Warum man Arbeitslosigkeit als Chance sehen muss

Eine Kündigung löst in den meisten Fällen Existenzängste aus. Und den Reflex, sich so schnell wie möglich einen neuen Job zu suchen. Doch es gibt genauso viele gute Gründe es nicht zu tun.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Marzena Sicking

Haben Sie den Film "Up in the Air" gesehen? George Clooney spielt hier den Rausschmeißer. Gut gekleidet jettet er durch die USA, um Menschen, die er zuvor noch nie gesehen hat, mitzuteilen, dass sie gefeuert sind. Zu seinen Standards bei diesen Gesprächen gehört der Hinweis, dass die Kündigung eine Chance ist. Die Chance, endlich das zu tun, was man schon immer wollte.

Das mag zynisch klingen (und im Film ist es auch so gemeint), dennoch sollten Betroffene versuchen, die Situation genauso zu sehen: die Arbeitslosigkeit ist eine Chance. Denn das verinnerlichen dieser Floskel hilft tatsächlich dabei, die schwierige Situation besser zu bewältigen. Wie eine Langzeitstudie der Adecco-Stiftung zu psychischen Folgen von Arbeitslosigkeit gezeigt hat, ist positives Denken wichtig, um psychisch gesund zu bleiben. Wer "Chance" statt "Abstieg" als Überschrift wählt, ist demnach aktiver, tut sich leichter beim Überwinden von Hindernissen und leidet auch deutlich seltener unter psychosomatischen Beschwerden. Wenig überraschend: wer so aktiv und positiv agiert, findet tatsächlich deutlich schneller einen Job als Arbeitslose, die sich "hängen" lassen.

Doch leider lassen sich unsere Gedanken und die Psyche nicht immer so einfach steuern. Wenn das "Kopfkino" beschlossen hat, Ihnen ständig Bilder des Grauens vorzuspielen, dann werden Sie mit dem Entschluss alleine, ab sofort nur noch positiv zu denken, nicht weit kommen. In solchen Situation kann es sehr hilfreich sein, sich professionelle Hilfe zu holen. Viele Ärzte vergleichen eine Kündigung mit dem Tod eines Verwandten, denn der Schock und die Folgen sind oft ähnlich – insbesondere, wenn die Kündigung unerwartet kommt. Wer in dieser Situation Hilfe bei seinem Hausarzt oder einem Psychologen sucht, ist also sicher nicht allein. Ein Coach oder die Berater der Arbeitsagentur sind die richtigen Ansprechpartner, wenn es darum geht, Ihre Stärken und Fähigkeiten zu analysieren und mögliche Weiterbildungsoptionen durchzusprechen. Sie sollten sich die Zeit nehmen, um darüber nachzudenken, was Sie wirklich wollen. Sport ist hilfreich, um den Stress abzubauen und bringt Sie außerdem für das kommende Bewerbungsgespräch in Form. Bewerbungen sollten Sie auf jeden Fall schreiben, auch wenn Sie sich noch nicht ganz sicher sind, was Sie eigentlich wollen. Betrachten Sie es als Training: jede Bewerbung und jedes Bewerbungsgespräch machen Ihren Auftritt ein weiteres Stück professioneller. Und es ist gut für Ihr Ego, wenn Sie sehen, dass man sich durchaus noch für Sie interessiert.

Trotzdem denken Sie jetzt: "Jeder Job ist besser als keiner"? Und Sie sind noch immer willig, die erstbeste Stelle anzunehmen, die man Ihnen anbieten wird? Das wäre ein Fehler, denn damit gefährden Sie nicht nur Ihre Chance sich weiterzuentwickeln, sondern unter Umständen auch Ihre Gesundheit. Wie die Apotheken Umschau berichtet, haben Wissenschaftler der australischen Universität Canberra in einer Langzeitstudie mit über 7000 Teilnehmern widerlegt, dass es vor allem auf den Aspekt ankommt, sich gebraucht zu fühlen. Zwar verbessern Arbeitslose im Durchschnitt ihre psychische Gesundheit, wenn sie eine Stelle bekommen, die ihrer Qualifikation entspricht. Wechseln sie aus der Erwerbslosigkeit aber in eine schlecht bezahlte Tätigkeit ohne Entscheidungsbefugnis, verschlechtert sich ihr Zustand deutlich.

Damit bestätigt die aktuelle Studie allerdings nur eine Theorie, die bereits 1979 von Robert A. Karasek formuliert und seitdem als das "Job Demand Control"-Modell bekannt ist. Demnach wird ein Mensch durch Arbeitsanforderungen in einen Zustand der Aktiviertheit versetzt. Hat er keine Möglichkeit, diese Aktivierung in den adäquaten Umgang mit den beruflichen Anforderungen zu lenken – beispielsweise aufgrund eines niedrigen Tätigkeitsspielraumes – manifestiert sich dieser Energieüberschuss als "Job Strain". Dadurch wiederum erhöht sich das Risiko negativer gesundheitlicher Auswirkungen. Insbesondere ein hohes Maß an Entscheidungsbefugnis ist wichtig, um Fehlbeanspruchungen zu vermeiden. Wer im beruflichen Umfeld nichts zu melden hat, dessen Fähigkeiten zur Problemlösung nehmen auch im privaten Bereich ab. (Marzena Sicking) / (map)