Was war. Was wird.
Es ist die Wiederkehr der untoten Bobos, die sich als wohlmeinende Diktatoren schon immer ins Zeug zu werfen wussten, befĂĽrchtet Hal Faber. Manchmal erscheint der Brave New War dagegen als Kinkerlitzchen.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** Die Engländer kennen die twisted tongue und die Franzosen die langue fourchue, die vergabelte Sprache. Bei uns ist es seit den Zeiten des großen deutschen Sprachreformers Karl May die gespaltene Zunge, mit der die Bleichgesichter reden. Seit Winnetou wissen wir, dass sie über das große Wasser kamen, "mit süßen Worten auf den Lippen, aber zugleich mit dem geschärften Messer im Gürtel und dem geladenen Gewehr in den Händen." Doch halt, Stopp! Nicht alle Bleichgesichter sind gleich bleich! Erinnern wir uns an den Dialog zwischen Old Shatterhand und Pokai-Po, der diesen fragte, ob er denn zu den Lichthaarigen (Engländern) oder den Dunkelhaarigen (Spaniern) gehört:
"Ich gehöre zu dem großen Volke der Germany, welche Freunde der roten Männer sind und noch niemals ihre Wigwams angegriffen haben."
"Die Germany sind gut. Sie haben nur einen Gott, nur eine Zunge und nur ein Herz."
Nur eine Zunge! Und, das wollen wir doch bittschön janz onne Indschoner zum allgemeinen Gesäggsch dr Wiedervereinigung be-to-nen: 1 Land! Eine Zunge, ein Herz (achnee, bei wem wohnen schon zwei Seelen, in einer Brust?) und ein Land, das ist Germany. Nimmt man noch den einen deutschen Gott dazu, den des geilen Geizes, kommen wir in der Addition der Einheiten auf Hartz IV. Landauf, landab wird gerechnet, wird addiert und gestrichen, denn Internet muss sein, Fluppen und Fusel aber nicht. Viele Zungen verkünden Stellungnahmen, nicht wenige belegt vom Hass auf die da möglichst krisen- und haushaltssischer ausgegrenzt werden sollen. Dabei ist in all den Berechnungen noch gar nicht das Geld enthalten, das für die verfassungsrechtlich gebotene bessere Bildungsbeteiligung von Hartz IV-Kindern bereitgestellt werden muss. Im Gürtel kein geschärftes Messer, aber einen absurden Vorschlag für einen Bildungschip für die Kinder, damit ihre Erzeuger nicht an Feuerwasser kommen und die Chipkartenindustrie an die Bildungsbeteiligung. "Armut soll sich nicht vererben", deklariert ein bayerischer Ministerpräsident, der nichts erhöhen möchte und die Dysgenik eines Sarrazins beizeiten beherzigt. 10 Millionen Euro für bayerische Bauern, die wegen der Olympischen Spiele auf ihre Wiesen verzichten und Futter mit Staatsknete einkaufen müssen, zeigen die Prioritäten von Einland.
*** Die Germany sind gut – was immer Pokai-Po im trauten Geplauder von Tetone zu Teutone dem Old Shatterhand gesagt haben mochte, zungentechnisch hatte er die richtige Art von Germany erkannt: Bei uns redet niemand mit gespaltener Zunge, lieber beißt er sie ab und kriecht tief in mächtige Ärsche. Wenn dann doch Kritik kommt, kann sie sehr direkt sein. Mit scharfer Zunge hat sich der deutsche Wikileaks-Sprecher Daniel Schmitt von der Mitarbeit im Verein der Freunde der Wahrheit verabschiedet. Seine Kritik, dass sich Wikileaks zuwenig um kleine, nationale Projekte mit befreiten Dokumenten kümmere, wurde nicht akzeptiert, die Kritik selbst schon als Illoyalität angesehen. Einem Häuptling wie Assange verweigert man nicht den Gehorsam, howgh! Nun hatte sich der Bruch in dem Moment abgezeichnet, als Daniel Schmitt die Art und Weise kritisierte, wie Wikileaks selbst mit Kritik umging: Alles Idioten da draußen, im Zweifelsfall auch gerne antikubanische Elemente genannt, wenn Reporter ohne Grenzen Wikileaks kritisierte, wie zuvor die kubanische Regierung für ihre Zensurpraxis kritisiert wurde. Pressefreiheit passt nicht jedem, schon gar nicht dem Helden, dem guten Diktator Julian Assange.
*** Ein Germany-Gutes haben die Konflikte und Brüche in Community-Projekten wie Wikileaks ja doch: Sie führen regelmäßig den elenden Mythos des benevolent dictatorship ad absurdum. Ein Diktator bleibt ein Diktator, und sein Wohlwollen ist immer noch sein eigenes. Dummerweise überschneiden sich die Haltungen: Der wohlwollende Diktator ist letztlich auch nur die singuläre Figur einer philosophischen oder technischen Elite, die den Massen sagt, wo es langzugehen hat. Womit wir mal wieder bei unseren Internetverstehern wären, die eine Debatte mit Internetausdruckern verabscheuen. Man weiß es ja besser, hoch lebe die Diktatur! Oder was? Seltsamerweise aber trifft sich diese Haltung immer wieder mit einem neo-sozialstaatlichen Dirigismus, der immer schon besser weiß, was den Bürgern gut tut – im Zweifelsfall auch mit populistischen Tricksereien gegen die saufende und qualmende Hartz-IV-Unterschicht operierend. So falsch ist das ja alles gar nicht, wenn der Dirigismus, vulgo der benevolent dictator nur die richtigen Direktiven ausgäbe? Was für ein verlogener und heuchlerischer Lobbyismus der sich als "Die Guten" und "Die Fortschrittlichen" ins Zeug werfenden Interessenvertreter eines zum Himmel stinkenden Neu-Boboismus.
*** Die Germany sind gut – aber wehe, wenn sie selbstgerecht sind. Als "restlos unbestechlich" hat Brandenburgs Ministerpräsident Platzeck seinen Innenminister Rainer Speer in dieser Woche bezeichnet. Dumm nur, dass der große Unbestechliche den Verlust eines Dienst-Laptop mit privaten E-Mails erlitten hat. Aus diesen Mails geht offenbar hervor, dass er ein nicht so stolzer Vater eines Kindes ist, der keinen Unterhalt bezahlen möchte. So stolpert ein Minister über einen Laptop. Während darüber spekuliert wird, wie der Laptop-Stolperstein in die Hände einer großen Boulevardzeitung gefallen sein kann, ob Rockerbande oder linksautonome Rebellen, wird völlig übersehen, was der Datenschutzbeauftragte des Landes geschrieben hat: Laptops ja, aber nur, wenn die Daten richtig verschlüsselt werden. So bringt uns die gespaltene Zunge zu jenem anderen deutschen Ritus, den wir Karl May verdanken, der im HIV-Zeitalter nicht sonderlich populären Blutsbrüderschaft: Wenn diese zwischen Platzeck und Speer besiegelt war, umfasst sie auch Sorge für Frau und Kinder des Blutsbruders. Ach, ach, und aber ach! Zwei Seelen in einem Blute, damit hatte schon der Doktor Faust seine Probleme. Wehe den Einzüngigen von Germany, die nicht in der wunderschönen norddeutschen Tiefebene leben, wo rettende Löwenpudel zur Hand sind, mal eben geköpft zu werden.
*** Was wäre diese Woche ohne Stuxnet, den Supertrojaner, der als digitaler Erstschlag in die Geschichte des längst tobenden Cyberwar, auch als Brave New War bekannt, Einzug gehalten hat. Wer den etwas erratisch bebilderten FAZ-Artikel gelesen hat, wird überzeugt sein, dass die israelischen Programmierer einen guten Job abgeliefert haben und damit geehrt werden, auf dem nächsten CCC-Congress vortragen zu können. Wir kommen in Frieden ist doch ein passendes Motto. Mindestens ebenso gespannt darf man auf die unendliche Geschichte zum elektronischen Personalausweis gespannt sein, dem dieser Tage die seltsame CCC-Ehre zuteil wurde, mit der SuisseID verwechselt zu werden, einem simplen USB-Stick der schweizerischen Wirtschaft zur fortgeschrittenen Signaturerstellung.
*** Die Germany, aber was ist mit der Schweiz? Lauern im Appenzeller vielleicht die Löcher der Wahrheit? Niemand weiß es so genau, denn Genauigkeit ist ein Konzept, das der digitalen Befreiungsbewegung à la mode de CCC genauso suspekt ist wie der Datenschutz: Erinnert sei an die Kundendateien der Modemarke Thor Steinar, die nach einem Kongress des Clubs munter weiter zirkulieren. Natürlich ist Storch Heinar die bessere Adresse. Nur weil es um Klamotten geht, die rechts bis faschistisch gesinnte Menschen kaufen, scheint die Datenoffenheit akzeptiert zu sein. "Die Marke ist nicht verboten und ich kann nicht nachvollziehen, wieso diese Daten im Internet verfügbar sind und niemand gegen so was vorgeht und sich auch niemand traut, darüber zu berichten. Denn, demokratisch oder im Sinne des Gesetzes ist dies nicht", heißt es in einer Leserpost an hal@heise.de, die zum Nachdenken anregen soll.
Was wird.
Das Ereignis schlechthin startet schon am Montag und dauert eine ganze Woche. Die Informatik 2010 in Leipzig ist die Hochleistungsschau der deutschen Informatiker, komplett mit einem Innovationspreis für den besten deutschen Nachwuchsinformatiker für das Projekt CoScribe. Den vorab verschickten Pressemitteilungen zufolge sollen die herausragenden Leistungen von Konrad Zuse besonders gewürdigt werden. Vielleicht haben die versammelten Informatiker auch eine Zunge für Andreas Pfitzmann übrig, einen ihrer Fachleute, über die jeder IT-Journalist ins Schwärmen kommen kann: immer gesprächsbereit und dabei in der Lage, ein Anliegen auch verständlich zu machen. Seine Stellungnahme zur Vorratsdatenspeicherung (PDF-Datei) gehört zu den raren Beispielen, in denen Wissenschaftler Mut und Rückgrat zeigten. Ein Herz, eine Zunge und ein Arsch in der Hose, das haben viel zu wenige der selbsterklärten "Digital Natives", die polternd von der Freiheit des Netzes schwafeln. Wo Bürgerrechte in Gefahr sind, vom Staat kassiert zu werden, wo es um mehr geht als um ein Zurückfotografieren von Häuserfronten, wird Andreas Pfitzmann vermisst werden. "Mein Freund lege mich in seinen Schoß, dass ich den Kampf erkenne!" (jk)