Streit über offene Standards auf EU-Ebene neu entflammt

Die Free Software Foundation Europe (FSFE) hat der Business Software Alliance (BSA) vorgeworfen, mit ihrer Forderung nach Einschluss auch patentgeschützter Erfindungen in offene Standards Innovation und Wettbewerb zu behindern.

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Die Free Software Foundation Europe (FSFE) hat der Business Software Alliance (BSA) vorgeworfen, mit ihrer Forderung, auch patentgeschützte Erfindungen in offene Standards einzuschließen, Innovation und Wettbewerb zu behindern. Die Haltung der BSA, der Konzerne wie Apple, HP, IBM, Microsoft, SAP oder Siemens angehören, beruhe auf einem "groben Missverständnis" der Rolle und der Funktion von Normen, schreibt die Vereinigung für Freie Software in einem offenen Brief (PDF-Datei) an die EU-Kommission. Die Auflage, keine Lizenzgebühren zu erheben, verhindere nicht den Einschluss patentierter Techniken in Standards. Vielmehr dürften für einen entsprechenden Beitrag eben nur keine Tantiemen gefordert werden. Dass kostenfreie Spezifikationen Innovationen keineswegs behinderten, wie es die BSA behaupte, beweise der Erfolg der wichtigsten Technologieplattform der Welt, des Internets.

In der Auseinandersetzung geht es erneut um die Überarbeitung des European Interoperability Framework (EIF), einem EU-Rahmenwerk zur Herstellung von Interoperabilität bei E-Government-Diensten. Sie dauert nun schon ein Jahr und sollte eigentlich in diesem Monat beendet werden. Frühe Formulierungsvorschläge hatten zunächst Gruppierungen aus dem Open-Source-Umfeld auf den Plan gerufen. Sie hatten moniert, dass die novellierte Version auch patentierte und proprietäre Lösungen auf einer "Offenheitsskala" mit einordnen soll. Damit könnte die Verwendbarkeit von freier Software in Verwaltungen deutlich eingeschränkt werden.

Der BSA geht auch die umgeschriebene Variante aber noch nicht weit genug. Sie drängt in einem von der FSFE veröffentlichten Schreiben (PDF-Datei) an die Kommission Anfang Oktober darauf, ausdrücklich auch Techniken für offene Standards im EIF vorzusehen, die unter "FRAND"-Bedingungen lizenziert werden ("Fair, Reasonable And Non-Discriminatory"). Demnach müssen Anwender für die Nutzung eines Standards üblicherweise Geld zahlen oder sonstige Leistungen erbringen, was als nicht vereinbar mit den Prinzipien freier Software gilt. Zur Begründung führt die BSA unter anderem an, dass erfolgreiche Spezifikationen wie WiFi, GSM oder MPEG unter solchen Vorgaben lizenziert würden. Dies stehe auch im Einklang mit der Linie der EU zum Schutz der Rechte an immateriellen Gütern. Ein anderer Kurs dürfte dagegen als schlechtes Vorbild für Staaten wie China dienen, beklagt die BSA. Dadurch unterwandere die EU-Kommission ihre Fähigkeit, sich dort weiter für die Verteidigung des "geistigen Eigentums" stark zu machen.

Die FSFE hält dagegen, dass die von der BSA gewählten Beispiele – mit Ausnahme von MPEG für den Softwarebereich – "irrelevant" seien und eine falsche Unterscheidung zwischen "kommerziellen" geschützten und aus der Hand von Hobbyisten stammenden ungeschützten Entwicklungen zu kreieren versuchten. Tatsächlich fließe viel unpatentierte Technik aus Unternehmen in weltweit implementierte Standards wie HTML5 ein, die ihren Schöpfern weiterhin Umsätze bescherten. Generell diskriminierten FRAND-Bedingungen dagegen alle Geschäftsmodelle, die auf freier Software beruhen. Sie seien auch nicht kompatibel mit den meisten Open-Source-Lizenzen wie der GNU GPL, der Mozilla Public License oder der Apache Public License.

Die BSA spricht nach Ansicht der FSFE mit ihrer Haltung auch nicht im Namen aller ihrer Mitglieder. Beziehungen zwischen einer Präferenz für offene Standards und Verhandlungen mit China gebe es nicht. Insgesamt förderten Spezifikationen ohne patentrechtliche Fallstricke Standardisierungen und Interoperabilität. Schwierigkeiten bei der Umstellung auf freie Software in kommunalen Einrichtungen etwa in Solothurn zeigten dagegen, dass "patentbelastete Software-Standards Nutzer auf Kosten der Steuerzahler an suboptimale Lösungen binde".

Wie stark der Lobbydruck gegen eine Befürwortung freier Software auf EU-Ebene ist, zeigte jüngst auch ein von Wikileaks veröffentlichtes und inzwischen in weiteren Foren diskutiertes Dokument mit Überarbeitungsvorschlägen für die Open-Source-Strategie Brüssels. Demnach setzten sich Vereinigungen wie die Association for Competitive Technology (ACT), deren Chef Jonathan Zuck sich seit Jahren in Europa für Softwarepatente stark macht, und die CompTIA mit konkreten Formulierungshinweisen für eine deutliche Abschwächung des geplanten EU-Kurses ein. So sollte etwa eine Passage aufgenommen werden, wonach die wachsende Verbreitung von Open-Source-Software eine Sonderbehandlung unnötig mache. Zudem versuchten die Lobbyisten, den Schwerpunkt auf "gemischte Lösungen mit offenen und proprietärem Code" zu legen und FRAND-Lizenzierungen mit freier Software für vereinbar zu erklären. (anw)