ICANN reif für vollständige Privatisierung?

Bereits 1998 hatte die US-Regierung Bedingungen für eine vollständige Privatisierung der Internet Corporation for Assigned Names and Number formuliert. Jetzt soll überprüft werden, ob die ursprünglichen Ziele noch gelten oder ergänzt werden müssen.

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Von
  • Monika Ermert

Wie soll es mit der privaten Verwaltung des DNS (Domain Name System) weitergehen, wenn der Vertrag des US-Handelsministeriums mit der Internet Corporation for Assigned Names and Number ([htt://www.icann.org ICANN]) ausläuft? Diese Frage stellt nun die für ICANN zuständige National Telecommunications and Information Administration (NTIA) im Rahmen einer öffentlichen Anhörung. In einer gestern veröffentlichten Ankündigung lädt die NTIA zu Stellungnahmen ein, inwieweit die ursprünglichen, beim Start der Privatisierung formulierten Ziele wie Stabilität, Wettbewerb, Selbstregulierung und Repräsentativität nach wie vor gelten, oder ergänzt werden müssen. Vor allem aber stellt die NTIA die zentrale Frage: Sind die von der US-Regierung 1998 formulierten Bedingungen für eine komplette Privatisierung erfüllt, kann ICANN also in die "Unabhängigkeit" entlassen werden? Eine öffentliche Anhörung dazu soll am 26. Juli in Washington stattfinden. Schriftliche Stellungnahmen nimmt die NTIA unter DNSTransition@ntia.doc.gov bis 7. Juli entgegen, nebst elektronischer Übermittlung wird eine Hardcopy erwartet.

Seit der sechsten Verlängerung des 1998 verabschiedeten Memorandum of Understanding (MoU) zwischen NTIA und ICANN im vergangenen Jahr hat ICANN- Präsident Paul Twomey betont, dass diese Verlängerung die letzte sein werde, bevor ICANN komplett privatisiert würde. Dazu hatte die ICANN unter anderem die Auflage, neue Adresszonen einzuführen, für mehr Wettbewerb zu sorgen und vertragliche Regelungen mit den unterschiedlichen DNS-relevanten Technikorganisationen, etwa den Root-Server-Betreibern einzugehen. Im vergangenen Jahr hatte die US-Regierung das MoU mitten in den turbulenten Debatten zum UN-Weltgipfel der Informationsgesellschaft (WSIS) noch einmal um ein Jahr verlängert und damit die Forderungen internationaler Regierungen nach einer sofortigen Aufgabe der einseitigen US-Aufsichtsrolle über die Netzverwaltung eine klare Absage erteilt.

Mit der Anhörung reagiert die US-Regierung nun doch noch auf die WSIS-Forderungen und erbittet auch Stellungnahmen dazu, ob ICANN alle Interessengruppen erfolgreich in den Prozess eingebunden hat, und wie die Zusammenarbeit zwischen ICANN und internationalen Regierungen beziehungsweise deren Länder-Domain-Managern im Bereich der ccTLDs verbessert werden kann. Dabei werden auch Überlegungen zur stärkeren Automatisierung von Rootzone-Aktualisierungen angesprochen – eine Reaktion auf die Kritik vieler nationaler Zonenverwalter wegen Verzögerungen. Schließlich greift die Anhörungsankündigung auch die vom WSIS geforderte Debatte zu einer "verbesserten Zusammenarbeit" auf, ein weiteres Zugeständnis an die beim WSIS verabschiedete Tunis Agenda.

Während manche Beobachter in dem Anhörungsverfahren die Chance sehen, das Management des DNS auf unabhängigere – oder doch andere – Füße zu stellen, warnen andere Kenner, dass die Ankündigung "100 Prozent Show" sei. Verwundert äußerte sich ICANN-Kenner Bret Fausett darüber, dass die mündliche Anhörung lediglich drei Stunden dauern soll. ICANN-Kritiker und Ex-ICANN-Direktor Karl Auerbach sieht in der Ankündigung den Versuch der US-Regierung, sich einen konzilianten Anschein im Streit um die DNS-Aufsicht zu geben, um etwas gegen die beim Weltgipfel aufgekommene Anti-US-Stimmung zu tun. Würde die NTIA mit ICANNs Evaluierung Ernst machen, könnte es dagegen für letztere schlimm werden. Auerbach nannte den umstrittenen .com-Vertrag für VeriSign, der übrigens offenbar nach wie vor beim US-Handelsministerium zur Zustimmung liegt, und Barrieren beim Einstieg ins Geschäft mit neuen Adresszonen (Top Level Domains) als negative Bilanzpunkte. Mit den Root-Server-Betreibern gebe es nach wie vor keinen Vertrag. Die NTIA hat in ihrer Ankündigung allerdings das im vergangenen Jahr gemachte Bekenntnis zu ICANN extra noch einmal wiederholt, um Ideen einer größeren Revolution vorzubeugen. (Monika Ermert) / (pmz)