Privater Ersatz für das Space Shuttle

Der "Dream Chaser" von Sierra Nevada soll an der Spitze einer Rakete in den Orbit abheben und später sanft auf einem Rollfeld landen.

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Von
  • Katherine Bourzac

Der "Dream Chaser" von Sierra Nevada soll an der Spitze einer Rakete in den Orbit abheben und später sanft auf einem Rollfeld landen.

Sobald das Space-Shuttle-Programm in diesem Jahr ausläuft, haben die Amerikaner nur noch eine Möglichkeit, Menschen in eine Erdumlaufbahn und weiter zur Internationalen Raumstation ISS zu bringen: Sie müssen Plätze im russischen Drei-Mann-Raumschiff Sojus buchen. Die NASA versucht deshalb seit längerem, privatwirtschaftliche Alternativen zum veralteten Shuttle zu finden, weil eigene Initiativen bislang nicht fruchteten. Im Rahmen des "Commercial Crew Development"-Programms hat sie bereits 50 Millionen Dollar an Fördermitteln verteilt. Kommerzielle Firmen sollen neue Raumfahrzeuge entwickeln, die Menschen und Fracht ins All befördern können.

Der Empfänger des größten Teils des Geldes mit 20 Millionen Dollar ist die Sierra Nevada Corporation aus dem amerikanischen Sparks. Sie hat den Dream Chaser entwickelt, einen Raumgleiter von der Größe eines Geschäftsfliegers. Er soll Fracht und bis zu acht Personen in eine niedrige Erdumlaufbahn bringen. Dorthin also, wo sich die ISS befindet. Das Gefährt soll außerdem auch auf kommerziellen Flughäfen landen können.

Bislang lässt sich das Projekt gut an – es hat im vergangenen Jahr alle Entwicklungsmeilensteine erreicht. Aktuell ist die Firma dabei, den Kohlenstoffverbundwerkstoff, aus dem große Teile des Raumschiffs bestehen, ausgiebig zu testen. Die Hülle muss einiges aushalten – intensive Vibrationen genauso wie sehr hohe Beschleunigungskräfte. Der Rahmen des Dream Chaser wurde deshalb in einen Erdbebensimulator der University of Colorado verfrachtet, wo er nun Stresstests ausgesetzt wird. Bislang, so Mark Sirangelo, Leiter der Abteilung für Raumfahrtsysteme bei Sierra Nevada, laufe alles nach Plan. In San Diego wird unterdessen der Hybrid-Raketenantrieb des Dream Chaser getestet. In den kommenden Monaten sollen dann Rumpf, Rahmen und Motor zusammengesetzt werden, um einen vollständigen Prototypen zu erhalten, der dann auch in die Luft gehen kann – wenn auch zunächst nicht aus eigener Kraft.

Andere Orbiter werden derzeit von SpaceX, Orbital Sciences und Boeing entwickelt. Bei diesen handelt es sich allerdings um Raumkapseln, die Fallschirme für die Landung zu Wasser oder an Land nutzen. Der Dream Chaser ist da anders: Er hat einen Tragrumpf und sieht aus wie ein Flugzeug mit gestutzten Flügeln an der Seite. Diese Form in Kombination mit einem Fahrwerk und Triebwerken erlaubt eine kontrollierte Landung auf einer normalen Landebahn. Sirangelo betont, dass das Raumfahrzeug praktisch auf der ganzen Erde ankommen kann und die Passagiere gleichzeitig geringeren Erdanziehungskräften bei der Landung ausgesetzt sind als bei einer Kapsel. Auch wissenschaftliche Ladungen und Instrumente würden so geschont.

Sierra Nevada hat ehrgeizige Pläne: Sollten alle Test- und Entwicklungsmeilensteine erfolgreich genommen werden, könnte der Dream Chaser bereits 2014 in eine Erdumlaufbahn aufbrechen. Er soll auf der Spitze einer mächtigen Rakete abheben – der Atlas V von der United Launch Alliance, einem Joint Venture aus Lookheed Martin und Boeing. Sobald die Booster-Rakete im All ist, wird das Raumfahrzeug entriegelt und sein Hybrid-Antrieb bringt es in die gewünschte Position in einer Erdumlaufbahn und zum Docking mit der ISS. Das Antriebssystem dient auch zur Landeunterstützung, damit der Dream Chaser sanft auf den Boden kommt.

Sierra Nevada stellt auch Satelliten, Sensoren und andere Komponenten für die Raumfahrt her. Eine komplette Neuerfindung ist der Dream Chaser dabei nicht. In der Sowjetunion entstand in den 70er Jahren eine Testplattform namens Bor-4. Die Besatzung eines australischen Schiffs fotografierte sie und die NASA unternahm dann Versuche, mittels Reverse Engineering ein ähnliches Raumfahrzeug zu bauen. Das Ergebnis war der Prototyp HL-20. Das Projekt kam bereits recht weit in seinem Design- und Testzyklus und sollte als Rettungsschiff für gestrandete Astronauten auf einer Raumstation dienen. Doch fertiggestellt wurde der neue Gleiter nie.

Vor sechs Jahren lizenzierte eine kleine Luft- und Raumfahrtfirma namens SpaceDev das Design von der NASA und begann damit, es zu modifizieren. Zu den Neuerungen gehörte unter anderem ein Hybrid-Raketenantrieb. Der verbrennt einen ungewöhnlichen Treibstoff: eine Mischung aus recyceltem Gummi und Lachgas. Der Stoff hat eine ähnliche Energiedichte wie konventionelle Treibstoffe, kann aber kontrollierter verbrannt werden und soll deshalb sicherer sein. (Letzteres muss allerdings erst im Flug bewiesen werden.) Sirangelo vergleicht das System mit dem Brenner eines Gasofens, der auf eine niedrigere oder höhere Flamme gedreht werden kann. Ein ähnliches Hybrid-Design wird im SpaceShipOne genutzt, das 2004 den X-Prize gewann – und auch im Nachfolger SpaceShipTwo, der für den Weltraumtourismus genutzt werden soll.

Sierra Nevada übernahm SpaceDev vor zwei Jahren, um eine eigene Raumfahrtabteilung zu gründen und hofft nun, dass die NASA zum Großkunden wird. Das Unternehmen will aber auch den Markt für Weltraumtourismus erobern und unterschrieb in diesem Winter einen Vertrag mit Virgin Galactic, um solche Reisen zu vermarkten und durchzuführen. Sollte es Spezialfirmen wie Bigelow Airspace gelingen, private Raumstationen zu bauen, brauchen sie ebenfalls passende Transporter. Sierra Nevada sieht auch diesen potenziellen Markt. Und dann wären da noch Universitäten und andere Forschungseinrichtungen, die daran interessiert sein könnten, Frachtraum auf dem Dream Chaser zu mieten, um Experimente ins All zu schicken.

Die meisten Teile des Dream Chaser können wiederverwendet werden – mit Ausnahme der Booster-Rakete beim Start und der Treibstoffbehälter. Bis das Gefährt profitabel ist, wird es aber eine ganze Weile dauern. Sierra Nevada hat ausgerechnet, dass mehrere Dream Chaser 50 bis 100 Mal fliegen müssten. Ob und wann es so weit wäre, kann Sirangelo nicht sagen. "Wir bewegen uns hier in eine unbekannte Welt." Die Firma gibt zudem keine genauen Zahlen heraus.

Sierra Nevada, selbst profitabel und bereits 1963 gegründet, hat aber Dutzende Millionen Dollar in das Projekt investiert – mehr als von der NASA in diesem Jahr kam. Trotzdem will das Raumfahrtunternehmen weiter eigenes Geld in die Hand nehmen – und muss es auch. "Wenn wir unsere Meilensteine nicht erreichen, bekommen wir nichts." Aus diesem Grund hat die Firma gerade neue Fördermittel beantragt, die die NASA noch in diesem Jahr herausrücken könnte.

Neben dem schlichten Geschäftsrisiko gibt es noch zahlreiche technische und politische Hürden, die der Dream Chaser nehmen muss. Scott Pace, Direktor des Space Policy Institute an der George Washington University, sieht auch ein Vertrauensproblem: Im Gegensatz zur Sojus, die seit Jahrzehnten im Einsatz ist, hat sich die Technik von Sierra Nevada noch nicht bewiesen. Da hilft es wenig, dass sie auf ein älteres NASA-Projekt aufbaut. Und: Das Space Shuttle geht auch aus Sicherheitsgründen in Rente. "Es gibt das Potenzial für ein solches neues Raumfahrzeug, dass es sicherer ist. Aber das lässt sich nur durch Testflüge herausfinden", sagt Pace. Der regulatorische Rahmen, unter dem die NASA arbeiten muss, drückt die kommerzielle Raumfahrzeugindustrie derzeit noch nicht. Doch das könnte sich schnell ändern. Ob es hier einen Mittelweg gibt, bleibt abzuwarten. (bsc)