Juristin zu politischem Targeting: Meta, Google und Co. wollen Grenzen austesten
Instagram, TikTok und Co. setzen EU-Vorgaben nur oberflächlich um. Konsequenzen gibt es bisher noch nicht.
Dr. Jessica Flint auf der KI-Woche in Stuttgart. Sie ist Rechtsanwältin und Lehrbeauftragte an der Uni Würzburg.
(Bild: LfDI BW)
Die Europäische Union will mit der Verordnung über Transparenz und Targeting politischer Werbung (TTPW‑VO), als Ergänzung zum Digital Services Act, schärfere Regeln für politische Anzeigen im Netz durchsetzen. Ziel ist es, die Manipulation durch personalisierte politische Werbung einzuschränken.
Warum große Plattformen wie Meta und Google ablehnend darauf reagieren und politische Werbung abschalten, erläutert die Würzburger Juristin Dr. Jessica Flint auf der KI‑Woche des baden-württembergischen Landesbeauftragten für Datenschutz in Stuttgart.
Soziale Netzwerke haben bisher gezieltes Political Targeting ermöglicht, bei dem Anzeigen individuell zugeschnitten sind. "Mir wird nur das angezeigt, was mich begeistert und überzeugt", sagte Flint. Social‑Media‑Plattformen sammeln enorme Mengen an Nutzerdaten und wissen daher "besser als jeder andere", was einzelne Personen anspricht.
Die TTPW‑Verordnung soll dieses Vorgehen einschränken und verlangt, dass politische Werbung umfassend offengelegt wird. Jede Anzeige muss erkennen lassen, wer sie bezahlt, an wen sie sich richtet und auf welchen Daten das Targeting beruht. Außerdem ist die Nutzung sensibler Daten wie Gesundheits‑ oder politischer Informationen sowie von Minderjährigen untersagt.
Neu eingeführt wurde Flint zufolge ein separates Opt‑in, mit dem politische Werbung nur dann auf personenbezogene Daten gestützt werden darf, wenn die betroffene Person ausdrücklich eingewilligt hat. Überdies müssen Plattformen offenlegen, wer die Anzeige finanziert hat, wer sie kontrolliert und wie viel Geld in die Kampagne geflossen ist. Wenn die Gelder aus einem Drittstaat stammen, darf die Werbung in den letzten drei Monaten vor einer Wahl nicht mehr ausgespielt werden.
Wenn Informationen fehlen oder widersprüchlich sind, können Nutzer eine Anzeige zudem melden, erklärte Flint. Innerhalb eines Monats vor einer Wahl müssen Plattformen dann in einem Zeitraum von 48 Stunden reagieren. Damit erhält der bisher unbestimmte Begriff "zügig" erstmals eine feste Frist.
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"TikTok-Mitarbeiter haben gutes ZeitgefĂĽhl"
Für Flint sind zwei Gründe dafür denkbar, warum Meta und Google Wahlwerbung ablehnen. Erstens hätten die Konzerne möglicherweise Angst, dabei erwischt zu werden, bisherige Vorgaben nur teilweise eingehalten zu haben. Durch die neue Transparenzregelung könne dies sichtbar werden.
Zweitens wollten die Anbieter Grenzen austesten, wie sie es bereits beim Digital Services Act (DSA) getan hätten. Auch dort reagierten sie auf Beschwerden nur formal: Bei TikTok komme nach exakt 30 Minuten die Rückmeldung, dass eine Meldung geprüft und kein Verstoß gefunden worden sei. Gleiches passiere bei einem Widerspruch gegen die Rückmeldung. "Die Mitarbeiter bei TikTok haben ein gutes Zeitgefühl", so Flint. Bußgelder seien bisher aber noch nicht verhängt worden. Beobachter vermuteten zudem, dass die EU-Kommission mit Verfahren abwarte, um internationale Verhandlungen nicht zu stören. Viele Plattformen hätten daraus gelernt, dass sie mit "oberflächlichem So‑tun‑als‑ob" durchkämen.
Nach Einschätzung von Flint lasse sich die EU‑Kommission bei der Durchsetzung der Regeln und beim Verhängen von Strafen bislang Zeit, weil sie laut Beobachtern im internationalen Umfeld Rücksicht auf politische und wirtschaftliche Verhandlungen, insbesondere mit den USA, nimmt – zu frühe oder harte Sanktionen gegen große US‑Plattformen könnten als Belastung dieser Beziehungen gelten.
Emotionen als Antrieb
Wenn sich Plattformen ganz verweigerten, beträfe das nur bezahlte Anzeigen, nicht aber die organische Reichweite. Auf TikTok, wo politische Werbung bereits untersagt ist, seien rechtspopulistische Parteien deutlich erfolgreicher als andere. "Die AfD nutzt die Algorithmen richtig", sagte Flint. Das Verbot politischer Werbung schade deshalb allen anderen Parteien. Die TTPW‑VO behandle nur die Symptome. Die Algorithmen der großen Plattformen seien allerdings auf Profit ausgerichtet und Wut, Hass, Spaltung führten zu Engagement. Heute würden nicht mehr bezahlte Anzeigen, sondern die Systeme selbst die Wahrnehmung und Meinung der Nutzer prägen.
Politik müsse für das ganze Volk gleichermaßen zugänglich und politische Werbung dementsprechend nicht personalisiert sein. Im Rundfunk sei politische Werbung außerhalb von Wahlzeiten bereits verboten und im Wahlkampf nur chancengleich erlaubt – ohne Targeting und unter Aufsicht unabhängiger Stellen. Diese Regeln seien auf Online‑Plattformen übertragbar.
Kommerzielle Interessen im Vordergrund
Auch Meike Kamp, Berliner Beauftragte für Datenschutz und Vorsitzende der Datenschutzkonferenz, kritisierte, dass bei den Plattformen letztlich "kommerzielle Interessen" im Vordergrund stünden. Politische Botschaften und andere Inhalte ließen sich dort wie Produkte über datenbasierte Werbenetzwerke verkaufen. Bei den Online‑Plattformen gehe es vor allem darum, "die Leute zu binden, damit sie möglichst viel Zeit auf den Plattformen verbringen". Diese Mechanismen und ihre negativen Nebenwirkungen könnten sich, so Kamp, direkt auf demokratische Prozesse und Wahlen auswirken.
Deshalb müsse bei politischer Werbung künftig besonders genau hingeschaut werden – nicht nur bei bezahlten Anzeigen, sondern auch bei organischen Inhalten, die algorithmisch verstärkt werden. Schon subtile Mechanismen der gezielten Ausspielung könnten die politische Meinungsbildung erheblich beeinflussen.
Kamp wies darauf hin, dass die TTPW‑Verordnung eine Lex specialis zur DSGVO sei. Sie enthalte in den Artikeln 18 bis 20 spezielle Datenschutzgrundlagen für Targeting und Anzeigenschaltung, die über die allgemeinen Regelungen hinausgehen. Plattformen dürften personenbezogene Daten künftig nur mit Einwilligung der betroffenen Person verarbeiten und nicht mehr von Dritten übernehmen. Die TTPW‑VO sehe außerdem zusätzliche Transparenz‑, Dokumentations‑ und Risikobewertungspflichten vor.
Einen wichtigen Schritt sieht Kamp auch im neuen Forschungszugang, den die größten Netzwerke im Rahmen des DSA einrichten müssen. Forschende können nun unter bestimmten Bedingungen direkt auf die Daten der großen Online‑Plattformen zugreifen, um Targeting‑, Tracking‑ und Algorithmusmechanismen wissenschaftlich zu untersuchen. Dieser Zugang soll helfen, die Auswirkungen algorithmischer Systeme besser zu verstehen und zu überwachen. Seit Ende Oktober 2025 können Forscher auf Antrag Zugang zu internen, nicht‑öffentlichen Daten großer Plattformen erhalten. Erstmals werden damit unabhängige Wirkforschung und wissenschaftliche Kontrolle auf breiter Basis möglich.
Influencer und politische Verantwortung
Kamp erwähnte auch, dass politische Werbung nicht nur über klassische Anzeigen funktioniere. Immer häufiger nutzten Parteien oder Akteure Influencer, um politische Botschaften zu verbreiten. Entscheidend sei dabei, ob eine Vergütung erfolgt. Nur dann greife die TTPW‑VO. Als bekanntes Beispiel für politische Meinungsäußerung ohne kommerzielle Verbindung nannte Kamp das des YouTubers Rezo, der mit seinem CDU‑Kritikvideo hohe Reichweiten erzielte. Das falle, so Kamp, nicht unter politische Werbung im Sinne der Verordnung, sondern unter freie Meinungsäußerung.
Flint machte deutlich, dass es aus ihrer Sicht bereits genügend Regeln gibt, um die Plattformen wirksam zu kontrollieren – entscheidend sei nun deren Umsetzung. "Wir haben die richtigen Regeln – wir müssen sie nur anwenden", sagte sie.
(mack)