Was war. Was wird.
Wenn das Vorpixel zum Vollpixel und Faust zum Bobo 2.0 wird, ist die Welt gerettet. Oder doch nicht? Vielleicht sollte das BKA nachgucken, irgendein PC wird schon so löchrig sein, dass auch Beamte Online-Durchsuchungen hinbekommen, empfiehlt Hal Faber.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
Die eine will sich von der andern trennen;
Die eine hält, in derber Liebeslust,
Sich an die Welt mit klammernden Organen;
Die andere will Knete sehen.
Darum gibt es heute statt der Faust-Karriere eines Intellektuellen, der es nur zum Bobo 2.0 bringt, das bekannte Gejammer eines Journalisten, der von der Hand in den Mund lebt, mit einer Tastatur dazwischen. Doch das wird sich ändern! Ich werde reich, unfassbar reich! Ich kann schon einmal anfangen, die Vorpixel, aus denen Vollpixel werden und schließlich liebliche Scheinchen, denn hach, im Internet 2.0 sind meine wertvollen Beiträge bares Geld. Im nächsten Jahr. Eventuell. Und nur, wenn der nette honorarzahlende Verlag in der norddeutschen Tiefebene die geldscheißenden Vorpixel auf seiner Webseite installiert und ich jeden Text feinsäuberlich in ASCII an die VG Wort schicke. Nun gut, so richtig hasenrein ist die Methode nicht, aber doch wohl ein feiner Beweis, wie wir Journalisten das Internet mit unschätzbaren Werten füllen und uns an den geistreichen Kommentaren der werten Leser freuen können, während die Blogger mit ihrem Katzencontent halt bluten müssen.
*** Tempo, die Schülerzeitung der 80er Jahre, ist wieder da, auf Stippvisite, und zeigt deutlich, wie das mit der anderen Seele geht. Acht Seiten am Heftende, auf denen der Nutella-Aufstrich des deutschen Journalismus für H&M als Model antritt, brauchen eigentlich keinen Kommentar mehr. Den spare ich mir darum für den im letzten WWWW erwähnten deutschen Bill Gates, Michael Greve, auf, der vor dem Ziel, Bill Gates zu werden, vor allem sehr deutsch ist, komplett mit Anwälten und Anmahnungen. Das sind juristische Vorpixel, aus denen schnell kostennötige Vollpixel werden können. Kann passieren beim Bloggen, dass ein kommender Bill Gates jemanden auf dem Strich hat. Aber ach! Beim Journalismus sieht es nicht viel anders aus. Da darf man nicht nur nicht über den netten BKA-Kollegen berichten, der in Afghanistan den deutschen Staatsbürger Khaled el Masri verhörte, sondern darf nicht einmal etwas über den Rechtsstreit selbst schreiben, weil nette BKA-Beamte keine Personen der Zeitgeschichte sind. Bestenfalls Unpersonen, für die entsprechend das Unrecht zuständig ist. Immerhin hat sich die deutsche Regierung gegenüber dem Kettenraucher el Masri erkenntlich gezeigt und die Diskussion über das Rauchverbot als verfassungsfeindlich eingestellt.
*** Verfassungstreu ist angeblich das Land Hessen, dass mit dem GIAZ eine Behörde vorgestellt hat, in der Polizei und Verfassungsschutz im Kampf gegen den Terrorismus zusammenarbeiten. Dieses "Gemeinsame Informations- und Analysezentrum" kampft auch im Internet, bekanntermaßen die Fernuniversität schlechthin, bei der alle Terroristen immatrikuliert sind, um zu Diplom-Terroristen ausgebildet zu werden.
*** Apropos Ausbildung: Journalisten brauchen keine. Das ist wie bei dem Vorpixel und läuft im Grundgesetz unter dem Stichwort barrierefreie Meinungsfreiheit. Jeder darf sich Journalist nennen, schreiben und das Resultat als Vollpixel verkaufen. Es darf sogar der größte Blödsinn über die ferngesteuerte Online-Untersuchung sein. Sieht man einmal davon ab, dass das Eindringen in fremde Computersysteme strafbar ist, die Unverletzlichkeit der Wohnung vom selbigen Grundgesetz garantiert wird, stellt sich immer noch die Frage, wer da die computertechnisch völlig unbedarfte Autorin technisch beraten hat. Vielleicht ist es am Ende nur eine Gehaltsfrage? Sehen wir es mit Dr. Faustus und Schmidt-Eenboom: Klammernde Organe sind keinem Journalisten fremd.
*** Der Unsinn von der Online-Durchsuchung, die jederzeit möglich ist, wenn man sich im Internet aufhält, wird dadurch nicht richtiger, wenn er angeblich in einem offiziellen "Programm für die Stärkung der inneren Sicherheit" steht. Dagegen hilft das "Programm zur Sicherung des häuslichen Friedens", 14-täglich in Ihrer Computerzeitschrift zu lesen. Vielleicht ist der hoch aufgehäufte Unsinn im Artikel nur ein raffiniert versteckter Aufruf, das programmatische Dokument der inneren Sicherheit zu befreien und zu veröffentlichen.
*** Kommen wir zu Nachrichten, die traurig stimmen. Mit guten IT-Kenntnissen ist es nicht getan. Einfach Google Maps ausdrucken und ohne Beachtung der Wetterberichte in leichter Bekleidung mal eben in die Berge fahren, das kann sich rächen. James Kim, der MP3-Player-Spezialist von CNet, hat genau das getan und dafür mit seinem Leben bezahlt. Seine Familie hat überlebt, die Details haben die Tagesblätter aller Welt ausgewalzt. Der Journalist James Kim war ein sympathische IT-Journalist, der immer die neuesten Familienbilder bei sich hatte; er mag ein warnendes Beispiel sein: Nicht alles, was im Netz, an der Konsole, im Ballerspiel so leicht und einfach aussieht, ist es auch in der realen Welt. Traurig sind darum auch die Nachrichten über die Trittbrettfahrer, die sich ein Witzchen auf die Verzweifelungstat in Emsdetten machen können, weil es wiederum Journalisten sind, die ihre Phantasien über Killerspiele ausleben. Bleibt allenfalls die Frage übrig, warum die Polizei, die gegen Terroristen souverän mit der Online-Durchsuchung vorgehen können, in diesem Fall zu Server-Logs greifen muss.
Was wird.
Morgen beginnt in Berlin eine Konferenz über den Holocaust im transnationalen Gedächtnis. Sie ist als Gegenstück zu einer iranischen Holocaust-Konferenz konzipiert, auf der sich die Holocaustleugner treffen. So aufrichtig die Motive sind, so zweifelhaft sind die möglichen Ergebnisse. Denn weitab von den Rechtsauslegern, denen Deborah Lipstadt bereits 1994 eine souveräne Beherrschung der Datennetze attestierte, breitet sich im Web 2.0 eine spielerische Form des Anti- wie des Philo-Semitismus aus, die bedenkliche Züge trägt. Eine Klitsche, die studentische Kontaktnöte befriedigt, lädt mit einer getürkten Ausgabe des Völkischen Beobachters zu einer Party ein. Von anderer Seite her kommend, zitiert man eben mal die mewineß heran und schreibt dazu gespreizt: "Der echte Blickkontakt hebt die Beziehung zu Mavens auf eine bislang kaum erreichbare Intensität und führt zu einer deutlichen und nachweisbaren Stärkung der Loyalität." All denen, die ziemlich leichtfertig auf religiöse Dispositionen zurückgreifen und Stereotype ausbeuten, sei Dawkins The God Delusion empfohlen, ein Buch, das unter anderem klarstellt, warum eine Haltung schädlich ist, die mit dem Kampf der Kulturen und Religionen Marketing betreibt. Dagegen hilft nur offener Atheismus.
Am Donnerstag steigt in Darmstadt eine offenbar völlig überflüssige Konferenz zur Internet-Kriminalität. Denn wenn die Online-Durchsuchung so einfach funktioniert, wie das die Süddeutsche Zeitung weisgemacht hat, dann sollte man den Phishern, Stalkern und Schwanzverlängerern schnell den Hahn abdrehen können. Zumindest, bis man auf neue Geschäftsmodelle trifft. Natürlich schwer passwortgeschützt, was die Sache noch attraktiver macht. So schließe ich, mit Goethe angefangen und um ca. 300 Euro reicher, mit Shakespeare, der hier sonst nur den Fall des Hauses SCO kommentiert. (Aber dort liegen die Kurse im Keller, Gesundung nicht in Sicht.)
Es beuge sich des Knies gelenke Angel,
wo Kriecherei Gewinn bringt.