US-Industrie verliert Geduld bei Reform des EU-Patentsystems

Vertreter von US-Konzernen wie Microsoft, General Electric oder Time Warner fordern nachdrücklich eine Harmonisierung des Patentwesens auf dem alten Kontinent inklusive einem Schutzanspruch auf Software.

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Vertreter von US-Konzernen wie Microsoft, General Electric (GE) oder Time Warner haben auf dem von Premier Cercle organisierten "IP Summit" (Intellectual Property Summit) in Brüssel nachdrücklich eine Harmonisierung des Patentwesens auf dem alten Kontinent inklusive der Gewährung von Schutzansprüchen auf Software gefordert. "Die Zeit für Geduld in dieser Angelegenheit ist vorbei", platzte der aufgestaute Ärger über die mangelnde "Reformfähigkeit" Europas aus Marshall Phelps heraus. Der bei Microsoft für Fragen des geistigen Eigentums zuständige Manager erklärte, dass man Wege zu einer besseren Effizienz des europäischen Patentsystems "immer und immer wieder debattieren kann." Aber wenn sich die europäischen politischen Entscheidungsträger in der erlahmten Diskussion über ein Gemeinschaftspatent nicht einmal auf Sprachgruppen einigen könnten, in welche Ansprüche auf EU-weite gewerbliche Schutzrechte übersetzt werden müssen, seien sie weit entfernt von jeglicher Verbesserung des Systems.

Microsoft ist laut Phelps eine Firma, für die geistiges Eigentum mehr oder weniger "alles" bedeute: "Wir besitzen jetzt rund 16.000 Patente und werden jedes Jahr 3000 weitere beantragen. Das wird uns zu einem großen Kunden der wichtigsten Patentämter in der Welt machen." Daher zeigte sich Phelps "frustriert" über die allenfalls schleichenden Fortschritte bei der Harmonisierung der Patentsysteme im globalen Rahmen. Ihm schwebt ein Verfahren vor, in dem eine einmal in einem Land durchgeführte Patentprüfung weltweit anerkannt wird. "Wahnsinn" sei es aber vor allem, "dass man 16 Übersetzungen für ein EU-Patent benötigt". Es sei "bemerkenswert", dass Europa sich in diesem Sektor nicht "wettbewerbsstärker" erweise im Vergleich etwa zu den USA.

Gleichzeitig versuchte Phelps Bedenken auszuräumen, dass der Softwaregigant sich zu einem "Hai" bei der Durchsetzung von Patenten entwickeln und verstärkt Klagen in diesem Bereich anstrengen werde. Der Fokus liege auf der Lizenzierung patentrechtlich geschützter Erfindungen, wobei man vor allem auf den Aufbau von Beziehungen mit Lizenznehmern aus sei. Dies könne aber nur auf der Basis eines "soliden Systems zum Schutz geistigen Eigentums" erfolgen. Er kritisierte daher Bestrebungen, "einfach die Türen zu öffnen und alles umsonst herauszugeben". Dabei handle es sich höchstens um eine einzelne "Vitaminpille" für die Volkswirtschaft, hinter der es eine zweite nicht mehr gebe.

Der Chefjustiziar für geistiges Eigentum beim US-Mischkonzern GE, Todd Dickinson, stieß ins gleiche Horn. Das Regulierungsumfeld für Patente in den USA bezeichnete er "für uns US-basierte Firmen" als gespickt mit "Herausforderungen". Völlig unverständlich bleibe, dass es in Europa materielle Grenzen beim Schutz von Erfindungen in den Bereichen Bio- und Nanotechnologie sowie Software gebe. "Wir wollen mehr Forschung und Entwicklung hier vorantreiben", verkündete Dickinson. "Aber wenn wir unsere Software hier nicht schützen können, ist das ein Problem." Es sei zudem befremdlich, dass sich die Europäer zwar auf eine gemeinsame Währung, nicht jedoch auf ein gemeinsames Patent einigen konnten. Zumindest müssten das Londoner Übereinkommen zur Reduzierung der Übersetzungskosten bei Patentanträgen sowie das European Patent Litigation Agreement (EPLA) zur besseren Durchsetzung gewährter Monopolansprüche bald unterzeichnet werden. Im Blick auf das US-Patentsystem räumte Dickinson ein, dass es dort "Bedenken wegen sinkender Qualität gibt".

Claudio Murri, Vorstandsvorsitzender American Chamber of Commerce (Amcham) in Europa und Experte für geistiges Eigentum bei Time Warner, beklagte ebenfalls, dass Europa bei Patenten den USA "weit hinterherhinke". Das beziehe sich nicht nur auf die Zurückhaltung bei der Vergabe von Softwarepatenten. Besonders enttäuschend sei es auch, dass die EU-Minister sich einem "besseren Streitregelungssystem" über das EPLA in den Weg stellen würden. Murri bezog sich damit vor allem auf die Haltung Frankreichs beim jüngsten Ratstreffen der EU-Justizminister. Die Franzosen hatten moniert, dass es Inkompatibilitäten zwischen dem vom Europäischen Patentamt (EPA) vorgeschlagenen EPLA und dem EU-Gemeinschaftsrecht gebe. Kritisiert wird das Streitregelungsübereinkommen auch, weil sich damit Hintertüren für die Sanktionierung von Softwarepatenten und die weitgehende Vergabepraxis des EPA über ein nur schwer kontrollierbares übergeordnetes Patentgericht öffnen könnten.

EU-Binnenmarkt-Kommissar Charlie McCreevy, der im September eine Patentoffensive rund um das EPLA angekündigt und sich nun enttäuscht über die Blockade im EU-Rat gezeigt hatte, rief die Mitgliedsstaaten zu einem raschen gemeinsamen Vorgehen auf: "Wir müssen einen glaubwürdigen Vorschlag vorantreiben, nicht miteinander konkurrierende Ideen." Seine Hoffnung setzte er auf die deutsche Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007. Ihr obliege es, einen Weg zu finden, "sodass die Mitgliedsstaaten mit einer Stimme sprechen". Wenn es einen Willen zur Reform des Patentsystems gebe, weise sich auch ein Weg. Er werde aber nicht weiter seinen Kopf "gegen eine Wand aus Steinen hämmern", wenn sich kein Kompromiss herauskristallisiere.

Gleichzeitig betonte der Kommissar, dass bei allen von ihm gemachten Vorschlägen für Adaptionen im Bereich der Patentrechtsprechung die Qualität der Vergabe gewerblicher Schutzrechte in Europa weiter von "höchster Bedeutung ist". Missbrauch des Systems etwa über "Patent-Trolle" müsse ausgeschlossen bleiben und auch alternative Streitregelungsverfahren über Schiedsstellen für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) geschaffen werden. McCreevy kündigte nun an, die anstehende Mitteilung seiner Behörde für geistiges Eigentum 2007 besonders auf KMU auszurichten. Damit will er das Bewusstsein im Mittelstand für die Bedeutung von Patenten stärken und Vorschläge zur internationalen Durchsetzung der Monopolansprüche machen.

Zum Patentwesen sowie zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente und um die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computer-implementierter Erfindungen" siehe den Online-Artikel in "c't Hintergrund" (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):

(Stefan Krempl) / (jk)