SmarterStartAb14 kämpft mit Petition für Social-Media-Verbot bis 16 Jahre

Heranwachsende sind Social-Media-Angeboten ohne signifikanten Schutz ausgeliefert, sagt SmarterStartAb14. Diesen fordert die Initiative von der Bundesregierung.

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Kind sitzt vor Fernseher

(Bild: Daniel Jedzura/Shutterstock.com)

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Folgt Deutschland dem australischen Vorbild und schiebt einen Riegel vor die Social-Media-Nutzung von Heranwachsenden unter 16 Jahren? Die Elterninitiative "SmarterStartAb14" will darauf hinwirken und ist ihrem Ziel einen entscheidenden Schritt nähergekommen. Am 10.11. darf die Initiative ihre Petition für ein Mindestalter von 16 Jahren im Petitionsausschuss des Bundestages vorstellen.

Freuen dürfte die Initiative, dass die Frage, ob ein früher Mobilgerätebesitz und auch die frühe Nutzung einiger populärer Internetangebote das Wohlbefinden und Leistungsvermögen von Kindern und Jugendlichen negativ beeinflussen könnte, stärker in den deutschen, aber auch europäischen Diskurs gerückt ist. Das zeigen die erhitzten Debatten der vergangenen Monate und auch die verschiedenen Länderentscheidungen zum Umgang mit Mobilgeräten in Schulen. Dass sich die Initiative mit großen Unternehmen anlegt und wie viel Macht diese haben, ist ihr aber bewusst. Wofür SmarterStartAb14 mit verschiedenen Petitionen kämpft, welche Probleme die Initiative als besonders drängend empfindet und welche Gegenwehr sie erwartet, hat Vorstandsmitglied Tobias Windbrake im Gespräch mit heise online erzählt.

"Smarter Start – erst Kindheit. Dann Smartphone." Der gemeinnützige Verein Smarter Start ab 14 e.V. wurde 2019 von vier Hamburger Müttern gegründet. Heute vernetzen sich deutschlandweit Eltern in über 1.500 lokalen Communitys. Das Ziel: eine smartphonefreie Kindheit, mehr Orientierung und weniger sozialer Druck. Sie sind Teil der internationalen Initiative Smartphone Free Childhood, der sich bereits über 350.000 Eltern angeschlossen haben. https://www.smarterstartab14.de/

Sie sind im Vorstand der Initiative SmarterStartAb14, die 2019 von Hamburger Eltern gegründet wurde. Am 10. November wird eine Petition von Ihnen im Bundestag vorgestellt. Sie fordern darin, dass es eine Altersgrenze von 16 Jahren für die Social-Media-Nutzung geben sollte. Eine solche Altersgrenze wird auch auf EU-Ebene diskutiert, in Australien will man sie durchsetzen. Würde aus Ihrer Sicht nicht auch eine stärkere Regulierung der Algorithmen reichen? Warum sollten Heranwachsende erst ab 16 Jahren Social-Media-Angebote nutzen dürfen?

Tobias Windbrake ist Vater von zwei Kindern und beschäftigt sich seit über 7 Jahren mit den Online-Gefahren für Heranwachsende. Als Wirtschaftsinformatiker interessiert er sich insbesondere für die problematischen Algorithmen und Geschäftsmodelle der Plattformbetreiber. Seit drei Jahren engagiert er sich ehrenamtlich im Vorstand der Elterninitiative "Smarter Start ab 14", die bundesweit aktiv ist.

Die aktuellen Social-Media-Plattformen sind defekte Produkte. Sie sind nicht nur mangelhaft im Hinblick auf den Kinder- und Jugendschutz, sondern auch im Hinblick auf den Datenschutz und den Verbraucherschutz. Man weiß spätestens seit den Aussagen der diversen Whistleblower, dass die Plattformen sehr genau wissen, welchen Schaden sie anrichten, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen. Momentan besteht aber kein wirtschaftlicher Anreiz für sie, den Kinder- und Jugendschutz tatsächlich zu verbessern. Ein Verzicht auf Kinder als User oder auch eine Reduzierung der Bildschirmzeit würde für sie weniger Profit bedeuten, und das werden börsennotierte Unternehmen unter allen Umständen zu verhindern versuchen.

Sehen Sie dieses Schutzbedürfnis denn nur in Bezug auf Heranwachsende, oder halten Sie die aktuelle Ausgestaltung der Social-Media-Plattformen auch für Erwachsene für gefährlich?

Als Elterninitiative kümmern wir uns primär um den Schutz der Heranwachsenden, und genau das ist auch der Fokus unserer Petition. Unabhängig davon sollten wir als Nutzer, aber auch als Gesellschaft, darauf bestehen, dass natürlich auch alle anderen Mängel behoben werden.

Ich persönlich sehe zum Beispiel große Probleme für unsere Demokratie durch Social Media. Das zu verändern wird in der Summe ein langer Prozess, aber für unsere Kinder und Jugendlichen brauchen wir kurzfristige Lösungen. Die Plattformen liefern den Kindern nicht das, was sie sehen möchten, sondern das, wo sie nicht wegschauen können. Es geht ihnen um die Maximierung der Bildschirmzeit, zum Beispiel durch Empörung. Das kann natürlich nicht im Interesse der Eltern sein, aber auch mittel- und langfristig nicht im Interesse der Gesellschaft.

Um anzuknüpfen an Ihre Aussage "die Plattformen liefern den Kindern nicht das, was sie sehen möchten, sondern das, wo sie nicht wegschauen können": Sie bewerben Ihr Anliegen unter anderem mit dem Spruch "Zoe (12) hat noch nie eine Kuh gesehen, dafür aber schon viele Schwänze." Das weist nicht nur darauf hin, dass Heranwachsende durch Social-Media Dinge sehen, die sie nicht sehen wollen oder sollten, sondern dass auch etwas in ihrer Lebenswelt außerhalb des Internets nicht in Ordnung ist, bzw. dass Sie als Initiative diese Diskrepanz falsch finden. Wie sollten Kinder heutzutage aufwachsen?

Wenn man sich die Daten der aktuellen OECD-Studie anschaut, sieht man, dass 15-Jährige in Deutschland aktuell etwa sieben Stunden täglich vor Bildschirmen verbringen. Bei den 16- bis 18-Jährigen sind es laut Postbank-Studie bereits mehr als zehn Stunden pro Tag. Die entsprechende medizinische Leitlinie empfiehlt ein Maximum von ca. zwei Stunden. Das bedeutet zweierlei: physische Probleme wie Haltungsschäden, Kurzsichtigkeit, Bewegungsmangel und Adipositas nehmen dramatisch zu. Aber zum anderen hat man auch sehr hohe Opportunitätskosten. Welche Erfahrungen verpassen die Heranwachsenden in der realen Welt? Welchen Entwicklungsaufgaben können sie nur ungenügend gerecht werden?

Der Pädiater Professor David Martin beschreibt das sehr treffend als eine stille Tragik unserer Zeit, dass die Medien den Kindern und Jugendlichen so viel Zeit rauben, dass diese kaum noch eine Chance haben, ihre Talente, zum Beispiel in den Bereichen Musik und Sport, zu entdecken, geschweige denn zu entwickeln. Unsere Vision ist, dass eine Kindheit ohne eigenes Smartphone wieder zur Norm wird.

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Aber sind daran Social-Media-Angebote und Mobilgeräte schuld? Bieten Erwachsene – sowohl Eltern- als auch Großelterngenerationen – heutigen Kindern vielleicht auch zu wenig oder wurde Heranwachsenden nicht auch viel physischer Raum über die Jahrzehnte genommen? Sei es nun im Straßenbild, das mittlerweile von geparkten Autos dominiert wird, oder weil Kultur- und Jugendzentren, Stadtteilbibliotheken, Hallenbäder und andere Freizeit- und Kultureinrichtungen geschlossen werden? Oder – ganz aktuell – weil etwa der Kulturpass für Heranwachsende gestrichen wird? Sind Alternativen für Heranwachsende überhaupt noch da oder niederschwellig zugänglich?

Alternativen sind extrem wichtig, weil es im Endeffekt darum geht, dass Kinder auf der Suche nach Dopamin-Kicks sind. Die Frage ist dann, ob sie diese beim Scrollen durch Social Media erhalten oder in ihrer realen Lebenswelt – also tatsächlich über Sport und Kultur, das Treffen mit Freunden. Trotzdem ist das kein Argument gegen die Regulierung der Social-Media-Plattformen. Denn die sind ganz bewusst so gestaltet, dass sie süchtig machende Elemente enthalten und permanent Dopamin-Kicks liefern. Gerade für Minderjährige ist es wahnsinnig schwer, dagegen anzukämpfen. Wir müssen deshalb dafür sorgen, dass diese Online-Räume sicherer für Heranwachsende werden.

In Bezug auf Online-Sucht zeigt die aktuelle Studie der DAK und des UKE, dass etwa ein Viertel der Kinder und Jugendlichen schon mediensüchtig ist oder ein riskantes Verhalten bezüglich Social Media an den Tag legt. Spätestens das müsste uns wachrütteln. Online besteht ein dringender Handlungsbedarf – ganz unabhängig davon, was wir in der realen Welt zusätzlich verbessern müssen.