Realität existieren müssen." Es sei daher im Vergleich zum physikalischen Ingenieurswesen fundamental einfacher, neue Ideen in die Entwicklung einzubringen. "Wir können Millionen einzelner Komponenten in einem einzigen Programm zusammenbringen", erläuterte Stallman. Jede davon implementiere unterschiedliche Ideen, sodass eine Codezeile von zahlreichen Patenten betroffen sein könnte. Allein die möglichen Schutzansprüche auf das komplette Linux-System schätzte Stallman auf mehrere Hunderttausend. Dies mache das ganze "Desaster" von Softwarepatenten schon deutlich.

Der gern zitierte Vergleich vom Programmieren als einem Lauf über ein juristisches Minenfeld schien dem FSF-Gründer daher noch als zu schwach. "Wenn jemand auf eine Landmine tritt, ist sie nicht mehr gefährlich", übte sich Stallman in Galgenhumor. "Ein Patent kann dagegen immer wieder explodieren und eine beliebige Anzahl an Projekten zerstören." Letztlich würden Softwarepatente auch dem eigentlichen Zweck des Patentsystems zuwiderlaufen, Innovationen zu fördern. Alles, was Monopolansprüche auf Computerprogramme jedoch ausrichten würden, sei die Blockade der Nutzung von Ideen. Gerade Firmen außerhalb des Softwaresektors müssten mehr Aufmerksamkeit auf diese Restriktionen richten, da auch sie früher oder später "Opfer des Systems" werden und eines Tages ihre Rechner nicht mehr gefahrlos nutzen könnten. Pieter Hientjens, Präsident des Fördervereins für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII), unterstrich Stallmans Ausführungen. Seiner Ansicht nach sind Softwarepatente sowohl ein politisches als auch ein wirtschaftliches Problem. "Sie sind schlecht für Unternehmen", betonte er. "Jeder, der Programme erstellt oder nutzt, kann früher oder später verklagt werden".

Zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente in Europa und die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computer-implementierter Erfindungen" siehe den Artikel auf c't aktuell (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):

(Stefan Krempl) / (jk)