Smartphone auf Rädern

Bislang galt das Auto als einer der letzten internetfreien Räume. Nun bringen etliche Autohersteller das Web ins Fahrzeug und versprechen praktische Anwendungen.

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Lesezeit: 14 Min.
Von
  • Chris Löwer
  • Gordon Bolduan
Inhaltsverzeichnis

BMW-Entwickler Marc Bechler nimmt es mit dem Slogan des bayerischen Autobauers "Freude am Fahren" ziemlich ernst. So ernst sogar, dass er auch noch Freude am Stehen vermitteln möchte. Sein Team macht sich darüber Gedanken, wie lästige Ampelstopps durch Internetanwendungen kurzweiliger werden können. Bechler hat "Mikropausen-Apps" im Sinn, mit denen sich selbst zehn Sekunden durch Nachrichten oder Videoclips überbrücken lassen. Und zwar ohne dass der Fahrer etwas dafür tun müsste. Denn eine speziell ausgerüstete Ampel sendet verschlüsselt über Funk an das Fahrzeug, wie lange die Rotphase noch dauern wird. Sobald die Räder stehen, spielt das intelligente Infotainment-System die passenden "Mikropausen-Apps" in das Kombi-Instrument im Armaturenbrett ein. Die Forscher denken sogar darüber nach, die Fahrer mit Minispielen wie Pacman oder Flipper zu erfreuen. Ob man das wirklich braucht?

In einem Stau steckend, würde sicherlich kein Fahrer den Zugriff auf solche Online-Dienste ablehnen. Autohersteller hegen und pflegen schon seit mehreren Jahren die Idee, dass Manager im Auto E-Mails beantworten, Teenager über das Internet telefonieren und Familienväter ihre Kinder auf dem Rücksitz mit Videoclips aus dem Internet und spontan heruntergeladenen Hörbüchern besänftigen könnten. Diese Vision rückt nun in greifbare Nähe. Fahrzeugindustrie, Betreiber von Mobilfunknetzen und IT-Konzerne wollen das Auto in ein rollendes Online-Terminal verwandeln, um auf diese Weise den "letzten weißen Flecken des Internets", so Ralf Lenninger, Manager des Autozulieferers Continental, zu schließen. Dabei ist man sich auch nicht zu schade, Erfolgsmodelle aus der Mobilfunk-Industrie wie herunterladbare Mini-Programme (Apps) und sogenannte App Stores auf die Autowelt zu übertragen.

Seit Jahren findet immer mehr Unterhaltungselektronik den Weg in den Pkw. Erst wollten Fahrer und Insassen neben Radio auch CD hören, dann sollte Musik auch in Form der im Internet immer beliebter werdenden MP3- Dateien abspielbar sein. Autohersteller reagierten darauf, indem sie spezielle Betriebssysteme für das sogenannte In-Vehicle-Infotainment entwickelten, um diese Funktionalität nicht auch noch in die immer komplexeren Bordelektronik-Systeme packen zu müssen. Doch da jeder Hersteller dazu überging, sein eigenes System zu realisieren und somit auch Kosten und Aufwand allein schultern musste, kommt die Autoindustrie bis heute den rasanten Entwicklungen im Bereich der Unterhaltungselektronik nicht hinterher. Der nächste logische Schritt, Internet-Empfang im Auto zu ermöglichen, wurde zudem durch langsame und vor allem teure Funkverbindungen erschwert.

Das hat sich nun geändert. Mobiles Internet wird durch Flatrates immer erschwinglicher und ist auch nahezu an jedem Ort empfangbar. Long Term Evolution (LTE) übertrifft als Nachfolger des Mobilfunkstandards UMTS mit einer Datenübertragungsrate von 75 Megabit pro Sekunde teilweise sogar schnelle DSL-Leitungen, über die PC und Laptop mit dem Internet verbunden sind. Damit lassen sich dann schon sehr komfortabel Videoclips aus dem Internet auf den Minibildschirm im Auto laden oder auch Programme mit Updates versorgen.

Natürlich haben sich auch die Fahrer verändert. Die Möglichkeit, überall und jederzeit online zu gehen, wird heutzutage als Selbstverständlichkeit angesehen. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass 55 Prozent der vom deutschen Marktforschungsinstitut Tema-Q befragten Fahrer angeben, ihr nächstes Auto solle über einen Internetanschluss verfügen.

Schon jetzt will kaum ein Autohersteller seine Modelle im Offline-Modus lassen. BMW stattet bereits unter dem Label BMW Online die Modelle BMW 1er, BMW 3er, BMW 5er, BMW 6er und BMW 7er mit internetbasierten Diensten aus, die weit über das einfache Surfen hinausgehen. BMW-Besitzer können sich laut Aussage des Herstellers freie Parkplätze anzeigen und die Wettervorhersage dreidimensional darstellen lassen oder auch gezielt nach dem Kurs der eigenen Aktienpapiere suchen. Auch das vollständig internetbasierte Infotainmentsystem myCOMAND von Mercedes-Benz hat bereits erste Praxistests erfolgreich absolviert. Es berücksichtigt bei der Routenwahl auch die im Internet verfügbaren Informationen, zeigt Wetterbedingungen und Hotelangebote entlang der Strecke und bietet Telefonieren und Radioempfang über das Internet an.