BKA-Chef drängt weiter auf Vorratsdatenspeicherung

Auf einer Tagung des Verbands für Sicherheitstechnik bezeichnete Jörg Ziercke Alternativen zur Vorratsdatenspeicherung wie das Verfahren "Quick Freeze" als "Schattenboxen".

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Von
  • Detlef Borchers

Mit einem eindringlichen Appell, die sechsmonatige Vorratsdatenspeicherung wieder einzuführen, begann und endete der Vortrag des BKA-Chefs Jörg Ziercke über "Aktuelle Bedrohungslagen in den neuen Medien" auf der Jahrestagung des Verbandes für Sicherheitstechnik in Leipzig. Nach Angaben von Ziercke ermittelte das Bundeskriminalamt im vergangenen Jahr in 5200 Verdachtsfällen eine IP-Adresse, bekam aber in 87 Prozent der Fälle keine Auskunft darüber, wer hinter der Adresse steckte. [Update: Auf diese Zahlen war der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung in einem Bericht (PDF-Datei) kürzlich kritisch eingegangen.]

"Wir brauchen die Verbindungsdaten bei den Providern. Das Bundesverfassungsgericht hat gerade dazu seitenlange Ausführungen gemacht, was die Provider zu tun haben und was nicht. Wir müssen drauf vertrauen, dass sie die Daten geschützt speichern und die 99,9 Prozent wieder löschen, die wir nicht brauchen", sagte Ziercke. Die Daten zu haben sei nicht illegal und bedeuteten keine "Überwachung" à la "Big Brother". Die Verbindungsdaten seien wichtig, um ein Lagebild gewinnen und reagieren zu können. "Auch ich möchte nicht in einem Staat leben, der schon von den Kindern die DNA nimmt. Das ist eine absurde Vorstellung", sagte Ziercke, nachdem er über die Bedrohung durch Terrorismus, Skimming, Phishing und Stuxnet gesprochen hatte.

Alternativen zur Vorratsdatenspeicherung wie das Verfahren "Quick Freeze" und das vom Datenschutzbeauftragten Peter Schaar vorgeschlagene "Quick Freeze Plus" bezeichnete Ziercke als "Schattenboxen". Die Speicherdauer von sechs Monaten sei notwendig, um Netzwerkstrukturen des Terrorismus nachvollziehen zu können. Das Bundeskriminalamt sei keine Bundessammelstelle für die Daten aller Bürger, betonte Ziercke. Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichtes seien kein Hinweis darauf, dass deutsche Bürger die Vorratsdatenspeicherung ablehnten.

Ziercke verwies auf die Praxis und Möglichkeiten des US-amerikanischen FBI, das Daten in ungeahntem Ausmaß speichern, Server "umlenken" und Stoppschilder aufbauen könne. Dies sei unvorstellbar in Deutschland, wo er beim ersten Stoppschild seinen Job loswerden würde, meinte Ziercke. Aus besagter Umlenkungs-Aktion gewann das FBI nach seinen Angaben 60.000 IP-Adressen aus Deutschland "und wir konnten nichts dazu sagen".

[Update: Nach Angaben von Ziercke leben in Deutschland derzeit 125 islamistische Gefährder, von denen 110 paramilitärisch ausgebildet wurden. 40 von diesen hätten wiederum an Kampfhandlungen teilgenommen. Rund um diese extrem gefährlichen Personen gebe es 280 relevante Personen aus 15 bis 16 unterschiedlichen Organisationen, die logistische und personelle Hilfen leisten könnten. Das Gesamtspektrum der islamistischen Szene bezifferte Ziercke auf tausend Personen. Ziercke berichtete von Gesprächen mit Vertretern verschiedener Organisationen über die Frage, wie ein "europäischer Islam" gelehrt werden könnte, der an die Gläubigen als aktive Staatsbürger appelliert, dass sie Verdächtige melden, wie dies Bundesbürger tun, die sich mit ihrem Staat identifizieren.]

Rainer Griesbaum, Abteilungsleiter Terrorismus bei der Generalbundesanwaltschaft, beklagte, dass die Ermittler "immer einen Schritt zurück" seien. Er wünsche sich eine gesetzliche Lösung, um "nicht auf das Verschieben von Informationen in den Grauzonen angewiesen zu sein". Das Justizministerium müsse seine Hemmungen überwinden. "Wir setzen auf leise Töne, auf Gespräche mit den Fachleuten, auf das Überzeugen durch Fakten und auf den kleinen Dienstweg zum Ministerium," erklärte Griesbaum, der ständiger Vertreter des Generalbundesanwaltes ist.

Auf der Jahrestagung der Sicherheitstechniker wurden an zwei Tagen Themen wie zum Beispiel die bauliche Absicherung von Gefängnissen und Psychiatrien, das Bewältigen von Krisenlagen in Schulen und die Korruptionsbekämpfung in Behörden und Unternehmen behandelt. Über 60 Firmen zeigen Schließ- und Zutrittslösungen und die neuesten Trends bei der Videoüberwachung. Hier setzt die Branche auf intelligente Systeme, die die Bilderflut kanalisieren und mit Algorithmen nach verdächtigen Bewegungen oder stehen gelassenen Gegenständen fahnden und dann nur diese Bilder dem Operator im Kontrollzentrum präsentieren.

Noch in den Kinderschuhen steckt dabei die Arbeit an der "blickinduzierten Videotechnik": Ein geschulter Operator kann beim Schwenk über die Fankurve beispielsweise die 10 oder 15 Personen erkennen, die bei einem Fussballspiel als Anstifter beobachtet werden müssen. Anstatt nun diese Personen mit Mausklick zu markieren oder auf sie zu zoomen, sollen Kameras am Monitor allein am Blick des Operators erkennen, welche Bildbereiche verschärft beobachtet werden müssen. (anw)