Chatkontrolle: Warum der Streit in der Bundesregierung nur ein Zwischenstopp ist

Der Streit um eine mögliche Kontrollverpflichtung für Messenger-Betreiber entzweit die Regierung. Die Grünen wollen derweil die Bundesregierung vorführen.

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App-Symbole von Signal und WhatsApp

App-Symbole von Signal und WhatsApp auf einem Smartphone

(Bild: Henk Vrieselaar/Shutterstock.com)

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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Sollen Messenger-Anbieter wie WhatsApp, Signal, Telegram, Threema oder andere dazu verpflichtet werden, Detektionsmechanismen für potenzielle Darstellungen sexuellen Missbrauchs verpflichtend einzuführen? Das ist der Kern des aktuellen Streits um die sogenannte Chatkontrolle. Und dieser verläuft quer durch die EU und durch die Bundesregierung. Doch beschlossen wäre selbst bei einer Zustimmung der Bundesregierung noch längst nichts.

Seit 2022 verhandelt die EU nämlich über eine Verordnung für einen besseren Schutz von Kindern und Jugendlichen, unter anderem, wenn es um Darstellungen sexuellen Missbrauchs oder pornografische Darstellungen geht. Insbesondere die Digitalisierung spielt dabei eine große Rolle – auch dass Kinder und Jugendliche inzwischen mit digitalen Endgeräten ausgestattet sind und oft unbewusst zum Opfer werden. Während ein Teil der Neuregelung daher wenig umstritten ist, etwa dass der Opferschutz verbessert werden muss, ist der größte Streitpunkt die sogenannte Chatkontrolle.

Dabei geht es um das sogenannte Client-Side-Scanning (CSS): Anbieter von Apps wie Threema, Telegram, Signal oder WhatsApp sollen dazu verpflichtet werden, Inhalte automatisiert und auf dem Endgerät zu prüfen, die Nutzer von dort verschicken wollen. Und – auch das ist Teil der Überlegungen – womöglich in Verdachtsfällen auch gleich eine Meldung an eine Meldestelle bei der EU abzusetzen. Dies kann sich den Inhalt anschauen und nach Feststellung eines womöglich strafbaren Inhalts die zuständigen Behörden im Mitgliedstaat informieren.

Damit soll das Problem umgangen werden, dass einige der Messenger Inhalte wirksam und von Endnutzer zu Endnutzer verschlüsseln – die Betreiber kennen diese Inhalte selbst auch nicht. Eine Überwachung an der Leitung oder auf dem Server würde nur Datensalat zutagefördern. Stattdessen wollen die Befürworter der Chatkontrolle bei den Clients von Signal & Co. – also den Apps auf dem Smartphone oder PC – ansetzen. Effektiv würde damit also die Verschlüsselung umgangen – und ein Trojaner über die Software zwangsimplantiert.

In der EU-Gesetzgebung gibt es zu dem Vorhaben seit Jahren zwei diametral gegensätzliche Positionen: Während die Mitgliedstaaten und die von ihnen bestimmten Innenkommissare der EU-Kommission sich dafür aussprechen, hat sich das Europaparlament fraktionsübergreifend klar gegen die automatisierte Überwachung von Inhalten auf den Endgeräten der Nutzer ausgesprochen. Der Vorschlag für die Neuregelung kam von der damaligen EU-Innenkommissarin Ylva Johansson. Die Position des Europaparlaments wurde noch in der vorangegangenen Legislaturperiode gefasst.

Bevor ein Gesetzesvorhaben in Europa verhandelt werden kann, muss auch eine dritte Institution eine Position finden: der Rat der Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Die EU-Staaten sind sich aber über Jahre nicht einig geworden, was sie wollen. Das lag auch daran, dass Deutschland sich noch zu Ampel-Zeiten klar gegen die Chatkontrolle ausgesprochen hat.

Die neue schwarz-rote Koalition unter Kanzler Friedrich Merz (CDU) hat noch keine abschließende Position gefunden. Allerdings haben CDU, CSU und SPD beschlossen, dass Deutschland sich seltener enthalten solle. Würde Deutschland daher nun zustimmen, wäre die bisherige Sperrminderheit im Rat der Mitgliedstaaten dahin und der Rat würde dann offiziell dem Vorschlag zustimmen, eine Chatkontrolle einzuführen.

Bereits am morgigen Mittwoch würde im vorbereitenden Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) Deutschland dann seine Zustimmung signalisieren. Mitte Oktober, beim Rat der Telekommunikationsminister, würde eine entsprechende Vereinbarung getroffen und Bundesdigitalminister Karsten Wildberger (CDU) der Ratsposition zustimmen.

Im Bund wollen die Grünen die politische Gemengelage und den zuletzt lautstarken Protest für sich nutzen: Mit einem Entschließungsantrag im Bundestag wollen sie die Bundesregierung vorführen. "Es bestehen schwerwiegende Bedenken, ob der Vorschlag der Kommission mit geltendem europäischem Recht unter Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung sowie den nationalen verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist", heißt es in dem Antrag, den die Fraktion im Bundestag einbringen will.

Außerdem verweisen die Autoren darauf, dass die Schaffung einer Umgehung von Verschlüsselung angesichts der außenpolitischen Bedrohungslage "nicht zu verantworten" sei. Damit spielen sie auf die Salt Typhoon-Problematik an, bei der angeblich staatsnahe chinesische Akteure verpflichtende Überwachungsschnittstellen bei US-Telekommunikationsanbietern für eigene Zwecke genutzt haben sollen.

Ob es überhaupt so kommt, ist derzeit noch unklar: Während das Innenministerium unter Alexander Dobrindt (CSU) dem Vorschlag der dänischen Ratspräsidentschaft offen gegenübersteht, hat vor allem das Justizministerium unter Stefanie Hubig (SPD) starke Bedenken. Das deutsche Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme würde dadurch unterlaufen, wenn Inhalte bei allen Nutzern automatisiert durchsucht würden. Wie sich dieses Grundrecht jedoch zu Regelungen auf europäischer Ebene verhält, ist bislang nicht abschließend geklärt.

Kritiker sehen in dem Vorhaben einen Türöffner für die Überwachung aller Endgeräte – und wiederholen damit einen alten Vorwurf gegen Ursula von der Leyen, damals Familienministerin: Sie schaffe eine Zensurinfrastruktur. Die heutige EU-Kommissionspräsidentin hält sich in den Debatten rund um die Chatkontrolle unterdessen auffallend zurück – der "Zensursula"-Vorwurf ist bei ihr auch nach Jahren noch nicht vergessen.

Inwieweit bei der Neuregelung überhaupt dringender Handlungsbedarf besteht, ist umstritten. Zwar läuft im kommenden Jahr eine bereits verlängerte, aber befristete Übergangsregelung aus, die es Anbietern wie Meta, Google, Microsoft oder Apple erlaubt, freiwillig automatisiert in den online gespeicherten Inhalten ihrer Nutzer nach Missbrauchs- oder kinder- und jugendpornografischen Inhalten zu suchen. Diese werden bislang dann über das National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC) in den USA auch an europäische Behörden gemeldet. Etwa die Hälfte der beim Bundeskriminalamt auf diesem Wege gemeldeten Inhalte ist nach Einschätzung deutscher Kriminalbeamter tatsächlich rechtswidrig.

Doch selbst wenn die schwarz-rote Bundesregierung sich nun dahingehend einigen sollte, dass die Ratspräsidentschaft sich für die Chatkontrolle einsetzen soll, wäre diese noch nicht Gesetz: Dann würde der sogenannte Trilog, die Verhandlungsphase zwischen Rat, Parlament und Kommission, folgen.

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Die kann sich in besonders umstrittenen Vorhaben auch schon einmal über ein Jahrzehnt hinziehen. Eine rechtzeitige Einigung wäre ohne die umstrittene Chatkontrolle zwischen Parlament, Rat und Kommission eher fristgerecht zu erzielen. Parlamentarier wie die SPD-Abgeordnete Birgit Sippel sehen den Verweis aus den Mitgliedstaaten auf eine drohende Strafverfolgungslücke daher kritisch: Dafür seien dann die Staaten verantwortlich – die sich seit Jahren nicht einmal auf eine Verhandlungsposition einigen konnten.

(wpl)