Trotz Überrumpelung: Baden-Württemberg stimmt für Palantir

In Baden-Württemberg hat der Landtag Änderungen am Polizeigesetz beschlossen, um die Nutzung von Palantir rechtlich abzusichern.

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Eine Hand greift nach einer Projektion eines Auges.

(Bild: Who is Danny/Shutterstock.com)

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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Der Landtag von Baden-Württemberg hat das Gesetz zur Einführung einer automatisierten Datenanalyse und zur Änderung weiterer polizeilicher Vorschriften mit 113 von 136 Stimmen abgesegnet. Bei nur 22 Nein-Stimmen und einer Enthaltung wird die Maßnahme von der grün-schwarzen Koalition sowie weiten Teilen der Fraktionen von FDP/DVP und AfD getragen. Damit darf Palantirs Software auch von der dortigen Polizei genutzt werden.

Mit den beschlossenen Änderungen am Gesetz erhält die Polizei eine rechtliche Grundlage, um vorhandene Daten künftig mithilfe des Verfahrensübergreifenden Recherche- und Analysetools, kurz VeRA, auszuwerten, das auf Palantirs Software Gotham basiert.

Der Grünen-Abgeordnete Oliver Hildenbrand betonte, seine Fraktion habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. "Ich will es ganz offen sagen, wir hätten lieber keinen Vertrag mit Palantir. Aber das Innenministerium hat einen solchen Vertrag bereits vor Monaten abgeschlossen, ohne unser Wissen, ohne unsere Zustimmung. Dieser Vertrag kostet das Land 25 Millionen Euro", so Hildebrand. Eine zuvor ins Leben gerufene Petition hatte mehr als 13.000 Unterschriften erreicht. Bei einer anschließenden öffentlichen Anhörung im Petitionsausschuss sei der Einsatz deutlich diskutiert worden. Dennoch wolle man der Polizei das Instrument der automatisierten Datenanalyse nicht vorenthalten, zugleich aber auf eine europäische und unabhängige Software-Lösung hinarbeiten.

CDU-Innenpolitiker Ansgar Mayr hob hervor, das neue System werde keine neuen Daten erheben, sondern ausschließlich vorhandene Informationen rechtmäßig zusammenführen. Das Verfahren sei sicher, die Daten blieben unter Kontrolle des Landes. Unter anderem die SPD kritisierte den Umgang der Landesregierung mit dem bereits abgeschlossenen Vertrag über die Nutzung der Palantir-Software. Sie warnt vor mangelnder Transparenz und Vertrauensverlusten.

Der Schritt sei laut Innenminister Thomas Strobl (CDU) wichtig, um die Handlungsfähigkeit der Polizei zu stärken. Die Technik ermögliche schnellere Auswertungen bei schwersten Straftaten und Terrorgefahren. Außerdem stehe hinter den Entscheidungen immer ein Mensch. Zugleich habe Baden-Württemberg die Entwicklung einer europäischen Alternativsoftware angestoßen.

Die Entscheidung der Landesregierung ist Teil eines Kompromisses zur Erweiterung des Nationalparks. Bereits zuvor hatten die Grünen angekündigt, dass sie nur bereit seien, den Streit um Palantir beizulegen, wenn es beim Nationalpark Fortschritte gebe, was in einer vorherigen Abstimmung geschehen ist.

Palantirs Software "Gotham" verknüpft Daten aus unterschiedlichen Quellen und hilft Ermittlern, Zusammenhänge zwischen Personen, Orten und Ereignissen zu erkennen. Befürworter erhoffen sich schnellere Ermittlungen und eine effizientere Auswertung von Datenbergen. Kritiker warnen dagegen vor einer "Rasterfahndung per Knopfdruck" und vor Gefahren für Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung.

Der Landesdatenschützer von Baden-Württemberg, Prof. Tobias Keber, äußert verfassungsrechtliche Bedenken. Das Bundesverfassungsgericht habe klare Vorgaben für eine explizite Rechtsgrundlage polizeilicher Datenanalyse gemacht – diese erfülle der aktuelle Gesetzentwurf nicht vollständig, etwa mit Blick auf den Schutz Unbeteiligter, den Umfang der Datenauswertung und mögliche KI-Einsatzfelder. Eine Verwaltungsvorschrift, die zusätzliche Klarheit schaffen könnte, liege bislang nicht vor. "Wir haben die Software selbst noch nicht geprüft", so Keber, "erste Gespräche mit der Polizei laufen, wir erwarten noch genauere Einblicke."

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Auch der Verfassungsrechtler Jonas Botta sowie zahlreiche weitere Datenschützer sehen den Einsatz der Software als hochproblematisch. Sie warnen vor einem möglichen Verstoß gegen Grundrechte und davor, dass der Einsatz von Palantir eine neue Dimension staatlicher Überwachung einleiten könnte.

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) kündigte zudem an, gegen den Einsatz von polizeilicher Analysesoftware in Baden-Württemberg zu klagen – ähnlich wie bereits in Bayern und NRW und erneut in Hessen. Gegen Hessendata wurde bereits erfolgreich geklagt, die weitere Klage läuft noch. Die GFF sieht in der geplanten Gesetzesänderung einen unzureichenden Schutz der Persönlichkeitsrechte und fehlende Garantien für rechtsstaatliche Kontrolle. Bisher konnte die Software, die bereits seit Jahren in Hessen, NRW und Bayern im Einsatz ist, von unabhängigen Stellen nicht im laufenden Betrieb geprüft werden.

Für zusätzlichen Streit sorgt die Beteiligung des Palantir-Mitgründers Peter Thiel. Der Tech-Milliardär und frühere Trump-Unterstützer gilt vielen Kritikern als Symbol für den Einfluss US-amerikanischer Konzerne auf sicherheitsrelevante Infrastruktur. Vertreter der Zivilgesellschaft, darunter Campact, Lobbycontrol und Reporter ohne Grenzen, hatten kurz vor der Entscheidung einen offenen Brief an die Grünen-Fraktion in Baden-Württemberg geschickt, um den Einsatz von Palantir zu verhindern. Grünen-Mitglied Sebastian Müller, der die bereits erwähnte Petition gegen Palantir initiiert hatte, bezeichnete Thiel laut dpa vor dem baden-württembergischen Landtag als "bekennenden Faschisten" und forderte, die Zusammenarbeit mit der Firma zu beenden.

In anderen Ländern kommt Software von Palantir auch im Gesundheitswesen zum Einsatz, etwa in England oder auch im US-Verteidigungsministerium. Dort wird beispielsweise das KI-gestützte System "Maven" für die Planung, Analyse von Drohnenvideos, Zielerkennung und Angriffsvorbereitung eingesetzt.

Während Kritiker die rechtliche Grundlage heftig diskutieren, sorgt eine Stellenausschreibung der Polizei Baden-Württembergnachdem bereits ein 5-Jahres-Vertrag mit Palantir eingegangen wurde – für Schmunzeln: Gesucht wird aktuell eine Datenschutzjuristin, unter anderem für die "Sicherstellung der Einhaltung der Datenhoheit, insbesondere bei der Einführung der verfahrensübergreifenden Recherche- und Analyse (VeRA)".

Manuel Atug, der auf die Stellenausschreibung aufmerksam gemacht hat, kommentiert dazu gegenüber heise online: "Palantir wird in Baden-Württemberg angeschafft, ohne eine Rechtsgrundlage zu haben, denn diese wird jetzt erzwungen. Immerhin wird die Datenhoheit nicht durch eine Werkstudentenstelle sichergestellt, darüber muss man sich schon freuen."

Laut Innenministerium gibt es bisher keine Alternative, wie dpa berichtet, jedoch gibt es Unternehmen, die infrage kommen. Es betont zudem, die Daten würden ausschließlich in gesicherten Rechenzentren in Deutschland unter polizeilicher Hoheit verarbeitet. Ein Zugriff aus dem Ausland sei ausgeschlossen, dennoch befinden sich regelmäßig Palantir-Mitarbeiter mit Zugang zum Rechenzentrum bei der Polizei vor Ort. Die Software kostet Baden-Württemberg rund 25 Millionen Euro, eine Ausstiegsklausel gibt es laut dpa nicht. Der Vertrag sei nach Informationen der Tagesschau im März aufgrund einer Preisbindungsfrist unterzeichnet worden. Ansonsten hätte Palantir doppelt so viel gekostet. Nutzen können soll die Polizei die Software ab dem zweiten Quartal 2026.

Update

Ergänzt, dass Grüne Palantir zustimmen.
Abstimmungsergebnisse und Zitat von Hildebrand ergänzt.

(mack)