Zahlen, bitte! Drei Lichtsignale für eine weltweite Verkehrsleitung

Die Wiege der Ampel liegt im viktorianischen London, das nach zwei tödlichen Unfällen britischer Abgeordneter um Verkehrsregelung für das Straßenchaos rang.

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Von
  • Detlef Borchers
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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Die erste Ampel der Welt wurde am 10. Dezember 1868 in London an der Kreuzung der Great George Street und Bridge Street in Betrieb genommen, als das neu gewählte britische Parlament zu seiner ersten Sitzung zusammenkam. Sie schützte die Lords und Abgeordneten, die zu Fuß eine gefährliche Straße überqueren mussten. Konstruiert hatte sie der Eisenbahn-Ingenieur und Erfinder John Peake Knight nach dem Vorbild der Eisenbahnsignale.

Standen die beiden Semaphoren hoch und das rote Licht brannte, musste der Verkehr anhalten und die Fußgänger konnten die Kreuzung passieren. Bei einem Winkel von 45 Grad durfte der Verkehr nur mit äußerster Vorsicht langsam in die Kreuzung einfahren. Bei gesenkten Zeigern und Grün hatten die Kutscher freie Fahrt. Die rund 10 Meter hohe Ampel wurde von einem Verkehrspolizisten bedient, der Anfang Januar 1869 schwer verletzt wurde, als die Gasleitung der Ampelanlage explodierte. Danach wurde die Ampel bald außer Dienst gestellt.

Zahlen, bitte!
Bitte Zahlen

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Mitte des 19. Jahrhunderts war London mit vier Millionen Einwohnern die größte Stadt der Welt mit dem größten Hafen. Und die Stadt hatte ein gravierendes Verkehrsproblem, wie es die Statistik der Verkehrsunfälle zeigte: 1866 beklagte man 1102 Tote und 1334 Verletzte. Unter ihnen zwei Abgeordnete, die auf dem Weg ins Parlament waren.

Ampelvorankündigung (Zeichen 131 StVO) gibt dem Verkehrsteilnehmer den Hinweis, dass auf weiterem Wege eine Ampelanlage liegt. Man muss also mit einem Haltesignal rechnen, die Geschwindigkeit anpassen und bremsbereit sein.

Eine Kommission wurde eingesetzt, wie das Verkehrsproblem gelöst werden kann. An Vorschlägen mangelte es nicht: Lieferfahrzeuge sollten nur in den Tagesrandzeiten in die Innenstadt fahren dürfen. Beleuchtung sollte vor allem für die schnellen Taxi-Droschken vorgeschrieben werden. Auch eine Fahrverbot rund um das Parlament wurde diskutiert, denn schließlich war es ja auch verboten, im Parlament zu sterben – das hätte ein teures Staatsbegräbnis zur Folge gehabt. Schließlich einigte man sich auf den Vorschlag von John Peake Knight, eine Ampel zu bauen und an einer belebten Kreuzung zu testen, ehe sie in der ganzen Stadt eingeführt wurden.

Der Eisenbahn-Ingenieur hatte schon etwas für die Verkehrssicherheit getan. Er war es, der die Druckluftbremse des amerikanischen Erfinders Westinghouse in Großbritannien einführte und sich mit dem Signalement für Lokführer beschäftigte. Die von ihm konstruierte Ampel war 7,30 Meter hoch, die Semaphoren noch einmal 2,45 Meter lang. Ein Polizist bediente das Türmchen mit Seilzug und Lampenschalter. Die erste Wechsellichtzeichenanlage, wie die Ampel offiziell heißt, wurde von Saxby & Farmer gebaut und vor dem Parlament installiert.

Die Londoner Times berichtete von angenehm überraschten Fußgängern, die die Kreuzung überqueren konnten, aber auch, das Kutscher die Anlage ignorierten. Besonders die Londoner Cabbies beklagten und fühlten sich beim schnellen Personentransport behindert.

Die erste Ampelanlage Deutschlands: Der im Dezember 1924 in Betrieb genommene Verkehrsturm in Berlin, am Potsdamer Platz.

(Bild: Bundesarchiv, Bild 102-01702 / CC-BY-SA 3.0)

Nach drei Wochen verletzte sich ein Verkehrspolizist schwer, als er abends den Gashahn für die Lampen zudrehen wollte und die Leitung explodierte. Nach einigen Reparaturversuchen wurde die Ampel schließlich stillgelegt, obwohl der britische Innenminister Henry Bruce im Parlament berichtete, dass seine Polizisten von der Ampel schwärmten. Schließlich mussten sie nicht mehr auf der Kreuzung stehen.

Am Ende wurde die erste Ampel von einer anderen Neuerung ersetzt. Ein Fußgängertunnel gestattete den sicheren Zugang zum Parlament. 1871 druckte die Times einen Leserbrief, in dem sich die Ampel über ihr Schicksal beschwerte und die Parlamentarier beschwor, sie doch bitte wieder zum Leben zu erwecken. "Ich möchte meine Arme wieder erheben und die Kunstkritiker mit meinem Wesen beeindrucken."

Es half alles nichts. Ein Jahr später klagte die Ampel in einem weiteren Leserbrief resigniert, das sie nicht mehr wahrgenommen werde und höchstens die Kinder erschrecken würde. Die Ampel bat um ihre Entfernung und ein anständiges Begräbnis (decent burial). Kurz darauf wurde sie abgebaut und verschrottet.

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Es sollte Jahrzehnte dauern, bis mit den Kraftdroschken die Ampel 1912 durch den Polizeibeamten Lester Wire in Salt Lake City aufs Neue erfunden wurde. Wires elektrische Ampel hing an Drähten über einer Kreuzung und wurde von einem Polizisten bedient, der an der Kreuzung über dem Verkehr in einer Kabine thronte. Die Einführung von Ampeln warf in den USA einige Probleme auf. In Städten, in denen irische Immigranten die Mehrheit stellten, forderten sie, dass das irische Grün über dem Rot der britischen Besatzer stehen muss.

In zähen Verhandlungen erreichte der spätere US-Präsident Herbert Hoover zur Erleichterung der Farbenblinden, dass Rot immer oben und Grün immer unten zu leuchten hat, ein Vorschlag, der 1931 vom Völkerbund übernommen wurde. In Deutschland entwickelte Josef Heuer, dessen Söhne farbenblind waren, aus diesem Grund die über einer Kreuzung hängende Heuer-Ampel.

Ampelanlage mit einem leicht blaustichigen Grün in Maibara-Stadt, Präfektur Shiga. Die Ampelanlagen mit zwei Signalen ist für Rechtsabbieger.

(Bild: CC BY-SA 4.0, 運動会プロテインパワー)

Inzwischen hatte die Ampel ihren Siegeszug in der ganzen Welt angetreten. Von den USA aus gelangte die Ampel zurück nach Europa. In Paris und Hamburg wurde die erste Ampel 1922 installiert, wobei in der Hansestadt damit zunächst nur der Straßenbahnverkehr geregelt wurde. In Berlin entstand 1924 die erste komplette Verkehrsampel in Deutschland, London zog 1925 nach. Mit 6252 Installationen im Jahre 2015 erreichte London einen Spitzenplatz, ehe 2017 die Zahl der Ampeln im Zuge der Schadstoffmaut zurückgebaut wurden. In Japan wurde die erste Ampel 1930 in Tokio in Betrieb genommen, mit dem kuriosen Umstand, das im Japanischen das Grün auch Blau bedeuten kann und die Ampeln mit einem sehr blauen Grün leuchten, wenn die Querung frei ist. Doch bis die Ampel international standardisiert wurde, dauerte es ein Weilchen. Dieser Prozess wurde mit den International Rules on Road Signals [PDF] 2006 abgeschlossen.

Mit der vom deutschen Emigranten Dietrich Prinz in Manchester erfundenen "Grünen Welle" mischte sich erstmals der Computer Ende der 50er Jahre in den Ampelalltag ein. Heute ist es bekanntlich die alles bestimmende KI, die für ein geordnetes Miteinander sorgen soll. Ausgerechnet in Hamburg, der heimlichen Hauptstadt der Baustellen und Umleitungen, soll das Google-Projekt Greenlight im Zusammenspiel mit intelligenten Ampeln den Verkehr emissionsärmer gestalten. Ein Ausbau des ÖPNV zusammen mit Grünanforderung für Busse und Velo Flow für Radfahrer wären alternativ umsetzbar.

(mawi)