Softwarepatente: Bundesregierung ignoriert weiter den Bundestagsbeschluss

Bei den Verhandlungen im Ministerrat in Brüssel zur Patentrichtlinie setzen sich Vertreter aus Berlin an entscheidenden Punkten wie der Technik- oder Interoperabilitätsdefinition über das Parlament hinweg.

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Patentexperten aus dem Bundesjustizministerium und Diplomaten der Bundesregierung halten in Brüsseler Hinterzimmern dem heftig umstrittenen "Gemeinsamen Standpunkt" des EU-Rates zur geplanten Richtlinie über die Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" die Stange. Sie handeln damit entgegen dem einstimmig getroffenen Votum des Bundestags, in dem die Abgeordneten die in einer Gewalt-Tour offiziell verabschiedete Linie des Ministerrates scharf kritisieren und sich stattdessen für die Position des EU-Parlamentes aus der 1. Lesung stark machen. Beide Volksvertretungen wollen Trivialpatenten im Softwarebereich einen effektiven Riegel vorschieben sowie Wettbewerb und Innovation in der Branche forcieren.

Die aktuelle Haltung der Bundesregierung zu dem heißen Eisen der Wirtschaftspolitik geht aus dem Protokoll einer Sitzung der Arbeitsgruppe des Ministerrates zum "Geistigen Eigentum" hervor, das dem Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) in die Hände fiel. Bei dem Treffen Ende Mai bezogen die Gesandten aus Berlin an allen entscheidenden Stellschrauben der Direktive die gegenteilige Position wie der Bundestag. Dabei hatte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries schon im Dezember versichert, die Position der Volksvertreter stärker in die Debatte auf Ratsebene einbringen zu wollen.

Bei der entscheidenden Frage der näheren Definition des geforderten "technischen Beitrags" einer "computerimplementierten Erfindung" etwa stellten sich die Vertreter der Bundesregierung nun gegen das Erfordernis von Auswirkungen auf die viel beschworenen "Naturkräfte". Die Parlamentarier beharren auf dieser Klarstellung, da sie auch der Bundesgerichtshof (BGH) unter anderem bei der Zurückweisung von Patentansprüchen auf Programme ohne physikalische Effekte immer wieder bemüht hat. Die deutschen Mitglieder der Ratsarbeitsgruppe sprachen dagegen die Empfehlung aus, bei den Formulierungen des "Gemeinsamen Standpunktes" zu bleiben. Darin wird der technische Beitrag überhaupt nicht näher erläutert, sodass seine Interpretation vor allem der weiten Praxis des Europäischen Patentamtes überlassen bliebe.

Auch für eine gesonderte Interoperabilitätsklausel, wie sie etwa von einer Studie für das Bundeswirtschaftsministerium vehement eingefordert wird, setzt sich die Bundesregierung nicht ein. Der Hinweis auf Zwangslizenzierungen und das Wettbewerbsrecht erscheint ihr als ausreichend. Nichts einzuwenden haben die deutschen Vertreter zudem gegen die so genannten Programmansprüche, mit denen schon die Veröffentlichung einer Software, die Patentansprüche verletzt, auf Diskette oder im Internet verfolgt werden könnte. Selbst einer Änderung des Begriffs der "computerimplementierten Erfindungen" in das vom EU-Parlamentsberichterstatter bevorzugte "computergestützt" mochte die deutsche Delegation nicht zustimmen. Zahlreiche andere Mitgliedsstaaten sprachen sich dafür aus, um einen Ansatz von Kompromissbereitschaft gegenüber den Abgeordneten zu zeigen.

Die Mehrzahl der Änderungsanträge des Parlamentskoordinators Michel Rocard sowie anderer Mitglieder des federführenden Rechtsausschusses fielen bei der Sitzung im Rat durch. Allein die polnische Regierung befürwortete entscheidende Verbesserungsvorschläge der Abgeordneten. Teilweise erhielt sie dabei Unterstützung aus Dänemark, der Slowakei und aus Estland. Niederländische oder spanische Regierungsvertreter zeigten keine echte Verhandlungsbereitschaft mit dem EU-Parlament, obwohl auch sie wiederholt entsprechende Weisungen ihrer nationalen Volksvertretungen bekommen hatten. Generell will das Ministergremium mit dem frühzeitigen Abstecken einer Linie gegenüber dem Parlament auf ein so genanntes Trilogverfahren hinarbeiten, in dem schon vor der 2. Lesung Anfang Juli eine gemeinsame Linie festgelegt und ein Vermittlungsverfahren umgangen wird. Die angebotene "Verhandlungsmasse" ist bislang aber überaus dünn.

Heftige Kritik muss sich die Mehrzahl der Regierungsvertreter von FFII-Präsident Hartmut Pilch gefallen lassen. Er sieht "genau diejenige Brüsseler Bananenrepublik am Werk, der die Bürger Frankreichs und Hollands kürzlich eine Absage erteilt haben". Deutschland agiere als "Scharfmacher" für Softwarepatente und als "Wortführer der Patentlobby, die derzeit mit PR-Budgets in zweistelliger Millionenhöhe den EU-Parlamentariern ein Interesse Kleiner und Mittlerer Unternehmen an Softwarepatenten vorzugaukeln versucht." Weitere Berichte über das Verhalten der Bundesregierung im Rahmen der Trilog-Gespräche will seine Vereinigung, die eine "wirtschaftliche Mehrheit" gegen Softwarepatente hinter sich sieht, im Web bereitstellen. Schon vergangene Woche hatten Pioniere der Freien Softwareszene die Entscheidung über die Richtlinie als Test für die EU-Demokratie dargestellt.

Zum Thema Softwarepatente siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)