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Was war. Was wird.

Hoppla, schon wieder gestolpert. Ja, ja, immer diese steinigen Wege, giggelt Hal Faber. Dabei wäre es doch etwas, das Reich der Notwendigkeiten zu verlassen und ins Reich der Freiheit einzugehen. Aber ach, messianische und chiliastische Ideologien endeten noch immer im Horror.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Was braucht die Welt, um eine menschlichere Welt zu werden? Wie wäre es mit einem Bluetooth-Armband, das den aktuellen Stand des Kommunismus anzeigt, ergänzt um einen kleinen Dioxin-Sensor als Oral-Implantat? Das Ganze wird ausgeliefert mit einer App, die auf zwei Skalen den Fortschritt unserer Gesellschaft dokumentiert. Die eine zeigt, wie weit wir entfernt sind vom Sprung aus dem Reich der Notwendigkeit ins Reich der Freiheit. Die andere misst, ob wir uns nicht vorher so vergiftet haben, dass der Sprung ins Dreckswasser fällt, das überall abfließt. Mit ihren Überlegungen zu den Wegen zum Kommunismus hat die Linke Gesine Lötzsch ordentlich Schlamm aufgewühlt. Ja, dieser Kommunismus muss ein gar furchtbares Zeug sein, ein finsteres System, in dem die Züge schmutzig, überfüllt und unpünktlich sind, in dem im Fernsehen nur verknöcherte Alte talken. Im Horror enden eben die meisten messianischen und chiliastischen Ideologien.

*** Eigentlich schade, dass in der allgemeinen Aufregung die feine Ironie unbeachtet blieb, dass die selbsterklärte Nachfolgerin von Rosa Luxemburg zur Methode des hunt & try des Erzkapitalisten Edison extemporierte. Das ist weitab vom wissenschaftlichen Sozialismus und der kybernetisch gesteuerten kommunistischen Produktion, in der kein kapitalistischer Zwang herrscht, sondern das gesellschaftliche Pflichtbewusstsein jedes Menschen das nötige Industriefett liefert, damit alles wie geschmiert abläuft. Während die Linken zu Edison greifen, zeigte der Kapitalismus mal wieder seinen schönsten Achselschweiß: "Egal welche Hardware, Windows ist schon da", drohte Steve Ballmer seinen Zuhörern. Was für Microsoft eine Befreiung von der einengenden Intel-Plattform ist, klingt für andere wie eine Drohung.

*** Wenden wir uns daher dem real existierenden Kapitalismus zu in der besten aller Welten. 90 Millionen US-Dollar hat die Musikindustrie allein in Edisons Heimat für die Lobbyarbeit ausgegeben, mehr als die Filmindustrie und die Printbranche. Eine bemerkenswerte Summe vor einem bemerkenswerten Jubiläum: Heute vor 10 Jahren startete iTunes, was diesem Newsticker nur eine kleine Notiz wert war. Noch eine Audio-Playersoftware. Über 10 Milliarden Songs sind allerdings inzwischen über die von Apple gut zwei Jahre später mittels der Software hübsch eingerichteten digitalen Ladentheke verkauft worden. Und sechs Jahre später startete wiederum das iPhone, derweil Jobs sich über die Bedienkonzepte anderer Smartphone-Hersteller lustig machen konnte. Der Mann, in dessen Bibliothek alle englischen Monographien von Edison und Tesla stehen, zeigte dabei seine ausgesuchte kapitalistische Grausamkeit und schenkte uns das Unwort App. App oder Äpp wie veräppeln oder verkackeiern. Wer mag es ihm verdenken: der App-Store funzt, genau wie der iTunes Music Store.

*** Bekanntlich gibt es nicht nur Wege zum Kommunismus, sondern auch die Wege zur Hölle, die mit guten Vorsätzen gepflastert sind. In der Hölle schmoren, dieses Schicksal würde die Mehrheit der US-Amerikaner dem Australier Julian Assange gönnen, der nach den US-Depeschen erklärtermaßen die US-Banken im Wikileaks-Visier hat. Beim Geld hört der Spaß auf, wie das Auskunftsersuchen zeigt, das Twitter öffentlich gemacht hat. Ich unterlasse die Spekulationen, was andere Firmen wie Facebook oder Skype erhalten haben und nicht veröffentlichen. Ich verweise stattdessen auf einen Artikel, der ein Portrait von Assange liefert, dem Mann, der nach eigener Aussage ein Buch schreibt, hinter dem sich eine ganze Generation zum Protest gegen die Regierungen versammeln soll. Ein eigens angeheuertes PR-Team soll die frohe Kunde verbreiten. Wie hieß es noch in Underground, dem ersten Buch, an dem Assange mitschrieb: "Nach einer öffentlichen Konfrontation mit dem viktorianischen Premier Jeff Kennett gründete Mendax mit zwei anderen eine Bürgerrechtsorganisation, die die Korruption in der Regierung bekämpfen sollte." Mendax war der Hacker-Name von Assange. Der Rest ist eine Frage der Schlaglöcher und der Kunst, ein Motorrad zu warten.

Was wird.

Das Jahr ist jung, die Perspektiven rosig wie ein frisch geschlagener Hintern eines Neugeborenen. Die Feierzeit ist vorüber, das Dreikönigstreffen hat die Erde nicht aus ihrer Bahn westergewellt und alle möglichen Wege zum Kommunismus sind aufgetaut: Wir haben die astrologisch höchst interessante Konstellation, dass das Internationale Jahr des Waldes auch ein Superwahljahr ist, in dem deutsche Politiker deutsche Eichen simulieren und besonders prinzipienfest auftreten. Sinnigerweise ist das Internationale Jahr des Waldes bei uns gleichzeitig das Jahr der Gesundheitsforschung. Auf diese Konstellation kann eigentlich nur ein Lesebefehl folgen: Stationäre Aufnahme lesen! Hegels Eule der Minerva hackt in der Leber der Mediziner, um es metaphorisch zu sagen. Am Ende des neuen Jahres, das ist meine einzige Prognose für 2011, wird es wunderbare Rechnungen darüber geben, wie eigentlich 10 Prozent ausgegebene Gesundheitskarten zu definieren sind.

Nun richtet sich der Blick auf die Woche, in der der Betrieb wieder Fahrt aufnimmt. In Berlin startet die Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" mit neuem Elan und beschäftigt sich mit den Fragen zum Datenschutz und zu den Persönlichkeitsrechten. Parallel dazu marschiert das Ministerium für dioxinfreie Ernährung, industrielle Landwirtschaft und verbraucherschutzfreie Räume vor und stellt am 11.1.11 auf der Dialogveranstaltung Verbraucher im Netz den "digitalen Radiergummi" vor. Ein Blick auf dieses rückstandsfrei gewonnene Produkt deutscher kryptografischer Spitzenforschung lohnt sich, nicht nur wegen der schwer symbolischen Pusteblume, die vielleicht an die Experimente zum Pflanzengummi in Auschwitz erinnern soll. Es gibt Ansichten, dass die gesamte Technik nichts anderes will, als ein Spionagepixel zu installieren. Andere wundern sich, warum man nicht eigene, vertrauenswürdige Server für seine Dateien nimmt und die bösen Suchmaschinen per robots.txt aushebelt. An dieser Stelle müsste der Link zum kriminalistischen Institut des Bundeskriminalamtes gehen. Die Profis können alles restaurieren, was ab 1830-1850 mit dem Radiergummi "gelöscht" wurde. Davor ist es eine Frage der Papierqualität. Was den digitalen Radiergummi anbelangt, müsste es um eine ähnliche Qualität gehen: In einem System, in dem ausnahmslos alle Computer dem Prinzip des Trusted Computing unterworfen sind, könnten Access Control Lists das Problem wunderbar einfach lösen. Aber wer will dieses System?

Die Frage nach dem richtigen Papier führt zu der Frage, was denn eigentlich die Firma SCO auf dem Papier wert ist. Zum 5. Oktober 2010 wollte SCO ihre Unix-Sparte an den Meistbietenden versteigern. Dummerweise fand sich kein einziger Bieter, der Interesse an dieser Auktion hatte. Nun startet am 14.1. die zweite Runde der Auktion, diesmal mit einem attraktiven Mindestgebot von schlappen 100.000 US-Dollar statt der 2 Millionen, auf die die diversen Unix-Reste noch im Oktober taxiert wurden. In diesem Preis nicht inbegriffen sind die "Litigation Rights", die Klagen gegen Novell, Red Hat, IBM und viele, viele andere, die angeblich Milliarden bringen sollen. Wobei die "Rechte" nur in der Fantasie des tapferen schwarzen Ritters existieren. OK, das mag ein billiger Scherz sein, Etwas ernster ist schon die Frage der großartigen Pamela Jones, die über das Weihnachtsfest hinweg darüber nachdachte, ob sich das Engagement überhaupt lohnt, wenn eine Firma wie Novell die Reste Microsoft zum Fraß vorwirft.

Auf SCO folgt, harharhar, die Wikipedia. Die Trainings-Schreibanstalt für angehende Wissenschaftler ging kurz nach iTunes an den Start und feiert am 15. Januar einen überaus relevanten 10. Geburtstag, in Deutschland natürlich mit Stammtischen, an denen die Torte des Grauens verzehrt wird. Gelahrte Geister stimmen darin überein, dass Wikipedia das aktuelle Weltwissen abbildet, gehäckselt und gestückselt durch Ockhams scharfes Relevanzmesser. Ganz passend für dieses unsere Land startet in Frankfurt oderseitig Wiki-Watch, als "das Transparenz-Tool zur Analyse von Wikipedia" angekündigt, ein scharfes Schwert, vor dem schwarze Ritter klaglos kapitulieren. Wiki-Watch kämpft gegen das "gesellschaftlich unbefriedigende Wissen" über Wikipedia und will der Oswald Kolle der Relevanz-Diskussion sein, mythenzerschmetternd den wegbeißernden Killer-Kaninchen an Platons Höhle den Kampf ansagen. Jubelperser sind anscheinend nur in Hedwig-Holzbein willkommen und so freue ich mich mit diesen. Das WWWW ist etwas älter, doch hat es ungemein davon profitiert, mal eben auf Dropull oder auf Superkalifragilistischexpiallegetisch verlinken zu können. Because we can. Was bleibt? Musik! (jk)