Nicht nur Larry Flynt hatte etwas gegen eine Rotlicht-Domain

Der Hustler-Gründer befürchtete die Online-Ghettoisierung der Porno-Branche. Großbritannien wollte ICANN für die Einhaltung der .xxx-Regelungen verantwortlich machen, während die USA, die die ICANN-Aufsicht haben, bei ihren grundlegenden Bedenken blieben.

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Von
  • Monika Ermert

Ein ganzer "Flickenteppich" von Gründen hat zur Ablehnung der Rotlichtzone im Netz geführt, sagte in einer Pressekonferenz der Präsident der Internetverwaltung Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN), Paul Twomey. ICANNs Direktoren hatten mit neun gegen fünf Stimmen gegen einen Vertrag mit der ICM-Registry gestimmt, die eine .xxx-Domain speziell für die Erotikbranche anbieten wollte. Twomey nannte Kritik aus den Reihen der Erotikbranche, etwa vom Hustler-Gründer Larry Flynt, aber auch eine Eingabe der britischen Regierung als Gründe.

Die Erotikbranche hatte unter anderem befürchtet, dass der Start einer Erotikzone den Einstieg in eine zwangsweise Ghettoisiserung bedeuten würde. Das Gewicht der Regierungen bei der Entscheidung dürfte allerdings überwogen haben. Die britische Regierung habe klar gemacht, erklärte Twomey, dass sie ICANN in der Verantwortung sehe, die von ICM vertraglich zugesicherte Politik innerhalb des virtuellen Rotlichtviertels auch durchzusetzen. "Wenn die Registry selbst die Verpflichtungen nicht einhalten könne, sollte ICANN dafür sorgen", beschreibt Twomey den britischen Standpunkt. Diese Verantwortung wollten sich die ICANN-Direktoren nicht ans Bein binden lassen – und noch weniger, jeweils nationales Recht in der Pornographie-Domain zu berücksichtigen. Weitere Bedenken, die die Direktoren laut Twomey bewegten, waren unter anderem Unstimmigkeiten zwischen Zusagen von ICM und dem schlussendlichen Vertragstext.

Erstaunt zeigte sich Twomey über Äußerungen des Sprechers von Medienkommissarin Vivianne Reding. Er hatte in einer ersten Reaktion laut Medienberichten von einer US-Einflussnahme auf die .xxx-Entscheidung gesprochen: "Wir sehen hier einen ersten klaren Fall politischer Einflussnahme." Es sei bedenklich, dass die US-Regierung sich in den Prozess eingemischt habe. Der Vorgang zeige die Dringlichkeit der vollständigen Privatisierung von ICANN, deren Vertrag mit dem US-Handelsministerium in diesem Jahr ausläuft – bislang hat die US-Regierung noch die Oberaufsicht, was auf dem internationalen Parkett immer wieder zum Zankapfel wird. Der EU-Sprecher habe wohl übersehen, kommentierte Twomey nun, dass auch die britische, die dänische, die schwedische und die brasilianische Regierung interveniert hätten. Schließlich hat die Kommission sich selbst mehrfach an ICANN mit Bedenken zur Rotlicht-Domain gewandt. Zuletzt hatte die EU versucht, ICANN darauf festzunageln, dass man Verhandlungen mit ICM erst gar nicht hätte starten dürfen, da die eigenen Gutachter bei der Erstevaluation davon abgeraten hätten.

Die Sonderrolle der US-Regierung als dem Beteiligten, der das letzte Wort über die Einführung einer Domain in die DNS-Rootzone hat, sei für die Entscheidung nicht von Bedeutung. "Entscheidend in unserem Prozess ist entsprechend unseren Regelungen die Stellungnahme des Regierungsbeirats als Ganzes", meinte Twomey. Die für ICANN zuständige US-Handelsministeriumsbehörde National Telecommunications and Information Agency (NTIA) hatte ihre jüngsten Bedenken zur .xxx-Domain denn auch über den Regierungsbeirat geltend gemacht – dieses Mal ganz regelgerecht und anders als in ersten Brandbriefen an die ICANN, die im vergangenen Jahr bereits drauf und dran war, die Einführung der .xxx-Domain zu verabschieden. "Der Regierungsbeschluss zu den Bedenken gegen ICM war ein Konsensbeschluss", sagte Twomey. ICANN sei auf seine Unabhängigkeit von einer einzelnen Regierung sehr bedacht. Mit einer positiven Entscheidung für .xxx hätte die ICANN allerdings zum ersten Mal vor der Situation stehen können, dass die NTIA einen ICANN-Beschluss nicht in die Tat umgesetzt hätte: Wie dieser Präzedenzfall ausgegangen wäre, hätte sicherlich große internationale Aufmerksamkeit gefunden.

Wie blank die Nerven im ICANN-Vorstand zu liegen scheinen, zeigt eine Art Stillschweigeabkommen für die Vorstandsmitglieder. Erst 48 Stunden nach der Sitzung will ICANN Einzelstellungnahmen der Direktoren veröffentlichen. Während offiziell Sprachschwierigkeiten als Begründung für diese erstmals bei der Verabschiedung des .com-Vertrags mit Verisign angewandte Regel angegeben werden, sprachen Journalisten in der Pressekonferenz von einer Maulkorb-Regelung: Bis die Statements der gegen den Mehrheitsbeschluss stimmenden Direktoren online sind, ist der Nachrichtentross meist weitergezogen. ICANN-Direktor Veni Markowski, der sich für .xxx ausgesprochen hatte, teilte auf Anfrage von heise online allerdings seine Hauptbeweggründe mit. "Erstens denke ich, es müsste mehr neue Top Level Domains geben", betonte Markowski. "ICANN sollte jedes Jahr neue TLDs verabschieden. Zweitens hatte ich schlicht darüber zu entscheiden, ob der vorgelegte Vertrag die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt. Ich war der Auffassung, dass ICM wirklich auf alle Briefe, Kommuniqués und sonstige Äußerungen reagiert hat. Sie haben praktisch jede vorgeschlagene Änderung akzeptiert. Die einzigen Vorschläge, auf die sie nicht eingegangen sind, sind die, die sie nicht kannten. Schließlich sehe ich es auch als meine Aufgabe, schädliche Inhalte von meinen Kindern fern zu halten."

Erst kurz vor der Abstimmung ging etwa die letzte britische Stellungnahme ein. Auf diese konnte ICM also nicht mehr reagieren. ICM-Präsident Stuart Lawley teilte nach der Niederlage auf Anfrage von heise online mit: "Wir sind sehr enttäuscht über die Entscheidung des Vorstands, und auch darüber, dass die Presse sogar vor uns informiert wurde. Erst einmal warten wir noch auf den Text des Vorstandsbeschlusses, bevor wir über weitere Schritte entscheiden." Laut Twomey stehen ICM mehrere Berufungsverfahren offen, etwa ein so genannter interner Reconsideration Request. Bislang wurde solchen Anträgen allerdings noch nie stattgegeben. ICM Registry kann allerdings auch noch eine externe Schlichterstelle anrufen. (Monika Ermert) / (jk)