Im Paralleluniversum verschollen
Im Paralleluniversum verschollen
Manfred K. wohnt auf dem Dorf, ein übersichtlicher kleiner Weiler mit nur zwei Straßen, nennen wir sie mal Blümchenweg und Hasenwiese. Früher gab es nur den Blümchenweg. Dessen eine Hälfte wurde dann zur Hasenwiese, aus Blümchenweg 7 wurde Hasenwiese 12. Als K. dann ein Haus im Blümchenweg baute, erhielt es die freigewordene Hausnummer 7.
Dummerweise hat das irgendjemand nicht mitbekommen. Gibt man auf Google Maps "BlĂĽmchenweg 7" ein, erscheint der rote Ballon bei der Hasenwiese 12. Zum neuen BlĂĽmchenweg 7 sind es von dort 250 Meter, einmal rechts abbiegen. Gibt man BlĂĽmchenweg 7 im Navi ein, wird das sofort korrigiert: Hasenwiese 12.
Dadurch ist K. gewissermaßen in ein Paralleluniversum versetzt worden. Kein Lieferdienst, kein Kunde findet sein Haus, die stehen alle ratlos vor der Hasenwiese 12. Und geben irgendwann entnervt auf. K.s Wohngebäude ließ sich erst nach mehreren Anläufen versichern, denn der Versicherungsvertreter scheiterte zunächst an der Eingabe der Daten im System. Wo die Versicherung ihre Ortsdaten her hat, weiß sie offenbar selbst nicht. Egal, wo man K.s Adresse eingibt, sie wird automatisch richtig- oder besser falschgestellt. Eine Art elektronischer Nachsende-Antrag, der in die Irre weist.
Dass K. uns davon berichten konnte, ist ein Glücksfall. Denn als er einen Herzinfarkt erlitt, so sagte er uns, stand auch der Notarzt vor der Hasenwiese 12 und zog unverrichteter Dinge ab, weil er seinen Patienten nicht fand. Auch Rettungskräfte verlassen sich offenbar auf Navis.
Wo bekommen die Versender, Versicherer, Navi-Hersteller und Kartendienste ihre Daten her? Wie lauten die Hotline-Nummern, bei denen man eine Korrektur veranlassen kann? Bei Google Maps heißt es: "Wir können derzeit keine manuellen Korrekturen vornehmen." Der Dienst verweist an das Unternehmen Tele Atlas. K. versuchte auf unseren Hinweis hin, das Problem an der Quelle zu beheben. Aber das Online-Korrektursystem von Tele Atlas im Internet kennt seine Anschrift nicht und akzeptiert nicht einmal Längen- und Breitengrad.
Selbst wenn die Korrektur an allen entscheidenden Stellen gelänge, würde es wohl Jahre dauern, bis alle Navis auf dem aktuellen Stand sind. Wenn jemand wüsste, wie er falsche Daten in diese Systeme einschleust, könnte er ganze Straßenzüge verschwinden lassen. Die wären dann einfach nicht mehr da. Was nicht in der Datenbank steht, existiert nicht.
Manuelle Korrekturen bei Datenerfassung und -verarbeitung sind immer seltener möglich, die Querverknüpfungen der Datenbestände werden immer zahlreicher, ihre Relationen untereinander immer komplexer und unübersichtlicher. Elektronische Systeme treffen autarke Entscheidungen, der Mensch kann sie nicht überstimmen. Die Herrschaft der Maschinen hat begonnen. (uma)