Navigation im Schwarm

Mehr als eine Navigations-App für den Autoverkehr: Waze schafft ein rollendes soziales Netzwerk, das Verkehrsprobleme beseitigen und dabei noch Spaß machen soll.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 6 Kommentare lesen
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Tom Simonite

Mehr als eine Navigations-App für den Autoverkehr: Waze schafft ein rollendes soziales Netzwerk, das Verkehrsprobleme beseitigen und dabei noch Spaß machen soll.

In der Stadt Auto zu fahren, ist zu bestimmten Tageszeiten eine Qual. Dann steckt man in langen Schlangen vor roten Ampeln fest und ist überzeugt, dass es auf einer anderen Route schneller gegangen wäre. Eine neue Smartphone-App namens Waze will nun solche alternativen Wege mittels Navigation im Schwarm aufzeigen. Dabei dient jeder Nutzer als Datenquelle.

Während der Fahrt übermittelt er dem Waze-System laufend seine GPS-Positionsdaten und die momentane Geschwindigkeit. Zusätzlich sollen ihn aber Spielelemente und Netzwerk-Funktionen ermuntern, aktiv Informationen über Verkehrshindernisse oder Staus zu übermitteln. Die Idee an sich ist nicht neu – in Deutschland bietet der ADAC seit 2009 ein Smartphone-Programm an, das die Fahrdaten analysiert, und dem Nutzer bei einem Stau auf Knopfdruck die Übermittlung seiner GPS-Daten ermöglicht.

Waze geht noch etwas weiter: Der Dienst wertet die Positionsdaten in Echtzeit aus und berechnet für alle angeschlossenen User die augenblicklich günstigste Route. Die können sich auf der Navigationsansicht auch gegenseitig sehen (siehe Bild). Auf diese Weise werden sie gewissermaßen zu einem rollenden sozialen Netzwerk.

„Mit unserer App können wir die Erfahrung und die Intuition von vielen Fahrern zugänglich machen“, sagt Noam Bardin, CEO von Waze. Das israelisch-amerikanische Start-up mit Hauptsitz in Palo Alto hat bereits 2,6 Millionen Nutzer weltweit, davon 800.000 in den USA. In Deutschland geht Waze gerade an den Start.

Um Fahrer bei der Stange zu halten, vergibt die Firma Bonuspunkte für Kilometer, die mit eingeschalteter App zurückgelegt wurden, sowie für Hinweise auf Verkehrsprobleme. Eine Notiz etwa über Radarfallen oder Unfälle lässt sich am Steuer mit drei Tastendrücken erledigen. Nutzer können sich außerdem zu Gruppen zusammenzufinden, in denen ähnliche Routen gefahren werden, oder mit Freunden einen Wettkampf um die meisten Bonuspunkte starten.

Die seien nicht nur dafür da, dass die Leute Spaß haben, betont Di-Ann Eisnor, Community-Geographin bei Waze. „Wir nutzen sie auch für die Gewichtung eines Hinweises.“ Waze nimmt Routeninformationen von Nutzern mit höherem Punktekonto ernster als die von niedriger eingestuften.

Es seien gerade solche Elemente, durch die sich Waze von anderen Diensten abhebe, sagt Alex Bayen von der University of California in Berkeley. Er hat mit seiner Gruppe eine App entwickelt, die nur Verkehrsdaten sammelt. „Es gibt viele Quellen von Verkehrsinformationen, aber in keiner anderen App können sie sich während der Fahrt mit anderen Fahrern über Verkehrsprobleme austauschen.“

Die gängigen Navigationssysteme würden sich an Verkehrsmustern aus der Vergangenheit und ein paar spärlichen Straßensensoren für aktuelle Informationen orientieren, sagt Eisnor. Googles Navigations-App für Android-Telefone kombiniere solche Daten zwar schon mit den GPS-Signalen der Nutzer, biete aber weniger Möglichkeiten als Waze.

„Im Unterschied zu anderen Apps wird Waze auch genutzt, wenn die Leute gar keine Routenempfehlungen brauchen“, verrät Eisnor. Das sei bei 70 Prozent aller Waze-Touren der Fall: Die Nutzer würden die App nur anmachen, um wichtige Hinweise auf den Verkehr zu bekommen oder selbst welche in das Waze-Netzwerk einzuspeisen.

In Florida hat das System schon den Verkehrsfunk geändert. Nachdem der TV-Sender NBC-2 eine Waze-Gruppe für Pendler eingerichtet hatte, ging er bald dazu über, die Verkehrsnachrichten ausschließlich auf Informationen aus der Waze-Gruppe zu beziehen. „Der Sender hatte festgestellt, dass diese Informationen teilweise sogar besser waren als die Verkehrsdaten, für die sie bis dahin bezahlt hatten“, weiß Eisnor.

Um Nutzer zu ermuntern, auch in zuvor wenig befahrene Gebiete vorzustoßen und so die räumliche Abdeckung der Routenempfehlungen zu vergrößern, bietet Waze ein weiteres Spielelement an: die so genannten Road Goodies. Das sind kleine Symbole, die auf der Straßenkarte platziert werden. Wer auf der Waze-Karte über einen Road Goodie fährt, erhält ebenfalls Bonuspunkte. Tatsächlich würden manche Leute sogar Umwege fahren, um Punkte zu ergattern, erzählt Eisnor.

Mikel Maron, Entwickler und Vorstandsmitglied bei Open Street Map, kann dieses Verhalten durchaus nachvollziehen. „Wenn Leute anfangen, sich an der Kartierung von Open Street Map zu beteiligen, kann das süchtig machen: Sie wollen dann unbedingt mithelfen, weiße Flecken auf der Karte auszufüllen“, sagt Maron. Diese uneigennützige Motivation könnte auch bei Waze-Nutzern im Spiel sein, jedenfalls solange sie sich nicht im Klaren darüber seien, dass Waze mit ihren Daten auch Geld machen wolle.

Eine Einnahmequelle, an der das Start-up arbeitet, könnten Rabatte oder Coupons sein, die man auf der Waze-Karte anfahren und sammeln kann. „Wir machen im Moment verschiedene Experimente, um herauszufinden, welche Anreize funktionieren“, sagt Eisnor. Bei einem Versuch in San Francisco konnten die Fahrer kostenlose Konzertkasten einsacken, wenn sie über Werbe-Goodies fuhren.

Der Ehrgeiz, Geld zu sparen, müsse sich mit altruistischeren Motiven bei der Teilnahme an Waze nicht unbedingt beißen, findet Di-Ann Eisnor. Als nächstes wolle sie herausfinden, ob sich mit Starbucks-Gutscheinen Staus verringern lassen.

Berkeley-Forscher Bayen glaubt ebenfalls, dass Werbung und aktive Navigationshilfe zusammen passen. „Künftig könnte man sogar personalisierte Anreize setzen, eine andere Route zu fahren und so Autobahnen staufrei zu machen“, sinniert Bayen. „Sowohl Fahrer als auch Werbetreibender hätten etwas davon, und zugleich wäre dem Allgemeinwohl gedient.“ (nbo)