27C3: Wikileaks-Aussteiger erläutert Openleaks-Konzept

Der frühere Wikileaks-Sprecher Daniel Domscheit-Berg hat die geplante Struktur der von ihm mitgegründeten alternativen Whistleblower-Plattform näher umrissen. Für ihn ist derzeit der "erste echte Informationskrieg" zugange.

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Der frühere Wikileaks-Sprecher Daniel Domscheit-Berg hat die geplante Struktur der von ihm mitgegründeten alternativen Whistleblower-Plattform Openleaks näher umrissen. Mit dem beabsichtigten Prozess werde das klassische Konzept des Alarmschlagens durch die Veröffentlichung interner Papiere transparenter gestaltet und allgemein etwa durch die Auflösung informationeller Flaschenhälse verbessert, erklärte der Insider am gestrigen Mittwoch auf dem 27. Chaos Communication Congress (27C3) in Berlin. Statt einem Anlieferungskanal für brisante Dokumente solle es "hunderte Webseiten" mit entsprechenden Eingangsstationen geben. Die Informanten müssten dann auch selbst über ihren bevorzugten Ausgangskanal entscheiden. Mit der größeren Vielfalt solle die Überflutung einer Inbox mit "Schrott" erschwert werden, da die Arbeit des Filterns und der Analyse des eingehenden Materials, der Anonymisierung von Quellen sowie des Schwärzens sensibler personenbezogener Daten auf viele Schultern verteilt werde.

Neben der Verstärkung der Qualitätskontrolle erhofft sich Domscheit-Berg von der Dezentralisierung auch das Ende der Ausrichtung der Mediendarstellung eines bahnbrechenden Projekts auf einen "einzelnen Helden" an der Spitze. "Künftig ist nicht ein Führer nötig, sondern eine Welt, die aus lauter Führern besteht", gab der ehemalige Mitstreiter des umtriebigen Wikileaks-Vordenkers Julian Assange als Parole aus. Die Konzentration der Medien auf die größtmögliche Autorität in einem Team habe in der Vergangenheit bereits viele Revolutionen zerstört. Generell glaubt Domscheit-Berg auch, dass eine Whistleblower-Plattform ihr Innenleben nicht hinter einem Schleier der Intransparenz verbergen müsse. Gebraucht werde eine Lösung, "die das Sonnenlicht aushält", nicht ein Hack aus dem Untergrund, von dem nur einer profitiere. Der Pionier, demzufolge mit ersten Tests für den vielstufigen Openleaks-Prozess im Januar begonnen werden soll, sieht nach dem von Wikileaks durch die Veröffentlichung geheimer US-Botschaftsdepeschen ausgelösten "Cablegate" den "ersten echten Informationskrieg" am Laufen. Ihm sei etwa nachgesagt worden, dass er gegenüber einem israelischen Reporter eine Kooperation von Wikileaks mit dem israelischen Geheimdienst eingeräumt habe. Er habe jedoch nie auch nur Kontakt zu einem Reporter aus dem Mittelmeerstaat gehabt. Auch sei das Gerücht gestreut worden, dass ihn das FBI für sein Ausscheiden bei Wikileaks nach einem Grundsatzstreit mit Assange bezahlt habe. Eine weitere "Ablenkung" stelle die Tatsache dar, dass derzeit an vielen Orten gefälschte Diplomatenbriefe auftauchten. Um eine Reihe von Missverständnissen aufzuklären und einer bessere Basis für Kritik zu schaffen, werde er nun trotz seines anfänglichen Vorsatzes, nicht mehr über Wikileaks sprechen zu wollen, ein Buch über seine dreijährige Zeit bei dem Projekt schreiben.

Insgesamt hält es Domscheit-Berg für wichtig, ein tieferes Fundament für die freie Kommunikation auszuheben. Die "wundervolle Verbindungstechnologie" des Internets habe die Menschen enger zusammengebracht und die Gesellschaft globalisiert. Sie habe aber zugleich die traditionellen Mächte vor große strukturelle Herausforderungen gestellt. Diese würden nun mit Zensurlisten, Web- und Internetsperren sowie "Sendezeitbegrenzungen" fürs Netz zurückschlagen. Dabei spannten sie auch Werkzeuge wie Finanzdienste oder Anbieter von "Cloud Computing"-Diensten wie Amazon ein und versuchten darüber, "Denial of Service"-Attacken auf die Zivilgesellschaft zu fahren. Notfalls müsse sich diese daher von wolkigen Rechenkonzepten verabschieden, die sich durch die Möglichkeit zum einfachen Ausschluss einzelner Nutzer als unnütz herausgestellt hätten, und auf alternative Bezahlmethoden wie Flattr zurückgreifen.

Volle ideelle Unterstützung sicherte der Plattformbauer nach wie vor Initiativen wie der "Icelandic Modern Media Initiative" (IMMI) zu, mit der die rechtlichen Rahmenbedingungen für Inseln der Meinungs- und Informationsfreiheit sowie Freihäfen für den Datenaustausch und den investigativen Journalismus geschaffen werden sollen. Vor einem Jahr hatte Domscheit-Berg auf dem Hackertreffen noch gemeinsam mit Assange ­ ein entsprechendes Konzept vorgestellt. Was damals noch einem Science-fiction-Roman entsprungen zu sein schien, habe mittlerweile den grundsätzlichen Segen des isländischen Parlaments gefunden. Das Kultusministerium des Eilands arbeite derzeit an der Umsetzung des Vorhabens, Nachfolge-Initiativen würden in Italien, Spanien und Slowenien debattiert.

Domscheit-Berg vergaß nicht, für mehr Unterstützung für die eigentlichen Whistleblower zu werben. Er begrüßte in diesem Sinne eine Kampagne auf dem Hackertreffen, mit der die Datenreisenden Bradley Manning, dem vermutlich hinter den jüngsten großen Wikileaks-Enthüllungen steckenden US-Soldaten, solidarische Grüße in die Einzelhaft per Sammelpost schicken können. Zuvor hatten Vertreter des deutschen Whistleblower-Netzwerks und des Dokumentationszentrums ansTageslicht.de eine Ausstellung am Konferenzort, dem Berliner Congress Center, über hiesige Alarmgeber eröffnet und einen besseren rechtlichen Quellenschutz für sie eingefordert. Derzeit gelte jede Offenbarung als Verstoß gegen Treue- und Geheimhaltungspflichten gegenüber dem Arbeitgeber, sodass viele potenziellen Whistleblower lieber "das Maul hielten". (ola)