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Was war. Was wird.

Käpt'n Blaubär? Ach, der erzählte noch Lügengeschichten, die wenigstens Spaß machten, schwärmt Hal Faber. Das geneigte Publikum aber kommt sich vor wie Hein Blöd. Wer hat gesagt, dass das alles einfach ist?

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Zugegeben, dieses Datum ist etwas entlegen, aber dennoch eines von den vielen Denktagen, die im allwöchentlichen Getöse schnell untergehen. Heute vor 99 Jahren pflanzte Helen "Nellie" Taft, die First Lady der USA, zusammen mit Prinzessin Chinda, der Frau des japanischen Botschafters in Washington, die ersten Kirschbäume. Die Setzlinge waren Ableger der schönsten Bäume Japans. Die Idee eines völkerverbindenden friedensfördernden Kirschblütenfestes war geboren, auch wenn dies heute etwas naiv klingt. Nachdem im II. Weltkrieg die Bäume in Tokio im Bombardement verbrannt waren, schickten die USA ihrerseits Tausende von Setzlingen in ihre Heimat zurück. Heute fällt das Kirschblütenfest aus. Japan hat andere Probleme, auch wenn der Wind dieser Tage günstig für Tokio steht. Ganz gleich, ob die Fukushima 50 eine Legende sind und zwangsrekrutierte Obdachlose der kitschblühenden Fantasie der Berichterstatter live "vor Ort" in Osaka sind, diesen dort zwischen den Meilern arbeitenden Menschen gebührt Hochachtung.

*** Ein Blick auf die deutschen Verhältnisse fördert dieses Gefühl nicht, wenn man die Reaktionen auf einen angeblichen Protokollfehler betrachtet, der nichts mit dem bekannten Problem des Windows-7-Clients zu tun hat, sondern ein Abschreibefehler sein soll. Komplett mit einem Bitdreh-Management der ausgefeilten Sorte. Seit Käpt'n Blaubär ist bekannt, dass im Walkampf gerade die dicken Tiere jede Finte ausprobieren. So gesehen entbärt es nicht der Komik, wenn der andere Dicke, der Pop-Beauftragte und Ex-Umweltschutzminister "Siggi" von der SPD erklärt, dass heute Politiker auffliegen, wenn sie beim Aussprechen der Wahrheit ertappt werden. Auch dieser Mann hatte dereinst erklärt, dass der Ausstieg aus dem Atomprojekt viel Zeit brauchen wird und nur mit der protokollarisch lügenden Atomindustrie zu machen ist. Wir können nicht einfach aussteigen? Ja, ist das denn die Möge? Sieht es in Wahrheit nicht ganz anders aus? Deutschland kann abschalten – und muss sich dennoch die nächsten 10.000 Jahre um den Müll kümmern, den dieser Irrweg produziert hat: Niemand hat gesagt, dass dies einfach ist.

*** Nun denn: Im Heimatland von unserem Versprecherle wird heute gewählt und gezählt, begleitet von seltsamen Kommentaren über den urschwäbischen Liberalismus. Wie der aussieht, verdeutlicht am besten die Tatsache, dass Schwule und Lesben nicht auf den Standesämtern heiraten dürfen, sondern zur KFZ-Zulassungsstelle müssen. Wer trotz Fukushima und Stuttgart 21 noch unentschieden ist, welcher Einsatz von Wasserwerfern besser ist, wer sich lieber am vertrauten Turnrahmen der IT festhalten will, kann in den Wahlprüfsteinen nachlesen, wer Computer für Teufelszeug hält und EnBW toll findet. Sie gibt es auch für Rheinland Pfalz, wo eine Deutsche Weinkönigin gegen den Schutzpatron der Frisöre antritt. Mittendrin bei dieser Wahl ist Brücke 21: Der weinpanschende Hochmoselübergang, der quasi umsonst aus Mautgeldern entstehen soll. Achja, die Maut: In dieser Woche wurde das Vorhaben, die Maut auf alle mehrspurigen Bundesstraßen auszudehnen, nach allen Regeln der Kunst geschlachtet und halbiert. Die Südpfalz und die Badener mit den französischen Alternativrouten sollen dies als Wahlgeschenk sehen. Andererseits gibt es Nachrichten, dass das notwendige Datenmaterial zu den Bundesstraßen schlicht nicht in den begrenzten Arbeitsspeicher der On-Board-Units passt, die in den LKW verbaut sind.

*** In Libyen wird weiter gekämpft, in Afghanistan wird angetreten. Die NATO übernimmt unterdessen die Überwachung des Flugverbotes, mit deutscher Zustimmung. Warum man hier zustimmen konnte – und sich nicht an der Aktion beteiligt –, bei der UN sich aber enthalten musste, entzieht sich jeder Logik und deutet auf einen schweren Fehler bei der Programmierung des politischen Compilers hin. Nach dem Auftauchen der passenden Überwachungs-Software in Ägypten zeichnen sich interessante Verbindungen ab: Der ägyptische Narus-Distributor Giza Systems besorgte für Libyen die Installation und den technischen Support des Schnüffeltools, beim kippelnden Bahrein soll sich Software von McAfee um die aufmüpfigen Bürger im Datennetz kümmern. Auch Cisco soll sich als Enabler mit seiner eigenen Variante der Deep Packet Inspection auszeichnen. Nimmt man zu diesen Hinweisen die etwas verschwurbelte Geschichte von der chinesischen computerisierten Wort-Zensur, so kommen wir ans Ende der Geschichte, wo Kommunismus, Kapitalismus und die eine oder andere Monarchie sich nichts schenken in der Bevormundung ihrer Bürger. Dass, wie in dieser Woche von Venezuelas Präsident Hugo Chavez behauptet, der Kapitalismus und der nachfolgende Imperialismus alles Leben auf dem Mars ausgelöscht haben, ist bis auf weiteres noch Spekulation.

*** Liz Taylor ist gestorben. Warum darüber langatmige Geschichten schreiben, wenn ihre Bilder mehr als 1000 Worte sagen?

*** Jeder Mensch ist mal alleine, sangen die Straßenjungs, "und greift dann zur Wikipedia", ergänzen wir heute, aufgeklärt durch die im Rotweinsuff eines Einsamen entstandene Geschichte über Stalins Badezimmer. Hoffentlich ermuntert sie Journalisten, beim "Fact-Checking" niemals Wikipedia allein zu vertrauen. Jeder, der sich in einem Spezialgebiet sein Wissen erarbeitet hat, kennt das Gefühl, wie sich beim Lesen von Wikipedia-Artikeln die Nägel aufrollen. Dieses moderne Misstrauen ist wunderbar, besonders wenn sie mit auserlesenem Blödsinn ergänzt wird. So gibt es allen Ernstes noch Leute, die im Murmeln der Diskurse von einem eigenen Ich reden, getoppt von Geistesverwandten, die dieser ihrer Fiktion auch noch eine "Ehre" andichten. Das Publikum noch stundenlang wartete auf Amüsenmang.

*** Richtig bitter ist es diese Woche geworden, als neben dem lustigen De-Mail-Projekt (IIEA oder "Ich ist ein anderer) auch der Beschäftigten-Datenschutz verhandelt wurde. Die entsprechenden Vortragsfolien und Inhalte wurden von den Vortragenden unter derart strikten Verbotsregeln gestellt und mit schriftlichen Zitiergenehmigungen und Verboten für Journalisten ummantelt, dass an dieser Stelle nur in Märchenform berichtet werden darf. Nehmen wir die Geschichte vom Aschenputtel. Das arme Mädchen arbeitete in der Küche eines Schlosses, musste aber anderweitig aushelfen und mit dem notgeilen Prinzen tanzen. Damit das königliche Management immer wusste, wo Aschenputtel im Einsatz war, musste sie einwilligen, dass bei Abwesenheit am Küchenarbeitsplatz alle E-Mails zu einer Aufsichtsperson weitergeleitet werden: Alle E-Mails sind dienstlich. Aschenputtel hat keine Privatsphäre nach dem deutschen Recht. Wenn eine gute Fee, ein Schlossbetriebsrat oder der Burgarzt ihr vertrauliche Mails schicken, darf die Aufsichtsperson dem Gesetz zufolge mitlesen. Nehmen wir Rotkäppchen: Sie muss durch den Wald gehen, mit dem Korb voller Essen für die Großmutter. Im Korb: ein Handy, das den aktuellen Standort, die Termine und die geführten Gespräche insgeheim mitprotokolliert. Programmiert hat das Handy ein Informatiker-Wolf mit der erklärten Absicht, Rotkäppchen in der freien Wirtschaft zu vernaschen. Der Versuch von Rotkäppchen, sich gegen den Schnüffelfunk zu wehren, wird unter Berufung auf die Freiheit der Forschung und Lehre niedergeschlagen. Der IT-Wolf, der über das Ausspionieren per Smartphone eine glänzende Abschlussarbeit anfertigte, ist nun Cheftechniker eines Pharmakonzerns, der alle Mitarbeiter im Stil von Rotkäppchen überwacht.

*** Igitt, Märchen? Wie wäre es denn mit Fantasy? Da wäre das dunkle Reich Mordor, in dem es laufend blitzt und grummelt. Wer hier einreisen will, muss sich prüfen lassen. Es gibt Dutzende von Listen, die die Heimatsicherheit des lieblichen Fleckens Mittelerde garantieren. Deutsche Firmen, die als bevorzugte Handelspartner des schwarzen Landes gelten wollen, müssen die Daten all ihrer Mitarbeiter mit diesen Listen abgleichen. Widerspruch ist zwecklos und wer gar Mitarbeiter oder die Betriebshobbits von dieser Praxis informiert, wird ohne Gnade von Barad-V-Gur gedingsbumst. Unwahrscheinlich? Dann bleibt nur noch die Flucht in den Horror mit Buffy, dem freundlichen Datenschutzvampir: In unserer scheinbar heilen Welt haben die Halsabschlecker den Bluttest eingeführt, der in vielen Firmen längst zum Standard bei Einstellungsverfahren geworden ist, mitunter gar beim Praktikum verlangt wird. Wer nicht fast freiwillig einwilligt, hat keine Chance, im Bewerbungsverfahren ein Feld weiter zu rücken. Die Tests sind offiziell nicht erlaubt, aber in vielen Betrieben an der Tagesordnung. Erlaubt ist übrigens das Googlen von Bewerben mit der Einschränkung, dass in sozialen Netzwerken nur nachgeschaut werden darf, wenn die Firma selbst ein soziales Netzwerk betreibt. Worunter übrigens im Zeitalter von Instant Messaging jedes größere Firmennetzwerk zählt, worauf Dr. Acula lächelnd hinweist. Noch ein Tröpfchen, bitte.

Was wird.

Ist der Appetit vergangen? Dann bleiben hier an dieser Stelle nur ein paar kleine Hinweise aus dem aktuellen Veranstaltungskalender übrig. An diesem Wochenende haben etwa 44.000 deutschen Journalisten und Journalistinnen Post aus Bielefeld bekommen. Der Inhalt: ein kleines Stempelkissen und ein fetter, dicker Stempel, der BEZAHLT auf alle Rechnungen knallt. Dahinter steckt ein Factoring-Dienst der Deutschen Post, der Journalisten sofort die Honorare bei Ablieferung eines Artikels auszahlt. Angesichts der durchweg miserablen Zahlungsmoral deutscher Verlage, Offline wie Online (der Heise-Verlag ist hier ausdrücklich eingeschlossen), sieht das wie ein schnuckeliges Angebot aus, was "Die Redaktion" da mit anbietet – bis man die Gebührenseite erreicht hat: 30% fließen beim Forderungsmanagement an "Die Redaktion", die "Journalismus-Börse" der Deutschen Post. So etwas kann nur aus der Stadt kommen, in der Backin! entstand: Jeder Artikel gelingt.

*** In Bielefeld (ha!) findet übrigens am 1. April (haha!) in der Hechelei (haha, hu, das ist echt nicht mehr witzig) die eins!elf!Fte Verleihung der Big Brother Awards Deutschland statt. Ein märchenhafter Termin für alle, die längst das Aprilrätsel in der c't gefunden und gelöst haben. Für alle, die diese Stadt nicht finden wollen, gibt es eine verschwörungstheoretisch interessante Alternative: An diesem Freitag erscheint weltweit die Autobiographie des Wikileaks-Weißkopfes Julian Assange und klärt über drängende Fragen auf: Das Universum, die Katzen, der Laberkäse und der ganze Rest. Weltexklusiv gibt es ausgrechnet in Deutschland einen besonderen Buch-Überschuss: Zeitgleich mit Assanges Erinnerungen erscheint die übersetzte Version von Underground, ein Buch voll schöner Märchen. Nur besser erzählt, als diese kleine Wochenschau es leisten kann. (jk)