Standardmodell der Kosmologie falsch? Expansion des Universums verlangsamt sich

Seit Jahrzehnten geht man davon aus, dass sich die Expansion des Universums beschleunigt – dafür gab es gar den Nobelpreis. Nun werden die Zweifel noch lauter.

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Aufnahme einer Galaxie, unten ein heller Punkt

Eine Supernova des Typs Ia

(Bild: NASA/ESA; CC BY 4.0)

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Möglicherweise beschleunigt sich die Expansion des Universums überhaupt nicht mehr und ist längst "in eine Phase der verlangsamten Expansion eingetreten". Das jedenfalls meint eine Forschungsgruppe aus Südkorea, die jetzt die nächste Studie vorgelegt hat, die Zweifel an jener Theorie weckt, für die es noch 2011 den Physik-Nobelpreis gegeben hat. Wie das Team um Chul Chung von der Yonsei University in Seoul jetzt erklärt, haben sie Beweise dafür, dass die Supernovae des Typs Ia doch keine konsistente Helligkeit haben. Stattdessen bestehe ein Zusammenhang zwischen dem Alter der explodierten Sterne und der Helligkeit, was zu einem systematischen Fehler bei der Distanzmessung gesorgt habe. Wenn man den korrigiere, ändere sich das grundlegende Bild des Zustands unseres Universums.

Supernovae des Typs Ia gelten als sogenannte Standardkerzen, weil man davon ausgeht, dass sie vorhersehbar ablaufen und eine konsistente Helligkeit haben. Deshalb wurden sie systematisch für kosmische Distanzmessungen über große Entfernungen herangezogen, weshalb sie ein Fundament für das menschliche Wissen um den Kosmos darstellen. Wie die koreanische Forschungsgruppe jetzt erläutert, hat ihre Analyse von 300 Galaxien mit solchen Sternexplosionen aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (von 99,999 Prozent) ergeben, dass die Verdunkelung ferner Supernovae nicht nur auf kosmologische Effekte, sondern auch auf Eigenschaften der Sterne selbst zurückgeht. Wenn man den systematischen Fehler behebe, "passen die Supernovae-Daten nicht mehr zum kosmologischen Standardmodell".

Die Verantwortlichen weisen darauf hin, dass eine unabhängige Überprüfung ihrer Analyse noch aussteht. Sollte die aber gelingen, würde das ein "vollkommen neues Kapitel" in der Geschichte der Ergründung der Dunklen Energie eröffnen, das Rätsel um die Hubble-Konstante lösen und zum Verständnis von Vergangenheit und Zukunft des Universums beitragen. Es wäre einer der bedeutendsten Paradigmenwechsel in der Kosmologie seit Jahrzehnten. Die Forschungsgruppe arbeitet selbst bereits an Analysen, um ihre Entdeckung zu bestätigen, die ersten Ergebnisse seien vielversprechend. Außerdem würden ihre Daten gut zu einem Modell passen, das im Rahmen des DESI-Projekts erarbeitet wurde. Dort wurden die ersten Hinweise darauf entdeckt, dass das Verständnis der Dunklen Energie falsch war.

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Nachdem erst Anfang des 20. Jahrhunderts unter anderem von Edwin Hubble nachgewiesen worden war, dass das Universum expandiert, ging die Forschung lange davon aus, dass sich diese Expansion verlangsamt. Erst 1998 wurde dann durch die Analyse entfernter Supernovae entdeckt, dass sich die Ausdehnung ganz im Gegenteil sogar beschleunigt. Dafür gab es 2011 den Nobelpreis für Physik, zuletzt wurden daran aber immer mehr Zweifel laut. Für diese Beschleunigung soll die Dunkle Energie verantwortlich sein, deren Natur aber rätselhaft ist. Wie schon das Team des DESI (Dark Energy Spectroscopic Instruments) meint nun auch die Gruppe aus Südkorea, dass die mysteriöse Energieform sich im Laufe der Entwicklung des Universums "signifikant" verändert.

Die Gruppe weist aber auch auf Unterschiede zum Befund der DESI-Kooperation hin. So sei die zu dem Schluss gekommen, dass sich die Expansion des Universums noch beschleunigt – und dass sich das erst in ferner Zukunft ändern würde. Im Gegenteil dazu würden die neuen Messungen der Supernovae darauf hindeuten, dass die Beschleunigung bereits beendet ist. "Mit überwältigender Signifikanz" würden die außerdem dem Standardmodell der Kosmologie widersprechen. Die Gruppe setzt auch auf die erwarteten Daten des Vera C. Rubin Observatory, das zehntausende Galaxien mit Supernovae beobachten und vermessen soll. Die Arbeit aus Südkorea ist jetzt in den Monthly Notices of the Royal Astronomical Society erschienen.

(mho)