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Was war. Was wird.

Wer Herr ist und wer Knecht, das hat sich in dieser Woche selten deutlich gezeigt. War frĂĽher aber alles besser? Ach, von wegen, da muss man nicht mal selbst die Zeitreise antreten, um das zu verneinen, ist sich Hal Faber sicher. Auch wenn manche Spinner alles fĂĽr einen Joke halten.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ganz langsam näherten sich die Einschläge: Am vergangenen Wochenende waren Dackel das Aufmacherthema der FAZ. Es folgte eine heftige Dackeldebatte über den rassigen Lieblingshund der Deutschen, über Dackelgene und die Verantwortung für ein Land, in dem die Dackelelite endlich wieder Würfe wagt. Der Dackel als solcher betrat die Bühne deutscher Diskussionskultur. Vergessen der Bundesbanker, der hochbezahlte Mitarbeiter knechtete, ein Büchlein über Eugenik zu schreiben, dass einen sehr geschätzten Journalistenkollegen an nasse Dackelhaare erinnerte. Stolz holte ich meinen Wackeldackel aus der Grabbelkiste und setzte ihn auf die Hutablage meines Opels. Ein feiner Dackelglanz verbreitete sich über der norddeutschen Tiefebene wie Engelsstaub in der Disko.

*** Gewissheit brachte dann eine Ausschreibung auf MyHammer zu einer Zeitreise in das Jahr 1986, mit der ein Dackel gerettet werden soll. Was ein guter Heimwerker und Hobbytüftler ersonnen hat, zeigt bestens, was die Stärke Deutschlands ist und den Aufschwung antreibt: Technologie und Dackel ergeben eine unschlagbare Kombination. 1986! Während die Sonne hervorkommt und auf das Trüppchen Unentwegter von Freiheit statt Angst scheint, geht der verklärte Blick zurück in eine schöne Zeit, als Rauhhaardackel Bonnie noch lebte.

*** Mooooment, wie war das eigentlich, 1986? Ein Blick in mein Artikelarchiv hilft bei der Orientierung der unerschrockenen Hobbyisten, die sich auf ihre Zeitreise wagen. In jenem Jahr gab es etliche Artikel über das "Modemkonzept" der deutschen Bundespost, die auf Druck der EU-Kommission ihr Monopol lockern und "Datenfernsprecher privater Anbieter" zulassen musste. Erstmals durften Postmodems für 600 DM gekauft und nicht gemietet werden, nur eine monatliche Prüfgebühr von 5 DM blieb übrig, die an die Zulassungsstelle gezahlt werden musste. Dieses "Fernmeldetechnische Zentralamt" (FTZ) hatte Rechte, von denen die Polizei mit ihrer Online-Durchsuchung heute nur träumen kann, denn bei der Anschlussdose (9 DM im Monat) endete die Wohnung und begann das Postterritorium: selbst bei einem FTZ-geprüften Modem durfte der Posttechniker ohne weiteres einen Rechner beschlagnahmen, wenn dieser keine am Gehäuse angebrachte FTZ-Nummer besaß.

*** Für 1986 mag es ja nett sein, David Bowies Absolute Beginners abzuspielen, doch war man in Westdeutschland absolut konservativ: Im Bundeswettbewerb "Jugend forscht" schlug ein 14-jähriger Programmierer mit einem Cross-Compiler die gesamte Konkurrenz, doch wurde er als "zu jung" bewertet und kam nur auf den 2. Platz, während der erste Platz nicht vergeben wurde. Wer über diesen Skandal schrieb, wurde von der Berichterstattung über den Wettbewerb ausgeschlossen. Aber auch das war 1986: Im Tschernobyl-April wurde der Chaos Computer Club als Verein gegründet und als gemeinnützig anerkannt, obwohl in der Präambel davon die Rede war, dass man eine "galaktische Gemeinschaft von Lebewesen" ist, die sich für "Informationsfreiheit" einsetzt. Die Gründung als Verein erfolgte, weil man ordentlich Knete bei den Grünen abgreifen wollte. Für 38.000 DM erstellten der CCC und ein "Arbeitskreis politischer Computereinsatz" ein Gutachten für die Bundestagsfraktion der Grünen, ob Computer "sozialverträglich" sind. Die Hacker betätigten sich als "alternative McKinseys" und schlugen vor, ein Computer-Café einzurichten, in dem für Anfänger die "angstfreie Annäherung an digitale Technik" bei einer Tasse Sandino-Dröhnung geübt werden sollte, für Fortgeschrittene die Textverarbeitung mit Wordstar. Wordstar? Auch das war 1986: Der deutsche Distributor der anderen "marktführenden" Textverarbeitung WordPerfekt lud uns Journalisten zu einer Party ein, bei der die 5.000ste Kopie der deutschen Version (1690 DM + MwSt) gefeiert wurde. Am Ende des Jahres waren es bereits 6000 Lizenzen.

*** 1986 wurde nicht nur der Chaos Computer Club ein ordentlicher deutscher Verein, es war auch das Jahr, in dem sich der Verein "Schule braucht Computer" anschickte, Computer für den Unterricht in Schulen zu verteilen. Die Zeit sei günstig, weil Betriebe auf neue schnelle Rechner wie den Compaq Deskpro 386 (1 MByte RAM, 40 MByte Festplatte für 20.000 DM + MwSt.) umstellten, hieß es damals. PCs und ATs sollten in die Schulen wandern, dazu spendeten Firmen wie Brother oder Seikosha Hunderte von Druckern in einer Werbekampagne, die vor den schlechten Präsident-Druckern aus der DDR warnte. Und wenn von Werbekampagnen die Rede ist, darf die größte und teuerste Kampagne des Jahres nicht fehlen, die "10 Minuten, die uns allen helfen", mit der für die Volkszählung 1987 geworben wurde.

*** Eine schöne Zeit? In dieses 1986 will unser Hobbybastler zurück, um seinen Dackel zu retten. 33 Tage muss er ausharren, ehe die Rückreise über ein paralleles Zeitloch wieder möglich ist. 33 Tage ohne Internet und Twitter, ohne heise online, mit einer nur monatlich erscheinenden c't als einzig zeitgemäßer Lektüre. Eine harte Prüfung, zu der nur Dackelfreunde fähig sind. So fern die Zeit, so sind die parallelen Universen dicht dran, dafür gibt es Anzeichen: 1986 brachte Nokia mit dem Nokia ASC viel zu spät einen AT-kompatiblen Rechner auf den Markt und konnte nicht am Computerboom teilhaben, heute geht ein Microsoft-Manager nach Finnland, um bei der Installation von Office zu helfen und die Religion Google zu bekämpfen. Ob der Microsoft-Mann auch den Kolonialismus bei Nokia abstellt, ist schwer die Frage.

*** Weitere Parallelen sind in der Politik erkennbar, von der anstehenden Volkszählung bis zur Katastrophe von Tschernobyl, die sich in dieser Woche in der Kernschmelze von Berlin fortgesetzt hat. Was für ein Vertragsabschluss: Zwölf Jahre längere Laufzeiten für die Dreckstechnik, mit schwabbeligen Sicherheitsauflagen, auf 500 Millionen Euro begrenzt aber dafür mit der einklagbaren Sicherheit für die Energieprofiteure, drei Viertel des Gewinnes in die eigene Tasche zu stecken, komplett mit Schutzklauseln für den Fall eines Regierungswechsels: Das schwarzgelbe Atomzeichen ist die passende Flagge dieser Politik, die von den Energieprofiteuren mal eben Nachts aus dem Bett geholt wird: Wer Herr ist und wer Knecht, das hat sich in dieser Woche selten deutlich gezeigt.

Was wird.

Zum Ausverkauf der Politik sei gleich die nächste große Demonstration in Berlin erwähnt, die in einer Umzingelung des Regierungsviertels gipfeln soll. Wer lieber in die Vergangenheit schauen will, wird heute zur besten Privatsphärenschutzzeit die "Akte CCC" glotzen, die alle Klischees zum Chaos Computer Club in den berühmten Mixer packt. Die verklärte Geschichte über die "chaotischen Freaks" "des CCC's" komplett mit Deppenapostroph hat auch ein staatstragendes, schönes Ende, wenn Innenminister de Maiziére den Ton der Hacker nur ein ganz kleines Bisschen trotzig findet. Werden dank des CCC die Gefahren von Computern wirklich bewusster wahrgenommen? Ist diese Wertung nicht eine Selbsttäuschung der Medien, die gerne von "frechen Hackern" berichten, aber beflissen die Klappe halten, wenn die Benutzung von Hackerwerkzeugen kriminalisiert wird?

Stimmen die Berichte aus dem fernen Berlin, so sind bei der Demonstration "Freiheit statt Angst" rund 7500 Menschen unterwegs gewesen, darunter auch solche, die Plakate mit der Aufschrift "9/11 is an inside joke" trugen. Neun Jahre nach dem Fall der Türme scheint das Datum nur noch ein Fall für die Verschwörungstheoretiker zu sein, die ihren Verstand zu heiß gebadet haben und deshalb nur noch an Thermit denken können. Was menschliche Gehirne wirklich leisten können, ist in unserer schönen Kuppelhalle zu Hannover ein Thema, nicht nur für Dackelfreunde. (jk)