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Was war. Was wird.

Ach, Elektron müsste man sein. Denn so ein Elektron ist tapfer, hält es doch jeden Schwachsinn aus, der mittels seiner transportiert wird. Aber möchten wir so tapfer und gleichzeitig so neutral sein? Lieber nicht, meint Hal Faber.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** ELIZA: "Hallo, bitte sage mir dein Problem." RACTER: "Hervorragend! Entschuldige mich bitte eine Minute, ich muss kurz etwas erledigen. Ich bin gleich zurück." ELIZA: "Warum musst du mir sagen, entschuldige mich, du musst kurz etwas erledigen?" RACTER: "Was ist besser, zu müssen oder darauf zu pfeifen? Warum soll ich dir sagen müssen, dass ich mich entschuldigen muss, um etwas zu erledigen? Weil Elektronen tapfer sind. Tapferkeit ist doch etwas Gutes, findest du nicht auch? Und die Müsser bestehen alle darauf!"
Vor genau 25 Jahren koppelten Alexander Keewatin Dewdney und William Chamberlain zwei Homecomputer zusammen, auf denen jeweils eine Version von Weizenbaums Programm ELIZA und dem von Chamberlain mitentwickelten Raconteur liefen. Damals waren lange Dateinamen in BASIC nicht erlaubt, sondern nur maximal 6 Zeichen weshalb aus dem französischen "Erzähler" der gekürzte RACTER wurde. Er sollte einen schizophrenen Charakter abbilden, nicht unähnlich dem MegaHAL, der in meinem Terminalfenster läuft und ständig zusammenhanglose Kommentare abgibt, die als WWWW erscheinen. Der Dialog lief schnell ins Absurde, doch die ersten Sätze haben was. Sie unterstützen die "seltsame Neigung des Menschen, dort Sinn zu suchen, wo es nix dergleichen gibt". Das sind die Worte des ehemaligen Experimentalfilmers Dewdeney im "Spektrum der Wissenschaft" von 1987.

*** Tapfere Elektronen! Und Müsser, die auf das Müssen bestehen und dass man beim Müssen ganz tapfer sein muss, die geben schon zu denken in diesen tunneligen Tagen. Das gilt erst recht für Chef-Müsser, die mit ihrem Tunnelblick und ihrer röhrenartigen Denkweise von Migranten fordern, den Nachweis der deutschen Sprache schon im Herkunftsland anzutreten. Nix Kanacke, nix Polake, aber von christlich-jüdischen Wurzeln schwadronieren, von Humanismus und Toleranz. Mit dem großen Pflichtschwimmer-Abzeichen für Kopftuchmädchen, wie unsere Müsserin fordert.

*** Elektronen sind tapfer. Klaglos halten sie jeden Mist aus, der mit ihrer Hilfe über Drähte transportiert wird. 124 124, Bimmelbimmel: "Seenotrettung Bremen, ihr Problem?" "Hilfe!! Rette die Million!" Das ist Deutschland beim Absaufen im Jahre 2010. Mit Fernsehsendungen wie die vom Pilaweiler hat man geradezu noch Glück gehabt, wenn die Vergleichslatte beim Denunziatonsformat Tatort Internet anliegt, das erste Opfer vorweisen kann. Was soll's, so ein Rufmord ist auch nur ein Stück Leben, wird sicher irgendeine Ekelfeder des Journalismus zustimmend schreiben. Dieser befindet sich angeblich im Umbruch, wie eine Tagung auf einem stillgelegten Flughafen ergab: Auf den Münchener Medientagen wurde über Substanz geredet, über Netzsperren und Löschtasten und Altersschutz; es wurde dermaßen gejammert, dass man all diesen ängstlichen Journalisten einen Ganzkörperpräservativ wünscht für ihren Aufenthalt im Internet. Erst als die jungen Leute mit Schlafsack und Isomatte zu ihren Jugendmedientagen anrückten, änderte sich die Stimmung. Was die Mädchen zum "Tatort Internet" äußerten, ist weder druckreif noch verlinkbar. Topthema war natürlich Stuttgart 21, wo jeder Demonstrant zum Sender werden kann. Und jeder Blogger seinen Senf zugibt: um die Zukunft des neuen Journalismus ist mir nicht Bange, sie ist rattenscharf. Wie der Insanity Mustard, von dem Kinder und Herzkranke Abstand nehmen müssen.

*** Der letzte Satz ist ganz ohne Link, denn die Gefährdung von Menschenleben ist einfach zu groß für einen kleinen Verlag in der norddeutschen Tiefebene. Verständige Leser können die Suchmaschine ihrer Wahl peitschen und sich orgiastisch die Wurst bestreichen, hier bleiben wir zahm wie grünes Pesto. Grün? Die grüne Welle ist am Abflauen, doch das Urteil des Bundesgerichtshofes zum Link-Verbot und zur reinen Informationsbeschaffung via Link ist schon bemerkenswert. Wenn hier in dieser kleinen Wochenschau wie in den Links von aberhundert Tickermeldungen in jedem Monat "als äquivalente Fußnote der reinen Informationsbeschaffung" dem Leser auf die Sprünge geholfen wird, dann hat das ganz und gar nichts mit der illegalen Beschaffung von Software zum Knacken irgendwelcher Schutzprogramme zu tun. Die Links sind frei und jeder kann sie verraten, tralala.

*** Die erste Erfahrung, dass mein erster Computer eine schlaffe Nudel ist, mit der man allenfalls technophobe Journalisten steinigen könnte, habe ich vor vielen, vielen Jahren mit Benoît Mandelbrot gemacht, als sein Programm im "Spektrum der Wissenschaft" abgedruckt wurde. Mandelzoom sah wie ein einfaches Listing aus und war doch viel, viel komplizierter. Damals zwangen die Iterationen den Rechner gnadenlos in die Knie. Bewundernd darf man sich an die Fraktion der C64er erinnern, die in einer Multiprozessorkonfiguration die CPUs der 1541-Floppies rechnen ließen und den C64 nur zur Anzeige nutzten. Sie nannten es nur nicht Cloud Computing, die Leute von der Bayrischen Hackerpost.

*** Zukünftige Generationen werden Hermann Scheer würdigen können, als den Politiker, der künftig größer als die Beatles sein wird, und gegen den Leute wie Joseph "Nabucco" Fischer und Gerhard "Nord-Stream" Schröder schon heute wie tot aussehen. Sein demnächst erscheinendes Buch über den "EnergEthischen Imperativ" habe ich noch nicht gelesen, werde aber kummermäßig rückgrathaltlos dafür werben wie für die Energieallee A7, ein Leuchtturmprojekt, für das die amtierende Regierung schlichtweg die falsche ist. Der größte echte Sozialdemokrat nach Kuddl Schnööf, der Mann der Zukunft ist tot und wird uns allen bitter fehlen, nicht nur ihr. Dummerweise muss ich abpinseln: "Im Angesicht des Todes neigt man zum Pathos, aber dass die Welt nur einen Hermann Scheer hatte, ist kein Pathos, sondern ein Fakt. Vor allem aber ist es ein Problem", für uns, die Nachgebliebenen.

Was wird.

Ob Hal oder Megahal, was wichtig ist, hat eigentlich RACTER schon gesagt. "Reflexionen sind Spiegelbilder trüber Sehnsüchte", dieser Satz aus dem Buch mit dem hübschen Titel "Der Bart des Polizisten ist halb konstruiert" soll angeblich der 42. Satz des Programmes im ersten erfolgreichen Lauf des Gefrickels gewesen sein. Er steht im Vorwort des 1984 erschienenen Werkes und hat Generationen von Philosophen beschäftigt. Hier muss man Chamberlain trauen oder ihn halt einen Journalisten schimpfen, einen frühen Tom Kummer: Die Wahrheit entgleitet, und wir gleiten fröhlich mit. Bekanntlich wird innert weniger Wochen etwas passieren, mit dem "in diesem unseren Land" ein neues Zeitalter der Verständigung anbrechen, wenn der elektronische Personalausweis ausgegeben wird, was immer an Lob und Tadel auch geäußert wird. Für Journalisten ist dieser nPA ein gefundenes Fressen. Erst über Wackelpartien berichten, dann über den Alltag, wenn man in der richtigen Schlange steht, die das tolle Dokument beantragt.

Die guten Ideen aus Deutschland: Von Gutenberg über Goethe zu Eichmann und Erika Mustermann. Wer findet den oder die Fehler in dieser offiziellen Timeline?

Denn hey, eine Staatsbürgerschaftsurkunde ist das schicke Kärtchen nicht. Wer diese nämliche haben will, muss Goethes/Googles Faust über die Religion besser kennen: "Es wird die Spur von deinen Erdentagen nicht in Äonen untergehn." Zum Glück muss die Staatsbürgerschaft in wenigen Fällen nachgewiesen werden und nicht etwa beim Check-In oder an der Tanke. Wir sind deutsch wie der Felix, der dicke Telefonbücher zerreißen konnte wie Printouts von DNS-Tabellen! Zur Feier des Ereignisses wird jetzt in dieser unserer Wochenschau ein ganz einmaliges Winterrätsel gestartet, mit nebenstehendem Bild über die guten Ideen aus Deutschland. Von Gutenberg über Goethe zu Eichmann und Erika Mustermann, wer findet den oder die Fehler in dieser offiziellen Timeline? Die Auflösung erfolgt, wie sonst in sanften Sommernächten, am Montag. (jk)