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Was war. Was wird.

Diese Kolumne löst sich wie ein guter Geldschein oder eine unmögliche Mission beim Lesen auf, Tom Cruise kennt das. Hal Faber wundert sich derweil über 2.0-Entrebobos, die mit der Kamera in der U-Bahn Jagd auf junge Damen machen.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war

*** Diese Kolumne ist wie ein guter Geldschein. Auf der einen Seite nährt sie den Autor mit seinen Hunden, Kindern, Katzen. Auf der anderen Seite löst sie sich beim Lesen auf, genau wie die Geldscheine, die von defekten Geldautomaten unter das Volk gebracht wurden. Auf einmal ist alles Nichts, das ist die Umkehrung der neuesten Dotcom-Blase namens Web 2.0, die aus einem Nichts wie Sevenload eine mit 130 Millionen Euro bewertete Firma macht, nur weil ein Werber unverkäufliche Plakatflächen umdeklarieren kann, als seien sie zum Vollpreis verkauft werden. Ja, die gute alte Dotcom-Zeit ist wieder da, mit jungen Entrebobos, die die erste Blase nur vom Hörenklatschen kennt. So jung und notgeil sind sie, dass sie mit Webcam-Handy den Macker rauskehren und Passagiere nötigen müssen, das ganze 2.0-trendig natürlich bei YouTube ausgestellt. Du musst ein Schwein sein in dieser Welt, sangen die Prinzen, das ist so 1.0. Du musst auf YouTube zeigen, dass dir dein Schweinsein gefällt, das ist leuchtendes, echtes Web 2.0.

*** Die Sache mit diesem Web 2.0 wäre nicht weiter wichtig, gäbe es nicht prominente, die auch dieses Mödchen ausnutzen, ihren Minderwertigkeitskomplex zu füttern. Nimmt man dieses Interview mit Hubrand YourBurda, so findet man bemerkenswerten Unsinn über den Unterschied zwischen Rudi Dutschke und Bob Dylan. Dahinter eine angeblich bis heute anhaltende latente Computerfeindlichkeit, die unter anderem dazu führte, dass Burdas winziger Verlag Flickr nicht kaufen konnte, als die Fotoklitsche im 2.0-Gedröhn maßlos überschätzt wurde. Erst jetzt, wo die 68er in Rente gehen und Habermas sich nur noch um nachgekaute Literatur kümmert, haben junge Entrebobos eine Chance, es mit den Rolling Stones oder den Beatles aufzunehmen. In der Software wohlgemerkt, nicht in der Mucke. Aber da in der Software, da kann man was richtig bewegen.

*** Halloween ist vorüber, ein Fest, an dem unser kuschliger Heisig beziehungstechnisch mit einer hübschen Begleitung auftauchte. Zum Gruseln taugte nicht einmal die Vorstellung der Umverpackungen durch Microsoft. Die schwer verkäufliche Hölle fror erst zu, als Microsoft und Novell das ultimative Halloween-Dokument veröffentlichten. Noch ist nicht ganz klar, was zootechnisch entsteht, wenn ein patentmäßig eingeschüchtertes Chamäleon mit einer Büroklammer herummacht, aber es dürfte ungefähr auf einen vistagrünen flugunfähigen Vogel hinauslaufen. Geldtechnisch wären das die bereits erwähnten Scheine, die sich in Luft auflösen. Der Schachzug von Microsoft ist geschickt und verdient Anerkennung, weil das Gesprächsangebot an andere Linux-Distributoren den gewünschten Effekt erzielt: wenn alle auf das Patentabkommen eingehen, dann muss Microsoft ja Patente an Linux besitzen. Gates und Ballmer zeigen ganz nebenbei, was für Stümper McBride und Blepp mit ihren Prozessen und Beweisen, mit den Codezeilen und den nicht wörtlich übernommenen Konzepten und Methoden sind.

*** Auch heute gibt es im Wochenrückblick die unvermeidlichen Abschiede und Gedenktage in hemmungslos subjektiver Auswahl. Nach schwerer Krankheit starb der Widerstandskämpfer Peter Gingold im Alter von 90 Jahren. Für den Mit-Gründer des Auschwitz-Komitees gibt es heute eine Trauerfeier im Frankfurter DGB-Haus. 28 Jahre lang musste Peter Gingold darum kämpfen, bis er die Staatsangehörigkeit des Landes bekam, das sich so gern auf Goethes Erbe beruft. Als Peter Gingold BRDeutscher wurde, erließ Bundeskanzler Willy Brandt ein Berufsverbot für Gingolds Tochter. Ein weiterer Regierender, Theodore Roosevelt, lies sich einmal dazu hinreißen, Journalisten als Muckraker, als Mistkratzer, zu bezeichnen. Er bezog sich dabei auf Ida Tarbell, die heute vor 149 Jahren geboren wurde. Das ist vielleicht kein besonders rundes Datum, passt aber. Mit ihren unermüdlichen Recherchen über die unsauberen Geschäftsmethoden John D. Rockefellers gilt Ida Tarbell als die Begründerin des investigativen Journalismus. Sie recherchierte drei Jahre, wobei sie von Mark Twain unterstützt wurde, und schrieb 19 Artikel über Rockefeller. Ihre Recherchen führten mit dazu, dass Rockefellers Öl-Imperium im Mai 1911 zerschlagen wurde.

Was wird

Weil sich die geneigte Leserschaft des Newstickers nur langsam an die tägliche Vista-Meldung gewöhnt, darf die Woche ruhig mal mit einem Knaller beginnen. In München eröffnet der große Bill Gates die Konvergenz-Konferenz von Microsoft, komplett mit Neuheiten über Microsoft Dynamics und einer Bierparty im Bavaria Bräu. Dass Gates gerade in Linuxtown auftritt, ist offenbar ein Nebeneffekt der Demission des deutschen Statthalters Jürgen Gallmann, der ursprünglich die Konferenz eröffnen sollte. Auf alle Fälle klingt der "Event" besser als die taggleiche Vorstellung der neuen Data Integration Suite, die Sybase in Hamburg vorstellen wird, Mineralwasser inklusive.

Es sind die Schlagworte wie Konvergenz und Innovationspatente, nicht die Inhalte, die über die Köpfe bestimmen. In dieser Hinsicht hat Siggy "Pop" Gabriel (SPD) seine Lektion gelernt, als er unter der Woche den New Deal in der Umweltpolitik ausrief und von grünen Märkten schwärmte. Komplettiert wird dieser Deal durch den Kabinettskollegen Michael Glos (CSU), der den Kündigungsschutz nach dänischem Vorbild abbauen will, wobei ganz undänisch den Gefeuerten im ersten Monat zur Strafe kein Arbeitslosengeld gezahlt werden soll.

Mit einem New Deal wartet Gabriel nun auch abseits der grünen Märkte auf. Er will von seinem Parteigenossen Marcel Bartels das Honorar für seinen Anwalt eintreiben. Der wollte eine Satire aus der Welt schaffen und produzierte damit eine weitere Satire um hübsche Anwältinnen und seltsame Anschreiben. Möglich, dass die Sache eines Tages verfilmt wird, vielleicht unter dem Titel "Der nicht mit den Nutten tanzt". (Hal Faber) / (vbr)