Physiknobelpreis für Wegbereiter des Quantencomputing

Für die Entwicklung von quantenmechanischen Schaltkreisen erhalten drei US-Forscher in diesem Jahr den Nobelpreis für Physik.

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Physiknobelpreisträger 2025: John Clarke, Michel H. Devoret, John M. Martinis (von links)

Physiknobelpreisträger 2025: John Clarke, Michel H. Devoret, John M. Martinis (von links)

(Bild: Niklas Elmehed © Nobel Prize Outreach)

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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Der diesjährige Nobelpreis für Physik geht an John Clarke, Michel H. Devoret und John M. Martinis für ihre Demonstration, dass Quanteneffekte nicht nur in winzigen Objekten auftreten, sondern auch auf makroskopischer Skala eine Rolle spielen. Der Preis würdigt damit die Beiträge der US-Forscher zur Entwicklung von quantenmechanischen elektrischen Schaltkreisen, die die Grundlage für diverse Quantentechnologien wie Quantenkryptografie, Quantensensoren und Quantencomputing bilden. Das gab die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften am heutigen Dienstag in Stockholm bekannt.

Schrödingers Katze ist das wohl bekannteste Gedankenexperiment der Quantenphysik. Erwin Schrödinger wollte damit 1935 auf die Schwierigkeit hinweisen, die mikroskopische Quantenwelt mit der uns bekannten, makroskopischen Welt zu vereinbaren: Während man sich womöglich noch Atome vorstellen kann, die in zwei Zuständen gleichzeitig sind, ist es geradezu unmöglich, sich eine Katze vorzustellen, die gleichzeitig tot und lebendig ist.

Dass Quanteneffekte jedoch nicht nur für einzelne Quantenobjekte gelten, sondern auch in der makroskopischen Welt eine Rolle spielen, demonstrierten die diesjährigen Nobelpreisträger der Physik.

Quantenobjekte haben die einzigartige Fähigkeit, Barrieren zu überwinden, die nach den Regeln der klassischen Physik unüberwindbar für sie wären. Dieser Effekt heißt quantenmechanisches Tunneln und er ist bereits seit den 1920er Jahren bekannt. Dieser Effekt erlaubte es Physikern etwa, eine bestimmte Art des radioaktiven Zerfalls zu erklären.

In der klassischen Physik können Objekte manche Barrieren nicht überwinden (links). In der Quantenphysik ist es Quantenobjekten aber möglich, solche Barrieren zu durchtunneln (rechts).

(Bild: Johan Jarnestad/The Royal Swedish Academy of Sciences)

Physiker fragten sich schnell, wie groß Teilchen oder Systeme sein dürften, um noch immer den Tunneleffekt nutzen zu können. Insbesondere fragten sie sich, ob womöglich mehr als ein Teilchen auf einmal eine Barriere durchtunneln könnte.

In einer Reihe von Experimenten, die sie in den 1980er Jahren durchführten, konnten die Preisträger Clarke, Devoret und Martinis zeigen, dass dieser Effekt auch in speziellen elektrischen Schaltkreisen auftritt.

Konkret schauten sie sich supraleitende Schaltkreise an. In einem Supraleiter bewegen sich die Elektronen paarweise durch das Material; sie bilden sogenannte Cooper-Paare. Diese Cooper-Paare bewegen sich, im Gegensatz zu gewöhnlichen Elektronen, nahezu ungestört durch das Material, was dazu führt, dass Strom praktisch ohne elektrischen Widerstand durch einen Supraleiter fließen kann.

In einem normalen Leiter stoßen Elektronen aneinander, sodass ein Widerstand entsteht (oben). In einem Supraleiter bilden Elektronen Cooper-Paare, die sich ohne Widerstand durch das Material bewegen können (Mitte). Viele Cooper-Paare können sich gemeinsam wie ein einzelnes Quantenobjekt verhalten, was zu besonderen Effekten führt, wie etwa dem Josephson-Effekt (unten).

(Bild: Johan Jarnestad/The Royal Swedish Academy of Sciences)

Verbindet man zwei Supraleiter, getrennt lediglich von einer dünnen, isolierenden Schicht, bildet man einen sogenannten Josephson-Kontakt. Dieser ist benannt nach Brian Josephson, der 1973 für seine theoretische Beschreibung dieser Bauteile den Nobelpreis für Physik erhielt.

Ist die isolierende Schicht zwischen den beiden Supraleitern sehr dünn, können die Cooper-Paare von einer Seite zur anderen hindurchtunneln. Es fließt also ein Strom, obwohl die beiden Schichten eigentlich voneinander getrennt sind.

John Clarke untersuchte Josephson-Kontakte in seiner Forschungsgruppe an der University of California, Berkeley. In den 1980er Jahren stieß Michel Devoret als Postdoc der Gruppe hinzu, John Martinis als Doktorand.

Das Team leitete einen schwachen Strom durch einen Josephson-Kontakt und maß die Spannung, die an dem Bauteil abfiel. Anfänglich war diese Spannung gleich Null, da kein Strom floss und die Elektronen jeweils auf ihrer Seite des Isolators eingesperrt waren.

Nach einer kurzen Zeit gelang es den Teilchen jedoch, die Barriere zu durchtunneln und es trat eine messbare Spannung auf. In diesem Zustand verhielten sich die einzelnen Teilchen gemeinsam wie ein einziges quantenmechanisches Objekt. Damit zeigten die Forscher, dass mikroskopische Objekte – die Cooper-Paare – einen makroskopischen Effekt haben können, nämlich eine messbare Spannung.

Die Forscher bestrahlten den Kontakt außerdem mit Mikrowellenstrahlen verschiedener Wellenlänge. Dabei stellten sie fest, dass das System nur auf bestimmte Frequenzen reagierte und daraufhin in einen höheren Energiezustand wechselte. Damit demonstrierten sie, dass im Josephson-Kontakt quantisierte Energieniveaus vorliegen.

Das ist eine besondere und die namensgebende Eigenschaft von Quantenobjekten: Statt beliebige Energiewerte anzunehmen, dürften diese häufig nur in bestimmten, gestuften Energiezuständen existieren. Sie zeigten damit, dass sich Josephson-Kontakte wie künstliche Atome verhalten – ein Atom, das sich mit Kabeln und Strahlung kontrollieren und einstellen lässt.

Diese Schaltkreise haben eine ganze Reihe neuer Anwendungen ermöglicht. Besonders eindrucksvoll ist die Konstruktion von Quantencomputern, wie wegweisende Experimente von Martinis zeigten. Er nutzte die quantisierten Energielevel dieser Bauteile, um das quantenmechanische Pendant zu klassischen Bits zu konstruieren: die sogenannten Qubits. Er assoziierte die zwei niedrigsten Energieniveaus mit den logischen Zuständen 0 und 1.

Heute nutzen etwa Google, IBM und europäische Unternehmen wie IQM supraleitende Qubits, um Quantencomputer zu entwickeln. Martinis leitete von 2014 bis 2020 das Hardware-Team von Googles Quantum Artificial Intelligence Lab. Er leitete die Experimente, in denen Google 2019 erstmals behauptete, Quantenüberlegenheit ("quantum supremacy") demonstriert zu haben. Sie behaupteten also, ein Problem gelöst zu haben, das ein klassischer Supercomputer nicht in einer realistischen Zeitspanne lösen könnte.

Diese Behauptung wurde später widerlegt, trotzdem ist Google eines der führenden Unternehmen bei der Entwicklung von Quantencomputern. Heute sind supraleitende Schaltkreise nur eine von vielen Ansätzen, Quantencomputer zu realisieren, neben etwa Atomen, Ionen und Photonen. Welche Plattform zum Durchbruch im Quantencomputing führen wird, ist bislang unklar.

Im Anschluss an die Verkündung der Nobelpreisträger sprach die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften am Telefon mit John Clarke. "Um es milde auszudrücken: Dies war die Überraschung meines Lebens", sagt er. "Wir hatten in keiner Weise erwartet, dass unsere Forschung die Grundlage für einen Nobelpreis sein könnte."

Ihre Entdeckung ermögliche viele Anwendungen, wie etwa das Telefon, sagt er. "Unsere Entdeckung ist die Basis von Quantencomputing, aber unsere Entdeckung hing auch von den Beiträgen vieler anderer Kollegen ab."

Was später aus der eigenen Forschung werden würde, könnte man vorher nie wissen, betonte auch Olle Eriksson, Vorsitzender des Nobelpreiskomitees. "Die Wissenschaft bringt unsere Gesellschaft immer voran. Selbst wenn wir nicht wissen, was morgen sein wird: Etwas Gutes wird immer kommen."

Im vergangenen Jahr ging der Physik-Nobelpreis an John Hopfield von der Princeton University und Geoffrey Hinton von der University of Toronto für die Entdeckungen und Erfindungen, die maschinelles Lernen mit künstlichen neuronalen Netzen ermöglichen.

Hopfield und Hinton nutzten Werkzeuge aus der Physik, um Methoden zu entwickeln, die dazu beitrugen, den Grundstein für das heutige leistungsstarke maschinelle Lernen zu legen. Das maschinelle Lernen auf der Grundlage künstlicher neuronaler Netze revolutioniert derzeit die Wissenschaft, die Technik und das tägliche Leben.

Seit der ersten Preisvergabe im Jahr 1901 wurde der Physik-Nobelpreis nun 119-mal vergeben. Dabei sind 229 unterschiedliche Personen ausgezeichnet worden, darunter fünf Frauen. Einzig der US-amerikanische Physiker John Bardeen erhielt die Auszeichnung zweimal in der Kategorie Physik.

Am Montag wurden bereits die Nobelpreisträger für Physiologie oder Medizin verkündet. In diesem Jahr ging der Preis an Mary E. Brunkow, Fred Ramsdell und Shimon Sakaguchi für ihre Entdeckungen zur peripheren Immuntoleranz. Die Arbeit der drei Forschenden erklärt, wie das Immunsystem davon abgehalten wird, den eigenen Körper anzugreifen, und eröffnet neue Wege zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen und Krebs. Am Mittwoch wird der Nobelpreis für Chemie verliehen.

Die Nobelpreise gehen auf den Dynamit-Erfinder und Preisstifter Alfred Nobel (1833–1896) zurück. Laut seines Testaments sollen die Preise diejenigen ehren, die der Menschheit im vergangenen Jahr in den jeweiligen Preiskategorien den größten Nutzen erwiesen haben. Die Kategorie Physik ist dabei die Erste, die Nobel in seinem Testament erwähnte.

Alle Nobelpreise sind in diesem Jahr mit elf Millionen schwedischen Kronen (circa eine Million Euro) pro Kategorie dotiert. Werden mehrere Preisträger ausgezeichnet, wird das Preisgeld unter ihnen aufgeteilt. Traditionell werden die Preise feierlich an Nobels Todestag, dem 10. Dezember, in Stockholm (beziehungsweise der Friedensnobelpreis in Oslo) überreicht.

Update

Diese Meldung wurde um 13:45 Uhr mit zusätzlichen Hintergründen ergänzt.

(mit hew)

(spa)