Der überschätzte Herdentrieb

MIT-Forscher kommen bei einer Neuauswertung einer älteren Studie zu dem Ergebnis, dass soziale Netzwerke sich nicht so stark auf den Kauf von Produkten auswirken, wie gemeinhin angenommen.

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Von
  • Erica Naone

MIT-Forscher kommen bei der Neuauswertung einer älteren Studie zu dem Ergebnis, dass soziale Netzwerke sich nicht so stark auf den Kauf von Produkten auswirken, wie gemeinhin angenommen.

Wer heutzutage ein neues Produkt auf den Markt bringt, setzt dabei meist auch auf soziale Online-Medien. Über die, so die gängige Annahme, würden Verbraucher schneller zum Kauf motiviert als über klassische Werbekampagnen. Eine neue Studie von MIT-Forschern dämpft nun allerdings diese Erwartungen: Der „soziale Einfluss“ des Web 2.0 wird überschätzt, lautet das Ergebnis.

„Wir wissen nicht, was ‚sozialer Einfluss’ eigentlich genau bedeutet“, sagt nun Coco Krumme, eine der Autorinnen der Studie, die in Kürze im Journal PloS One veröffentlicht wird. Es sei wichtig, genauer herauszufinden, welche Hinweise in sozialen Netzwerken tatsächlich das Verbraucherverhalten beeinflussten.

Gemeinsam mit ihren Kollegen Galen Pickard und Manuel Cebrian hat Krumme das Kaufverhalten bei Musikdateien untersucht. Die MIT-Forscher fanden dabei heraus, dass Nutzer zwar Ausschnitte von Stücken anhören, auf die andere sie aufmerksam gemacht haben. Doch das Lauschen führt nicht zwangsläufig dazu, dass sie auch den Kaufen-Button anklicken. Zweites Ergebnis: Der Einfluss von sozialen Netzwerken auf die Popularität eines Stückes nimmt mit der Zeit ab. Hält es sich dennoch in den Charts, könnte das schlicht und einfach an seiner Qualität liegen.

Die MIT-Forscher stützten sich bei ihrer Untersuchung auf Daten aus der so genannten MusicLab-Studie. In der hatten Forscher der Princeton University 2005 rund 14.000 Nutzern 48 Songs vorgestellt. Wem die Musik gefiel, der konnte sie sich auch runterladen. Die Forscher teilten die Nutzer zudem in Gruppen auf, um herauszufinden, was passiert, wenn Informationen zu einzelnen Stücken weitergegeben werden.

Für den Soziologen Matthew Sagalnik, der die Studie mit zwei Kollegen durchgeführt hatte, ist klar, dass es von sozialen Interaktionen abgehangen habe, welche Lieder am populärsten wurden. Der Zufall sei bei der Wertung aber nicht unerheblich gewesen. Stücke, die gleich am Anfang populär wurden, hätten sich kaum noch von der Spitze der Rangliste verdrängen lassen. Die sozialen Faktoren in der Studie hätten die „Reichen reicher gemacht“, so Sagalnik.

Dies führte ihn zu dem Schluss, dass sich die Menschen an anderen orientieren, weil das Angebot so riesig ist. Um sich durch die heute verfügbare Musik durchzuhören, genüge ein Leben nicht, sagt Sagalnik. „Die einfachste Abkürzung ist deshalb, sich das anzuhören, was andere hören.“

Die MIT-Forscher schauten sich in ihrer Analyse die Daten von damals nun noch einmal genauer an. Dabei fanden sie heraus, dass der Hauptfaktor für einen Download war, ob ein Nutzer das Stück zuvor schon einmal angehört hatte. Empfehlungen von anderen alleine erhöhten hingegen die Wahrscheinlichkeit für einen Download nicht. Anders gesagt: Ein Tipp aus einem sozialen Netzwerk erhöht nur die Wahrscheinlichkeit, dass in ein Lied reingehört wird. Das Kaufverhalten hängt jedoch vom Hörerlebnis selbst ab – ganz gleich, ob das Stück empfohlen wurde oder ein Nutzer es selbst entdeckt hat.

Zudem hätte auch das Design der Studie Auswirkungen darauf gehabt, auf welche Stücke die Teilnehmer stießen, fügt Coco Krumme hinzu. In der Benutzeroberfläche seien die Lieder in der Rangliste nach oben geschossen, die die meisten Empfehlungen hatten. In Kontrolltests, in denen Weiterempfehlungen nicht berücksichtigt wurden, konzentrierten sich die Nutzer hingegen auf die Songs, die am weitesten oben in der Liste präsentiert wurden. Viele hatten schlicht keine Lust, nach unten zu scrollen. Krumme schließt daraus, dass Tipps dann eine größere Rolle spielen, wenn sie die Gestaltung einer Webseite beeinflussen.

In einer Simulation modellierten die Forscher auch das Klick- und Download-Verhalten der MusicLab-Studie für deutlich mehr Nutzer und über einen längeren Zeitraum. Dabei habe sich gezeigt, dass die Qualität von Musikstücken immer wichtiger für den Ranglistenplatz wurde, so Krumme. Im echten Online-Leben sei aber die Startphase besonders wichtig, räumt Krumme ein. Wenn ein Stück in diesem Zeitraum nicht gut ankommt, rutscht es gewissermaßen aus dem Blickfeld, so dass Informationen aus sozialen Netzwerken gerade für die Startphase wichtig sind.

Die Ergebnisse der Studie seien stimmig, findet Christian Borghesi von der französischen Forschungsorganisation CEA. Er hat die MusicLab-Daten selbst untersucht. „Dinge nur so zum Spaß anzuklicken, ist eine Sache – sie zu kaufen eine ganz Andere“, sagt Borghesi.

Lada Adamic, Communityforscherin an der University of Michigan, hält dagegen, dass in dem Studienaufbau die Struktur sozialer Einflüsse nicht exakt wiedergegeben sei. In der MusicLab-Studie hätten sich die Studienteilnehmer nicht gekannt. Im echten Leben gebe es aber immer Menschen, die den Ton angäben und deren Meinung mehr Gewicht habe, sagt sie. Wenn ein guter Freund ein Musikstück empfehle, sei die Wahrscheinlichkeit höher, dass es runtergeladen oder gekauft werde.

Zudem sei es auch einfacher, sich über Musik ein Urteil zu bilden, fügt Adamic hinzu. Es dauere nicht lange, in einen Song reinzuhören, und die meisten Menschen würden hier ihrem eigenen Geschmack vertrauen. Bei Produkten oder Dienstleistungen, deren Qualität schwerer abzuschätzen ist, spielten soziale Einflüsse hingegen eine größere Rolle. Denn, so Adamic: „Wir wollen das machen, was unsere Freunde machen, wir vertrauen auf ihre Meinung, und wir wollen auf dem neuesten Stand sein.“

Vorabveröffentlichung des PloS-One-Papers: "A model of social influence in markets for cultural products".
(bsc)