Zahlen, bitte! Die 1000 Augen des Dr. Mabuse: Überwachungsstaat vorweg genommen
Der Film "Die 1000 Augen des Dr. Mabuse" warf bereits 1960 die Frage auf, wie man sich Überwachungsmethoden entziehen kann. Die Antwort ist nicht so einfach.
(Bild: Heise Medien)
Vor 65 Jahren lief in Deutschland der erste Film in den Lichtspieltheatern, der sich mit den Folgen der Überwachung beschäftigte. "Die 1000 Augen des Dr. Mabuse" spielen in einem noblen Berliner Hotel, in dem alle Zimmer mithilfe von Fernsehkameras überwacht werden.
Im Keller des Hotels gibt es einen großen Kontrollraum, in dem die Informationen aus der Überwachungsanlage verdichtet werden: Dem geheimnisvollen Mabuse geht es um das Ausspionieren von Industriellen, um die Wirtschaft zu vernichten und um an Kernmaterial heranzukommen, um die Welt zu beherrschen. Dafür nutzt er eine Anlage, die von der Gestapo gebaut wurde, um ausländische Touristen zu überwachen. Die Botschaft des Regisseurs Fritz Lang ist eindeutig: Überwachung ist faschistisch.
Der Film begeisterte die Zuschauer mehr als die Kritiker
Der von der CCC-Filmkunst des Artur Brauner produzierte Film fiel zwar bei der Kritik durch, war aber in den Kinos sehr erfolgreich. Er spiegelte die Nachkriegszeit in einem Deutschland, das sich mit der jüngsten Vergangenheit zu beschäftigen begann ("Rosen für den Staatsanwalt"), mit der Angst vor einem Atomkrieg und mit dem Image der Stadt Berlin, in der viele Menschen direkt oder indirekt für Geheimdienste arbeiteten. Ein kurz gezeigter Doppelstock-Bus gibt den Hinweis, dass es sich um Westberlin handeln muss. "Die 1000 Augen des Dr. Mabuse" wurde exakt ein Jahr vor dem Bau der Mauer produziert.
Regisseur Fritz Lang hatte mit dem Stummfilm "Dr. Mabuse der Spieler" 1922 seinen Durchbruch als Regisseur und mit "Das Testament des Dr. Mabuse" 1932 Filme produziert, die sich mit zeitgenössischen Fragen beschäftigten, wie Menschen manipuliert werden können. 1922 war das die Diskussion über die Psychoanalyse und Hypnose, 1932/33 die Off-Stimme im Film und das Hören als Primärerfahrung (Acousmetre).
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Dazu montierte er 1932 Aussagen von Nazi-Größen als Radiowellen der Verbrecherorganisation direkt in den Film, der deswegen von den Nationalsozialisten verboten wurde. Lang emigrierte in die USA. Als der Filmproduzent Artur Brauner den nach dem Zweiten Weltkrieg nach Deutschland zurückgekehrten Lang mit Abschluss der Produktion von zwei Abenteuerfilmen zu einer Fortsetzung der Mabuse-Reihe überzeugen konnte, musste neue Technik her.
Allgegenwärtige Informationsbeschaffung breit inszeniert
Brauner erwarb 1953 wie in den ersten Filmen die Mabuse-Filmrechte des luxemburgischen Schriftstellers Norbert Jacques, kaufte dazu aber noch die Rechte des polnisch-deutschen Autors Jan Fethke. Dieser hatte 1931 unter dem Pseudonym Jean Forge den Detektivroman "Mr. Tot aĉetas mil okulojn" (Mr. Tot kauft 1000 Augen) veröffentlicht. Mr Tot installiert Fernsehkameras in einem Hotel und überwacht so die Gäste. Im so zusammengesetzten Nachkriegsfilm über Dr. Mabuse wird der Darstellung der Überwachungstechnik und dem Kontrollraum relativ breiten Raum gewährt, um "ein Szenario der perfekten Informationsbeschaffung in der modernen Gesellschaft" zeichnen zu können, wie es ein Rezensent bemerkt.
Im Hotel werden nicht nur alle über Kameras durch Mabuses Organisation überwacht, sondern alle Hauptpersonen haben auch ein Motiv, die anderen zu überwachen. Mabuses Organisation will Industriegeheimnisse ausspionieren, auch von einem US-Milliardär, der mit Atomtechnik reich geworden ist. Auf ihn ist eine Frau angesetzt, die wiederum von einem Kriminalkommissar überwacht wird, der den Mord an einem Journalisten aufklären soll.
Schließlich gibt es noch einen Hellseher, der davon überzeugt ist, dass Mabuse ihn töten will. Am Ende wird der Kopf der Organisation Mabuse, ein ständig die Identität wechselnder Unbekannter, der inspiriert durch "Mabuses Testament" die Weltherrschaft an sich reißen will, von einem Deutschen Schäferhund enttarnt.
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Letzter Film von Fritz Lang
Die "1000 Augen des Dr. Mabuse" ist der letzte eigene Film, den Fritz Lang realisierte. Danach ging er zurück in die USA. Artur Brauner konnte ihn nicht zu Fortsetzungen überreden, mit denen er ein Gegengewicht zur Welle der Edgar-Wallace-Filme schaffen wollte. Dennoch entstanden unter anderen Regisseuren weitere Filme.
"Fritz Langs dystopische Vision von einer Welt, in der jeder für die Zwecke eines anderen beobachtet und durchleuchtet wird, ist Jahrzehnte später längst Alltagsrealität, in 'Die 1000 Augen des Dr. Mabuse' besonders aus heutiger Sicht etwas naiv umgesetzt", lautet eine Filmkritik einer deutschen Krimi-Spezialseite.
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"Wie kann man sich ausufernder Überwachung entziehen?" ist damit eine Frage, die seit 1960 im Raum steht. Darauf gibt es eine etwas naive Antwort, natürlich unter dem Titel "Die 1000 Augen des Dr. Mabuse": Eine kleine Schulterklappe, Surveillance Spaulder genannt, gibt laut Technologie Review "ihrem Träger jedes Mal einen freundschaftlichen Klaps, wenn ihre eingebauten Sensoren eine Überwachungskamera registrieren. Auch wenn die versteckt montiert ist." Diese Idee einer Anti-Kamera-Rüstung, die auf Infrarot-Abtastung hin anspringt, stammt aus dem Jahre 2013. Sie hat sich leider nicht durchgesetzt. Im TR-Artikel ist auch von der Stealth Wear Mode des Künstlers Adam Harvey die Rede, die ebenfalls 2013 vorgestellt wurde.
Gangerkennung als dystopisch-präzise Erkennungsmethode
Gesicht und Körper zu verbergen, mag mitunter helfen, doch die Technik entwickelte sich ebenfalls weiter. Mit tausend Augen ausgestattet, rollte 2020 die nächste Welle der Überwachungstechnik heran, die biometrische Gangerkennung. "Der menschliche Gang ist zwar ähnlich spezifisch wie das Gesicht. Um ihn zu analysieren, braucht man aber weniger gut ausgeleuchtetes Bildmaterial. Im Zweifelsfall reichen sogar die Daten vom Beschleunigungsmesser des Smartphones in der eigenen Hosentasche."
Ein Dr. Mabuse, der sich im Stummfilm von 1922 mehrfach aufwendig verkleidete, wäre mit dieser Überwachungstechnik schnell enttarnt worden. Damit sind wir im Hier und heute angelangt, denn die Gangerkennung soll den Überwachern dort helfen, wo die Gesichtserkennung scheitert. Deshalb fordern Menschenrechtsorganisationen ein Verbot der Technik. So hieß es schon 2020: "Mit rein technischer Regulierung ist solch einer Überwachungstechnologie nicht beizukommen."
(mawi)