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Was war. Was wird.

Aufklärung tut not. Das wussten früher viele, heute dürfen es manche nicht mehr. Zumindest denken manche Aufklärer, Aufklärung wäre nichts, wenn sie von den vermeintlich Falschen kommt. Ach, als ob es falsche Aufklärung von Richtigen nicht gäbe, merkt Hal Faber an.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Nun wissen wir es: Der schwäbische Pflasterstein ist eine Kastanie. Die moderne Demokratie ist eine gewissenlose Vereinigung, die sich dadurch auszeichnet, dass Eltern sich hinter ihren Kindern verstecken, während im gesamten Tierreich sich die Eltern schützend vor ihre Kinder stellen. Der zivilgesellschaftliche Dialog ist abgeschafft, nur die Netztheoretiker vom Kontrollverlust sind genervt, weil sich der Verlust ganz anders ereignet als in ihrer Theorie. Was mit einer gebrochenen Absprache durch den CDU-Politiker begann, hat längst keine demokratische Legitimation mehr, ein Tiefbahnhof muss her, damit über ihm der Pladdsch vume himmlische Friäde entstehen kann. Oder muss es Alemannisch Blatz vume himmlische Fri-ede heißen, wo doch die Badener historisch immer das aufmüpfigere Völkchen waren?

*** Abreißen und buddeln, so will es die Politik, allen voran will es die Kanzlerin, geboren in einem Teil des Landes, wo schon einmal die Polizei im Verein mit Volksarmee und Betriebskampfgruppen die Vorhut eines Bautrupps war. Argumentiert wird mit der europäischen Verkehrspolitik und schnellen Zugverbindungen, was angesichts von Politiker-Bahnhöfen wie Baden-Baden und Offenburg, Limburg und Montabaur ein skurriles Argument ist. Nun hat Stuttgart eine lange Tradition beim Abriss historischer Gebäude, da mag es auf einen Bahnhof auch nicht mehr ankommen. Erinnern wir uns: In Stuttgart wurde auf dem nationalen IT-Gipfel durch Merkels Innenminister de Maiziére eine neue Form des Dialoges angekündigt, in der der Staat den Bürger nicht länger unter Generalverdacht stellt. Nun kann man erleben, dass selbst die gemäßigten Vertreter des Stuttgarter Appells als Radikale beschimpft werden, deren Computer nicht richtig rechnen können. Dabei stockt selbst den Ingenieuren vor Ort der Rechner angesichts fehlender Planungsprofile. So wird gerodet und gebuddelt, damit alle Gerechten an die Fleischtöpfe kommen. Denn ein "Milliardengrab" steckt nicht voller Euros, die sind dann nur woanders. So bleibt nur übrig die fehlenden Strukturen zu konstatieren, die technische Komplexität, ökonomische Rahmenbedingungen, politische Entscheidung, gesellschaftliche Prozesse, digitale Öffentlichkeit und Bürgerprotest vermitteln.

*** Vielleicht erlebt diese kleine Wochenschau noch das Jahr 2020, wenn das eintritt, was F!XMBR von der großen, demokratisch legitimierten Hyperraum-Expressroute aufgeschrieben hat, deren Pläne 50 Jahre lang auf Alpha Centauri auslagen: "Bewohner der Erde, wie ihnen zweifellos bekannt sein wird, sehen die Pläne zur Entwicklung der Außenregion der Galaxis den Bau einer Hyperraum-Expressroute durch Ihr Sternensystem vor. Und Ihr Planet ist einer von denen, die gesprengt werden müssen. Es gibt keinen Grund, dermaßen überrascht zu tun. Wir verurteilen die ausufernden Proteste des gestrigen Tages. Die Polizei hat in aller Ruhe versucht, mit den Demonstranten und auch Ihnen zu reden. Das Gespräch wurde jedoch erbost abgelehnt. Stattdessen wurden Kinder vorgeschickt, von ihren Eltern instrumentalisiert und als Schutzschilde missbraucht. Wer diesen Weg einschlägt, muss damit rechnen, dass die Behörden mit einfacher Gewalt zurückschlagen. Die Ordnungshüter dürfen dann auch mal hinlangen."

*** Noch ist es zum Glück erlaubt, dass mündige Bürger ihre Stimme erheben und sich engagieren – auch wenn sie für einen Konzern arbeiten. Und auch Unternehmen haben ein Interesse an wachen Köpfen. Man lese nur diese Stellungnahme des Pressesprechers von Microsoft, Thomas Mickeleit: "Ich habe keine konkrete Kenntnis über Tweeds oder Re-Tweeds oder Interviews im Detail. Wir kontrollieren das private Engagement unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht. Aus den Informationen, die Sie hier geben, ziehe ich eine andere Schlussfolgerung. Ich habe ein anderes Verständnis, was PR ist. Sich in Social Media Plattformen zu engagieren und als Privatperson Stellung zu beziehen, ist gesellschaftliches Engagement, das wir uns von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wünschen." Der volle Wortlaut der Microsoft-Erklärung steht unter einem Artikel, in dem ein Journalist sich mit üblen Verschwörungstheorien gemein macht. Immerhin stehen seine Fragen auch in der Antwort von Microsoft, sodass zum ersten Mal sichtbar wird, was bei einem Vorstandsmitglied von netzwerk recherche eigentlich Recherche ist: Die Grenzen zum Hinlangen sind in Deutschland fließend, nicht nur bei der Polizei.

*** Nach ein paar beruhigenden, schnell vorbeifliegenden Gedanken über Meinungsfreiheit komme ich zu den nächtlichen Schatten: Bekanntlich ist das Wetab auf dem Markt, auch wenn es mit größeren und kleineren Baustellen ausgeliefert wird. Das verärgert den einen oder anderen Käufer und erst recht die vielen jungen Gadget-Tester, die keine Erinnerungen daran haben, welcher Schrott in den Flegeljahren der PC-Industrie mitunter getestet werden musste. Das tolle deutsche Ingenieurswesen, das einen Erfinder wie Konrad Zuse hervorbrachte, aber auch gute Ingenieure in Gaskammern tötete oder in die Emigration zwang, ist längst Geschichte. Redferrets Verknüpfung dieser Geschichte mit den heutigen Produkten, die Verbindung von Gaskammer und Wetab, soll wohl originell sein. Das ist fast so originell wie die Werbung, die angeblich von den Wetab-Machern selbst bei Amazon geparkt wurde. Der Verdacht auf Fälschung liegt nahe. Ein Peter Glaser, der in Facebook Farmville "gepsielt" hat und unbeholfen Pluspunkte des verkorksten Gerätes aufzählt, das ist ein Steinwurf in die Glaserei. Am Ende bleibt die wunderbare Geschichte von Nichts, rezensiert von einem Wetab, ein Gruß vom täglichen Irrsinn auf dem Blauen Planeten. Und zum Wetab wird gerappt: Nieder mit IT!

*** Heute muss angeblich niemand mehr aufgeklärt werden. Passend zum neuesten deutschen Einheitsgedudel lernen wir, dass der Kapitalismus im Osten die Lust am Kind zerstört hat. Dabei ist echter Westsex auch nicht so prickelnd, wie man dieser Tage von Lady Gag Gag lernen kann. Früher war das anders, da war ein Journalist (!) namens Oswalt Kolle ein echter Aufklärer, der den Deutschen einen "new moral code" vermittelte und von Scheide und Glied, Vagina und Penis schrieb, auch wenn ein deutscher Familienminister damit drohte, die Kolle druckende Zeitung Quick zu schließen. Als Kolle mit dem Aufklären aufhörte, konnten Frauen oben liegen und Männer Männer lieben. Nun hat Kolle mit dem Sex aufgehört. Sein Wunsch, dass Kinder vor dem Internet lernen, dass der Dreck im Netz nicht Sexualität ist, wird wohl ein aufklärerischer Wunsch bleiben. "Sexualität ist die Möglichkeit, sich fallen zu lassen: Jetzt bin ich bloß ich." Aber halt, das Ich ist der andere, der Starke.

Was wird.

"Deutschland, du warst als Kind schon Scheisse", heißt es auf einem Transparent, dass das Bündnis gegen den 3. Oktober 2010 in Bremen aufgehängt hat, wo die offizielle Einheitsfeier zum Tag der Deutschen Einheit stattfindet. Mit Spannung wird die Rede zur "bunten Republik Deutschland" von Bundespräsident Wulff erwartet, der von einem großen Ruck erfasst werden wird. Wird es beim ersten Mal wieder der legendäre Dünger auf die Synapsen des Hirns sein, der ihn beflügelt? Oder wird er die Schönheit von Maschmeyers Mallorca preisen, wenn er das Transparent gelesen hat? Sich mit den Abgehängten, Arbeitslosen und Ohnmächtigen zu beschäftigen, das braucht Wulff nicht, das hat der Schatten-Wulff bereits getan. Vom Hartz IV-Motto "Fördern und Fordern" ist dabei das Fordern übrig geblieben.

Wenn Fordern gerade schwer angesagt ist und Wulffen ein devotes Zotteln hinter der Kanzlerin meint, kommt de Maiziére bestens zum Zuge, der Tätschler des Bürgerdialoges. Der, der dreimal erfolglos mit dem Nacktscanner tanzte, eröffnet in Berlin die ISSE 2010, die große Konferenz über die Sicherheit von Informationssystemen. Neben dem trickreichen Stuxnet, der sich nun in chinesischen Industrieanlagen verlustiert, steht der elektronische Personalausweis auf dem Programm. Trojaner, die aus purer Bosheit auf infizierten Rechnern mit angeschlossenen Billigleser auftauchen, sind derzeit der wichtigste Angriffsvektor, meint der Chaos Computer Club. Man könnte es auch als Aufforderung verstehen, sich für den Heimgebrauch nur Komfort-Kartenleser zuzulegen und um einen sauberen PC zu kümmern. In einigen Bundesländern kann man bei den örtlichen Meldebehörden schon den neuen Ausweis bestellen. Doch manchmal ist alle Mühe umsonst und die viermal notwendige Unterschrift ist vergeblich geleistet: Die zwischengeschalteten IT-Dienstleister, die zwischen den Behörden und der Bundesdruckerei die Daten vermitteln, haben ihre Programme versaubeutelt, wie man z.B. aus Fürstenfeldbruck nachlesen kann. Willkommen im Llano Desperato, in dem schon die elektronische Gesundheitskarte ein Fressen für die Geier geworden ist.

Karl May schon wieder, wie vergangene Woche? Aber sicher doch: Die große Buchmesse der Kritikerstämme trommelt schon gewaltig, die Buchbeilagen in den Zeitungen schwellen viagrewaltig an, die Frankfurt Sharks schleifen an ihren Sottisen. Gewichtige Thesen werden da augetauscht, auch wenn sie sich endlos wiederholen wie der Papagei bei Zazie. Der Rummel ist groß und doch bleibt am Ende nur eine übrig und lesbar, eine kleine Geschichte von Nichts. (jk)