Technik gegen den Terror

Mit ausgeklügelten Frühwarn-, Leit- und Überwachungssystemen sollen Naturkatastrophen früher erkannt, Evakuierungen zügiger durchgeführt und Terroristen sicherer identifiziert werden. Doch zu welchem Preis?

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Von
  • Ralf Krauter
Inhaltsverzeichnis

Mit ausgeklügelten Frühwarn-, Leit- und Überwachungssystemen sollen Naturkatastrophen früher erkannt, Evakuierungen zügiger durchgeführt und Terroristen sicherer identifiziert werden. Doch zu welchem Preis?

Daniel Düsentrieb hätte seine Freude an der neuartigen Videokamera, an der die Forscher aus Jena tüfteln: Der fahrbare Apparat im Flur des Instituts für Photonische Technologien (IPHT) ist brusthoch. Man sieht Schläuche, Kabel, Kessel und vorn dran, auf Kniehöhe montiert, eine verspiegelte Parabolantenne vom Format einer Satellitenschüssel. Ein ausgebufftes Kühlsystem zischt rhythmisch, während es einen chipförmigen Bildsensor, das Herzstück der Apparatur, auf 0,3 Grad über dem absoluten Nullpunkt kühlt – also auf minus 272,85 Grad Celsius.

Erst bei dieser tiefen Temperatur ist er empfindlich genug, um jene verräterischen Wärmeunterschiede zu erkennen, auf die es ankommt. Zum Beispiel bei der Sicherheitskontrolle am Flughafen. "Unser Ziel ist eine Kamera, die mit Videofrequenz Menschen aufnimmt und versteckte Objekte sichtbar macht", erklärt der Physiker Torsten May. Ob Kunststoffpistole unterm Sakko, Keramikmesser unterm Hemd oder Plastiksprengstoff in der Unterhose: Die Sicherheitskamera aus Jena soll Alarm schlagen, sobald jemand Verbotenes an Bord eines Fliegers schmuggeln will. Und zwar auch dann, wenn herkömmliche Metalldetektoren versagen.

Forschungsprojekte wie dieses haben Konjunktur. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 investieren Regierungen weltweit Milliarden, um die Bevölkerung vor künftigen Terrorattacken zu schützen. Biometrische Scanner sollen Grenzkontrollen effizienter machen, Spürnasen im Chipformat Toxine erschnüffeln, Infrarot-Sensoren Sprengstoffspuren auf herrenlosen Koffern entdecken und elektronische Evakuierungsassistenten helfen, U-Bahnhöfe, Konzerthallen und Fußballstadien im Ernstfall zügig zu räumen. Mit der Initiative "Forschung für die zivile Sicherheit" fördert das Bundesforschungsministerium Dutzende solcher Projekte bis zum Jahresende mit insgesamt 123 Millionen Euro, und ein Nachfolgeprogramm ist bereits in der Pipeline. Im
7. EU-Forschungsrahmenprogramm stehen bis 2013 beachtliche 1,4 Milliarden Euro für die Entwicklung von Sicherheitstechnologien bereit.

Doch auch abseits krimineller Aktivitäten gibt es reichlich Unwägbarkeiten, die Wohl und Wohlstand der Bürger gefährden. Naturkatastrophen wie Stürme und Überschwemmungen, Vulkanausbrüche und Erdbeben kosteten 2008 weltweit über 220000 Menschen das Leben. Innovative Technik, die hilft, die Zahl künftiger Opfer und den materiellen Schaden zu verringern, ist eine der Stoßrichtungen der Sicherheitsforscher. Sie entwickeln Frühwarnsysteme für Extremwetterereignisse und Tsunamis wie jenes, das im Gefolge des Sumatra-Bebens vom Dezember 2004 im Indischen Ozean installiert worden ist. Vernetzte Kommunikationssysteme sollen Katastrophenhelfern erleichtern, effizient und koordiniert zu handeln. Hinzu kommen neuartige Hilfsmittel wie das im BMBF-Projekt "I-LOV" entwickelte Bodenradargerät. Es kann Überlebende unter Trümmern orten und kam im Januar nach dem verheerenden Erdbeben auf Haiti erstmals zum Einsatz.

Industrienationen sind besonders verletzlich. Dort hängen Alltag und Arbeitswelt jedes einzelnen von einer Vielzahl komplexer technischer Systeme ab, die zunehmend selbst zum Sicherheitsrisiko werden. Ein Kurzschluss kann die Stromversorgung einer Metropole unterbrechen, ein Brand im U-Bahn-Schacht den Verkehr lahmlegen, eine Giftgaswolke nach einem Chemieunfall die Bewohner ganzer Stadtviertel gefährden. Menschen und kritische Infrastrukturen vor den Folgen solcher Albtraumszenarien zu schützen, hat für Sicherheitsforscher deshalb oberste Priorität.

Seit den Bombenanschlägen auf U-Bahnen und Nahverkehrszüge, 2004 in Madrid und 2005 in London, ist die Terrorangst in Europa gewachsen – und das Thema auf der politischen Agenda. Technik gegen den Terror verspricht Sicherheit. Und ein großes Geschäft. Die 2009 veröffentlichte VDI-Studie "Marktpotenzial von Sicherheitstechnologien und Sicherheitsdienstleistungen" prognostiziert für den Zeitraum 2008 bis 2015 allein in Deutschland eine Umsatzsteigerung von 20 auf 31 Milliarden Euro. Weltweit wächst der Markt rasant. Dabei zeigt der Blick auf die Statistik, dass die gefühlte Bedrohung größer ist als die tatsächliche. "Im Hinblick auf die objektive Schadenseintrittswahrscheinlichkeit kann Deutschland nicht sicherer werden, als es jetzt schon ist", betont der Psychologe Stefan Strohschneider von der Universität Jena, der sich im Auftrag des Bundesforschungsministeriums mit den gesellschaftlichen Nebenwirkungen neuer Sicherheitstechnologien beschäftigt. "Noch nie lebte unsere Gesellschaft sicherer als heute – das sind paradiesische Zustände", stellt der Professor für interkulturelle Kommunikation klar.